
«Wer ist Jesus für dich?»
- Nico Derksen wollÂte die bibliÂschen GeschichÂten mit den exiÂstenÂziÂelÂlen ErfahÂrunÂgen der MenÂschen verknüpfen.
- Dazu hat er zusamÂmen mit Frans AndriesÂsen in den 1980er JahÂren das BiblioÂdraÂma erfunden.
- DieÂsen SomÂmer starÂtet der zehnÂte und vielÂleicht letzÂte AusÂbilÂdungsÂgang für BiblioÂdraÂma-LeiÂtenÂde in Wislikofen.
«Da ist die SchwelÂle zur SynÂagoÂge, wo zwei PhaÂriÂsäÂer steÂhen», sagt Nico Derksen. Mit ausÂlaÂdenÂden Gesten unterÂteilt er den Raum der eheÂmaÂliÂgen KapelÂle der PropÂstei WisÂliÂkofen in imaÂgiÂnäÂre Zonen. «Hier steÂhen die SynÂagoÂgenÂbeÂsuÂcheÂrinÂnen und hier beobÂachÂten die ZuschauÂer ganz genau, was Jesus nun machen wird.» Der hochÂgeÂwachÂseÂne AchtÂzigÂjähÂriÂge mit dem nieÂderÂlänÂdiÂschen Akzent ist der SpielÂleiÂter dieÂses BiblioÂdraÂmas – und desÂsen ErfinÂder. Elf FrauÂen und ein Mann sind an dieÂsem sonÂniÂgen MärzÂmorÂgen ins BilÂdungsÂhaus gekomÂmen, um im eigeÂnen Spiel die BotÂschaft des bibliÂschen TexÂtes zu erleÂben und zu verÂsteÂhen. «Ich habe beim BiblioÂdraÂma meiÂne tiefÂsten GlauÂbensÂerÂfahÂrunÂgen gemacht », bekennt ein TeilÂnehÂmer. Eine andeÂre TeilÂnehÂmeÂrin warnt mich: «Das kann unter die Haut gehen.»
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«Was brauchst du?»
Das Spiel hat nach einiÂger VorÂbeÂreiÂtung begonÂnen. In der MitÂte des RauÂmes steht nun eine TeilÂnehÂmeÂrin, die sich ihren rechÂten Arm hält. Sie spielt die RolÂle des ManÂnes mit der verÂdorrÂten Hand aus dem MarÂkus-EvanÂgeÂliÂum. Alle Blicke ruhen auf der TeilÂnehÂmeÂrin, welÂche die RolÂle des Jesus spielt. Wird Jesus das Gesetz missÂachÂten und den leiÂdenÂden Mann heiÂlen, obwohl SabÂbat ist? Die DarÂstelÂleÂrin des ManÂnes mit dem verÂdorrÂten Arm hebt ihn zögerÂlich und streckt ihn Jesus halbÂherÂzig entÂgeÂgen. Nico Derksen beobÂachÂtet die SituaÂtiÂon aufÂmerkÂsam und geht auf die Frau zu. «Was brauchst du?», fragt er sie. «Ich sehe, dass du deiÂne Hand nur ein bissÂchen ausÂstreckst.» Die TeilÂnehÂmeÂrin schaut den SpielÂleiÂter skepÂtisch an und sagt: «Ich glauÂbe dieÂsem Jesus nicht so ganz. » Nico Derksen bedankt sich bei ihr für ihre OffenÂheit und drückt VerÂständÂnis aus für ihre ZweiÂfel. GleichÂzeiÂtig gibt er zu bedenÂken, dass die HandÂreiÂchung die BedinÂgung sei, um mit Jesus in BezieÂhung zu treÂten. Zum Glück lässt sich auch der Jesus in WisÂliÂkofen nicht von den ZweiÂfeln der TeilÂnehÂmeÂrin beeinÂdrucken und heilt die Hand des ManÂnes, worÂauf das Spiel seiÂnen Lauf nimmt und die DarÂstelÂlenÂden die RechtÂmäsÂsigÂkeit der HeiÂlung intenÂsiv debattieren.
«Wer ist Jesus für dich?»
