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Die Stimme als Instrument
Maryna Schmiedlin ist mehrfach international preisgekrönte Organistin und Pianistin. In den letzten Jahren hat sie das Singen für sich entdeckt. Sie findet: Jede und jeder kann singen lernen. Die Stimme ist für sie das älteste Instrument der Welt.
Alle, die durch die Gänge der Pfarrei in Liestal gehen, wissen: Wenn ihnen zuerst Gesang entgegenkommt, bevor sie eine Person erblicken, dann ist Maryna Schmiedlin nicht mehr weit.
Eigentlich ist die grosse Leidenschaft Schmiedlins die Orgel. Bereits im Jugendalter entdeckt sie in ihrem Heimatland Belarus das imposante Instrument für sich. Ihre Begeisterung ist so gross, dass sie später an der Musikhochschule in Minsk Orgel studiert.
Nach dem Abschluss in Minsk zieht es Schmiedlin in die Schweiz. In Luzern macht sie eine Ausbildung zur Kirchenmusikerin. Das ist der Moment, in dem sie, mit Mitte zwanzig, den Gesang für sich entdeckt. «Gesang und Chorleitung waren ein obligatorischer Teil meiner Ausbildung zur Kirchenmusikerin», erklärt sie. Seitdem habe sie nicht mehr aufgehört zu singen.
Die Stimme als «Urinstrument»
«Die Kirchenmusikausbildung hat den Gesang in mein Leben gebracht und es damit ziemlich verändert», resümiert Schmiedlin. «Ich liebe die Orgel, und ich werde mein ganzes Leben mit der Orgel verbringen, aber der Gesang und das Dirigieren haben eine neue Seite in mein Leben gebracht.»
Singen ist für Schmiedlin etwas, das tief in uns Menschen verwurzelt ist. Die Stimme ist für sie sozusagen unser «Urinstrument». «Zum Singen brauchen wir nichts als uns selbst, wir können es immer und überall tun und uns damit universal verständlich ausdrücken», so Schmiedlin.
Schmiedlin ist auch nach abgeschlossener Ausbildung zur Kirchenmusikerin am Gesang drangeblieben. «Ich überlege mir, eventuell auch noch eine professionelle Gesangsausbildung zu machen. Mal sehen, ob es dazu kommt», verrät sie uns.
Liedern die eigene Note geben
Besonders spannend findet es Schmiedlin, einem Werk durch das Singen eine eigene Note zu verleihen. «Letztes Jahr habe ich bei einem Konzert Rachmaninows Romanzen gesungen. Es war toll, die Chance zu haben, das Werk selbst zu interpretieren», erinnert sie sich. Für sie gibt es dabei einen bedeutenden Unterschied zur Interpretation von Malerei: «Ich kann als Betrachterin ein Bild interpretieren, aber das Werk ist schon vollendet. Nicht so in der Musik. Dort habe ich Noten auf einem Papier, aber ich gebe dem Werk durch meine Interpretation neues Leben.»
Motivierte Chorleiterin
Neben Orgel und Gesang ist das Leiten von Chören ein wichtiger und fester Bestandteil im Leben von Schmiedlin geworden. Am meisten Freude macht es ihr dabei, den Spass und die Motivation in den Gesichtern ihrer Sängerinnen und Sänger zu sehen. «Die Proben meiner Chöre finden Montag- und Dienstagabend statt. Die Menschen haben einen langen Arbeitstag hinter sich, kommen am Abend an und sind ganz präsent, lachen, sind motiviert. Ich sehe einfach, wie glücklich sie sind, und das zu erleben, freut mich», erzählt sie. Für sie ist es zentral, dass die Chormitglieder Freude beim Singen haben, denn sie findet: «Ich kann all mein Wissen und meine Energie geben, aber wenn ich nicht zu den Menschen durchdringe und eine imaginäre Wand zwischen uns ist, dann macht es für mich keinen Sinn.»