Am Anfang von BiblioÂdraÂma stand der Wunsch von Nico Derksen, einen neuÂen Weg in der GlauÂbensÂkomÂmuÂniÂkaÂtiÂon einÂzuÂschlaÂgen. In den ersten sieÂben JahÂren als PrieÂster in der SeelÂsorÂge hatÂte er verÂstanÂden, dass er auf die MenÂschen zugeÂhen mussÂte. «Ich wollÂte zurückÂerÂobern, was wir in der SeelÂsorÂge an andeÂre DisÂziÂpliÂnen verÂloÂren hatÂten.» Die SeelÂsorÂge sollÂte die MenÂschen wieÂder auf einer exiÂstenÂtiÂelÂlen EbeÂne erreiÂchen und sie mit reliÂgiöÂsen sinnÂgeÂbenÂden FraÂgen verÂbinÂden.» Mit dieÂsem Ziel vor Augen entÂwickelÂte Nico Derksen in den 1980er JahÂren gemeinÂsam mit Frans AndriesÂsen das ForÂmat des BiblioÂdraÂmas. Die Tische, an denen er unzähÂliÂge SeelÂsorÂgeÂgeÂspräÂche geführt hatÂte, mussÂten raus, um Raum zu schafÂfen für das Spiel mit der GrundÂfraÂge: «Wer ist Jesus für dich?»
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Im BiblioÂdraÂma gibt es neben den verÂschieÂdeÂnen RolÂlen, die sich aus dem BibelÂtext ergeÂben, immer eine PerÂson, die das Spiel leiÂtet. Das sei die schwieÂrigÂste RolÂle, welÂche AchtÂsamÂkeit und Respekt erforÂdeÂre. WieÂviel Nähe mögÂlich sei, wieÂviel Distanz angeÂbracht, müsÂse sie immer überÂprüÂfen. Die SpielÂleiÂteÂrin ist es auch, die kriÂtiÂsche FraÂgen stellt. Dazu brauÂche es funÂdierÂtes theoÂloÂgiÂsches WisÂsen. «Ich habe die ErfahÂrung gemacht, dass die leiÂtenÂde PerÂson geraÂde so viel anspricht, wie sie selbst traÂgen kann», sagt der erfahÂreÂne Bibliodrama-Ausbildner.
Allein, aber nicht einsam
Das DogÂma: «AusÂserÂhalb der KirÂche kein Heil» habe er schon immer falsch gefunÂden, sagt Nico Derksen. RichÂtig müsÂse es heisÂsen: «AusÂserÂhalb von BezieÂhung kein Heil.» DieÂse ErfahÂrung hat Nico Derksen in seiÂnem Leben immer wieÂder gemacht. Als vierÂtes von acht KinÂdern ist er 1943 in ZutÂphen, im Osten der NieÂderÂlanÂde, auf die Welt gekomÂmen. SeiÂne MutÂter litt an einer psyÂchiÂschen KrankÂheit und verÂbrachÂte viel Zeit in psychÂiaÂtriÂschen KliÂniÂken. Mit knapp zwölf JahÂren trat er in das InterÂnat des AssumpÂtioÂniÂsten-Ordens ein. Der Orden lebt nach den Regeln des heiÂliÂgen AuguÂstiÂnus und betreibt weltÂweit zahlÂreiÂche BilÂdungsÂinÂstiÂtuÂtioÂnen. WähÂrend er sich zu HauÂse trotz der grosÂsen FamiÂlie oft allein gefühlt habe, fühlÂte er sich im InterÂnat geborÂgen, auch wenn er als SchüÂler verÂdammt hart habe arbeiÂten müsÂsen, erzählt Nico Derksen.