Gesang stärkt das Selbstbewusstsein
Schmiedlin gibt auch privaten Gesangsunterricht und merkt dabei: «Menschen entwickeln sich dank des – vor allem solistischen – Singens. Sie gewinnen Selbstvertrauen und Sicherheit.» Wenn jemand zum ersten Mal zu ihr in den Unterricht komme, traue sie oder er sich oft nicht, allein zu singen. Schritt für Schritt baue sich dieses neue Selbstvertrauen durch den Gesang auf. «Ich sage den Menschen am Anfang oft, sie sollen sich vorstellen, sie stünden allein im Wald und niemand könne sie hören», erzählt sie. Ausserdem ist sie der Meinung, dass jede und jeder singen lernen kann. Schmiedlin findet: «Singen darf auf jedem Niveau stattfinden.» Richtig singen sei eine körperliche Sache. Es gehe darum, die Verbindung zwischen Gehör und Stimme zu trainieren, und das könne jeder Mensch lernen.
Vom Tönetreffen zum Ausdruck
Doch das Tönetreffen allein macht noch keinen guten Gesang, der Ausdruck spielt eine wichtige Rolle. Die technische Sicherheit ist für Schmiedlin aber vorrangig. Die richtige Körperhaltung, das genaue Einüben bestimmter Passagen, bei denen die Töne noch nicht richtig sitzen – das ist Teil dieses ersten Schritts. «Aber dann kommt der Moment, wenn die Technik sitzt, an dem ich meine Chöre dafür sensibilisiere, was für ein Stück wir gerade singen, zu welcher Zeit es geschrieben wurde und welche Bedeutung es dem Komponist nach hat. Und dadurch kommt der Ausdruck mit hinein», erklärt Schmiedlin.
Kirchenmusik als Ausdruck des Glaubens
Kirchenmusik hat dabei eine besondere Stellung. Schmiedlin erinnert ihre Sängerinnen und Sänger: «Wir singen das nicht für uns, sondern für die Gemeinde. Unser Gesang ist Teil der Liturgie, er ist Gebet und Ausdruck des Glaubens. Dafür brauche ich euer emotionales Engagement, auch sonntagmorgens um 9 Uhr.» Schmiedlin veranschaulicht das am Beispiel eines Liedes, bei dem auf dem Wort «Gott» ein besonderer Akzent liegt und erklärt: «Ich frage meine Sängerinnen und Sänger dann: ‹Wenn ihr diesen Ton singt, was denkt ihr in diesem Moment? Was verbindet ihr mit dem Wort, wie empfindet ihr das?› So möchte ich erreichen, dass sie ihre eigene Beziehung zu Gott in die Stelle legen.»
Schmiedlin ist überzeugt, dass Messgesänge eine enorme Kraft haben, die sogar auf Menschen wirken kann, die der Kirche nicht nahestehen: «Auch wenn die Menschen nicht wissen, was ein Kyrie ist, und den lateinischen Text nicht verstehen, werden sie vom Gesang berührt und nehmen die Stimmung und die Message auf.»
Lebendige Chorlandschaft in der Schweiz
Schmiedlin hofft, dass auch in Zukunft weiterhin so viele junge und ältere Menschen in Chören singen. «Die Schweiz hat eine reiche Kultur des Singens, ich denke, das kann ich mit einem Blick von aussen gut beurteilen», findet sie. Sowohl in Basel als auch in der Umgebung gebe es viele Veranstaltungen, vor allem auch in der semiprofessionellen Szene, und sie hofft, dass das so weitergeht.
Ginge es nach Schmiedlin, dürften die Menschen aber auch gern öfter mal im Alltag singen. «Ich habe eigentlich immer ein Lied im Kopf, das ich zuhause, bei der Arbeit oder auch unterwegs vor mich hinsinge. Mal leiser und mal lauter. Ausser natürlich zum Beispiel im Zug», sie überlegt kurz: «Aber wenn die Welt so schön wäre, dass man auch im Zug singen könnte, dann würde ich natürlich auch das machen!»
Orgelkonzerte von Maryna Schmiedlin
Appetizer! Kleine Aperitif-Orgelkonzerte
Jeweils am letzten Samstag im Monat
12 Uhr
katholische Kirche Bruder Klaus
Rheinstrasse 18, 4410 Liestal
18 Uhr
katholische St. Marienkirche
Holbeinstrasse 30, 4051 Basel
Termine
- 31. Januar: Bach gegen Winterdepression
- 28. Februar: Fasten mit Bach
- 28. März: Aus tiefer Not schrei ich zu dir
- 25. April: Boléro und anderes von Maurice Ravel
- 30. Mai: Orgelconcerti von Händel mit Streichquartett
- 27. Juni: Grosses Sommerkonzert mit Orgel-Klavier-Duo