Nach dem Abitur begann er 1962 mit 16 MitÂbrüÂdern das NoviÂziÂat der AssumpÂtioÂniÂsten. «Wir waren KinÂder der moderÂnen Zeit und haben keiÂne alte TheoÂloÂgie und PhiÂloÂsoÂphie gelernt», sagt Nico Derksen. Der Geist der 1960er JahÂre war aber auch dafür verÂantÂwortÂlich, dass der OrdensÂmann 1969 allein zum PrieÂster geweiht wurÂde. Alle andeÂren KanÂdiÂdaÂten wählÂten einen andeÂren Weg. WieÂder war er allein. «Aber ich war nicht einÂsam, denn ich hatÂte gelernt, GespräÂche zu suchen und BezieÂhunÂgen zu pfleÂgen», sagt der SeelÂsorÂger. Und er hatÂte gelernt, Orte zu verÂlasÂsen, wo dies nicht mögÂlich war. So liess er 1971 seiÂne OrdensÂgeÂmeinÂschaft im StuÂdiÂenÂhaus in NijÂmeÂgen hinÂter sich, um bei einer andeÂren GrupÂpe im gleiÂchen Ort Anschluss zu suchen. Dort führÂten GemeinÂdeÂmitÂglieÂder, AssumpÂtioÂniÂsten, FreunÂde und FreunÂdinÂnen in mehÂreÂren HäuÂsern ein gemeinÂschaftÂliÂches Leben. Sie hätÂten TheÂmen zur SpraÂche gebracht, die noch heuÂte vieÂlerÂorts verÂschwieÂgen würÂden. Zum BeiÂspiel die FraÂge, wie mit PrieÂstern umzuÂgeÂhen sei, die nicht mehr zöliÂbaÂtÂär leben wollÂten. «Wir waren nicht bereit, dieÂse MenÂschen durch die HinÂterÂtür zieÂhen zu lasÂsen», sagt Nico Derksen. Die PrieÂster haben geheiÂraÂtet und deren FrauÂen sind der GemeinÂschaft beiÂgetreÂten. «Das Leben in dieÂser GrupÂpe hat meiÂnen GlauÂben, mein MenschÂsein, meiÂne TheoÂloÂgie und SeelÂsorÂge gerettet.»
10. AusÂbilÂdung in​ BiblioÂdraÂma-LeiÂtung
ReliÂgiöÂse ErfahÂrungsÂräuÂme öffnen
Die SehnÂsucht nach spiÂriÂtuÂelÂler ErfahÂrung und LebensÂoriÂenÂtieÂrung ist gross. FrauÂen und MänÂner, JunÂge und ÄlteÂre möchÂten exiÂstenÂziÂell genährt und mit Leib und SeeÂle, Herz und VerÂstand angeÂsproÂchen werÂden. Das BiblioÂdraÂma mit seiÂnen unterÂschiedÂliÂchen EleÂmenÂten antÂworÂtet auf dieÂse SehnÂsucht und eröffÂnet auf kreaÂtiÂve WeiÂse einen reliÂgiöÂsen ErfahÂrungsÂraum. Wir arbeiÂten mit dem biblioÂdraÂmaÂtiÂschen Modell, das in den 1970ger JahÂren von NicoÂlaas Derksen und Frans AndriesÂsen begrünÂdet und von der WisÂliÂkoÂfer SchuÂle für BiblioÂdraÂma und SeelÂsorÂge weiÂterÂentÂwickelt wurÂde. In der WeiÂterÂbilÂdung nehÂmen die TeilÂnehÂmenÂden KonÂtakt auf zu ihrer eigeÂnen Lebens- und GlauÂbensÂgeÂschichÂte. Sie lerÂnen, wie BiblioÂdraÂma in der Arbeit mit KinÂdern, JugendÂliÂchen und ErwachÂseÂnen einÂgeÂsetzt werÂden kann. Die WeiÂterÂbilÂdung wird von der WisÂliÂkoÂfer SchuÂle für BiblioÂdraÂma und SeelÂsorÂge in KoopeÂraÂtiÂon mit dem TBI durchgeführt.
BiblioÂdraÂma international
EbenÂso wichÂtig wie die GemeinÂschaft war für den TheoÂloÂgen die lebensÂlanÂge FreundÂschaft mit einem EheÂpaar, das ebenÂfalls Teil der LebensÂgeÂmeinÂschaft wurÂde. Mit ihnen zog er 1979 in WarnsÂveld zusamÂmen, um seiÂne ArbeitsÂstelÂle im BisÂtum Utrecht anzuÂtreÂten. Für das BisÂtum arbeiÂteÂte Nico Derksen wähÂrend dreisÂsig JahÂren in der WeiÂterÂbilÂdung, begleiÂteÂte Teams und arbeiÂteÂte als PastoÂralÂtheoÂloÂge und SuperÂviÂsor im GemeinÂdeÂaufÂbau. WähÂrend dieÂser dreisÂsig JahÂre absolÂvierÂten gegen 400 SeelÂsorÂgenÂde die zweiÂeinÂhalbÂjähÂriÂge BiblioÂdraÂma-AusÂbilÂdung in den NieÂderÂlanÂden, in DeutschÂland, ÖsterÂreich, ItaÂliÂen und in der Schweiz. DortÂhin überÂsieÂdelÂte er nach dem Tod seiÂner Frau, die er nach seiÂner PenÂsioÂnieÂrung geheiÂraÂtet hatte.
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BiblioÂdraÂma in Wislikofen
Seit zwölf JahÂren lebt Nico Derksen in KaiÂserÂstuhl, unweit von der PropÂstei WisÂliÂkofen, die ClauÂdia MenÂnen zusamÂmen mit ihm und SabiÂne TscherÂner in den verÂganÂgeÂnen 25 JahÂren zu einem ZenÂtrum für BiblioÂdraÂma und SeelÂsorÂge entÂwickelt hat. GemeinÂsam haben sie die AusÂbilÂdung weiÂterÂentÂwickelt und noch näher an die pastoÂraÂle PraÂxis gebracht. BiblioÂdraÂmaÂtiÂsche KleinÂforÂmen mit ErwachÂseÂnen, mit KinÂdern und JugendÂliÂchen, in der LitÂurÂgie und im NaturÂraum. AusÂserÂdem ist das «BibelÂWort in BeweÂgung» entÂstanÂden, um die KateÂcheÂtinÂnen und KateÂcheÂten mit an Bord zu holen. «DieÂse ForÂmaÂte habe ich ClauÂdia MenÂnen und SabiÂne TscherÂner zu verÂdanÂken, die auf verÂschieÂdeÂne WeiÂse tieÂfer in der seelÂsorgÂliÂchen PraÂxis verÂanÂkert sind», sagt Nico Derksen. In dieÂsem SomÂmer starÂtet der zehnÂte und verÂmutÂlich letzÂte AusÂbilÂdungsÂgang, den Nico Derksen zusamÂmen mit seiÂnen KolÂleÂginÂnen leiÂten wird. Damit hat die WisÂliÂkoÂfer SchuÂle für BiblioÂdraÂma und SeelÂsorÂge über 300 SeelÂsorÂgenÂde, TheoÂloÂginÂnen und KateÂcheÂten ausÂgeÂbilÂdet, welÂche dieÂse Art der GlauÂbensÂkomÂmuÂniÂkaÂtiÂon weitergeben.
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Das Bild der KirÂche als Zentrum
Wie die KirÂchen, leeÂren sich auch die kirchÂliÂchen BilÂdungsÂhäuÂser. SelbstÂkriÂtisch sagt der BiblioÂdraÂma-BegrünÂder: «Ich habe mit BiblioÂdraÂma vieÂlen MenÂschen etwas Gutes tun könÂnen, aber ich habe es nicht geschafft, die nächÂste GeneÂraÂtiÂon ins Boot zu holen.» Und er fügt an: «Wir haben schon längst Abschied genomÂmen von manÂchen reliÂgiöÂsen DogÂmen aber irgendÂwo in uns schlumÂmert noch immer das Bild, dass nur die KirÂche das ZenÂtrum für die BegegÂnung mit Gott ist.» Er selbst habe schon in den 1960er JahÂren einen HinÂweis darÂauf erhalÂten, dass dieÂses Bild nicht mehr stimÂme. Er zeichÂnet mit dem FinÂger auf der TischÂplatÂte einen Kreis und sagt: «Rund um die LeeÂre». In dieÂser MitÂte befinÂde sich etwas NichtÂaufÂgebbaÂres, etwas UnverÂfügÂbaÂres». Wie die NaturÂwisÂsenÂschafÂten, die PhiÂloÂsoÂphie und die KünÂste hätÂten auch die ReliÂgioÂnen ihren speÂziÂfiÂschen BeiÂtrag, um dieÂse MitÂte ins Wort, Bild und Gefühl zu brinÂgen. Aber vorÂher müsÂse die römisch-kathoÂliÂsche KirÂche beginÂnen, über ihr MissÂlinÂgen zu sprechen.
In all den JahÂren hat sich nie ein Bischof für das BiblioÂdraÂma interÂesÂsiert. EinÂgeÂlaÂden wären sie geweÂsen. HätÂte sich einer auf das Spiel einÂgeÂlasÂsen, hätÂte Nico Derksen wohl gefragt: «Ich sehe, dass es dir schwerÂfällt, über das MissÂlinÂgen in der KirÂche zu spreÂchen. Was brauchst du?»