Wenn Körper, Geist und Seele den Weg zur Ruhe gehen

Wenn Körper, Geist und Seele den Weg zur Ruhe gehen

  • Mor­gen Don­ner­stag, 5. Novem­ber erscheint im Aar­gau die Zeitung «zVis­ite», eine inter­re­ligiöse Gemein­schaft­spro­duk­tion, an der auch Hor­i­zonte mit­gestal­tet.
  • «zVis­ite» kommt jährlich zur «Woche der Reli­gio­nen» anfangs Novem­ber her­aus.
  • «Bewe­gung» lautet das The­ma der aktuellen Num­mer. Darin erzählen unter anderen Clau­dia Nothelfer und Susanne Andrea Birke über ihre jahrzehn­te­lange Med­i­ta­tion­sprax­is.

Von Pilgern, Engagement und Tanz

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In Zeit­en des Still­standes haben sich die «zVisite»-Redaktorinnen und ‑Redak­toren für das The­ma Bewe­gung entsch­ieden: Es war im März, als die Coro­na-Krise nicht nur das öffentliche, son­dern auch das religiöse Leben lahm­legte.

Die Türen der Kirchen, Syn­a­gogen, Moscheen und Tem­pel blieben für ihre Gläu­bi­gen ver­schlossen. Ostern feierten Christin­nen und Chris­ten zu Hause. Juden und Jüdin­nen zele­bri­erten Purim nicht wie gewohnt in Gemein­schaft. Und nach Mek­ka pil­gerten dieses Jahr nur ein paar Tausend anstelle der 2,5 Mil­lio­nen Men­schen.

In der aktuellen «zVisite»-Ausgabe, die am Don­ner­stag, 5. Novem­ber, erscheint, sprechen zwei Frauen und zwei Män­ner über Erfahrun­gen auf ihrem Pil­ger­weg nach Rom, Madras, San­ti­a­go de Com­postela und Mek­ka. Sie haben sich in der Ver­e­naschlucht, einem Abschnitt des Jakob­swegs, getrof­fen und sich aus­ge­tauscht, wie die Wall­fahrt sie verän­dert habe. Doch nicht nur eine kör­per­liche Bewe­gung wie das Pil­gern wirkt sich auf den Geist aus, son­dern auch der Tanz, die Musik und die Med­i­ta­tion. Zudem enthält die Aus­gabe Porträts von vier Men­schen, die sich von ihrer Reli­gion dazu bewegt fühlen, sich aktiv für die Gesellschaft zu engagieren. Für die Bewe­gung der Hirnzellen sorgt auch dieses Jahr Rät­selmeis­ter Edy Hubach­er. Auf der zVis­ite-Web­seite find­en Sie zudem Videos und Audios als Ergänzung der Textbeiträge. Viel Vergnü­gen beim Lesen, Schauen und Hören! Nico­la Mohler / mca

Clau­dia Nothelfer und Susanne Birke prak­tizieren Med­i­ta­tions­for­men, die östliche und christliche Tra­di­tio­nen verbinden. Ob sitzend, ste­hend oder gehend: Der Atem führt die Bewe­gung und zen­tri­ert.

Clau­dia Nothelfer, Sie verbinden christliche Kon­tem­pla­tion mit bud­dhis­tis­chem Za­Zen. Welche Kör­per­hal­tung nehmen Sie beim Medi­tieren ein? Clau­dia Clau­dia Nothelfer: Wir sprechen sowohl von ein­er äusseren wie auch ein­er inneren Hal­tung. Diese bei­den Kör­per­hal­tun­gen entsprechen dem Za-Zen, der Sitzmed­i­ta­tion: eine entspan­nte, gelöste Med­i­ta­tion­shal­tung, die den­noch Entsch­ieden­heit aus­drückt. Der Kör­p­er ruht sta­bil auf einem Kissen oder einem Stuhl. Wirbel­säule und Kopf sind aufrecht, der Nack­en lang, der Blick geht zum Boden. Die innere Hal­tung meint die Zen­trierung im Atem, der natür­lich fliesst, sowie das Ziehen­lassen der Gedanken.

Und was bewirkt diese äussere Hal­tung im men­tal­en Bere­ich?
Clau­dia Nothelfer: Den klar geregel­ten Rah­men dieser Med­i­ta­tion habe ich zu Beginn mein­er Prax­is als streng und karg emp­fun­den. Inzwis­chen bin ich seit 26 Jahren dran und überzeugt, dass diese klare Hal­tung tief­ere Med­i­ta­tion­ser­fahrun­gen erst ermöglicht. Pia Gyger, Mit­be­grün­derin der Kon­tem­pla­tion­ss­chule via inte­gralis, sagte von dieser Hal­tung, sie sei die «via diret­tis­si­ma» in die Tiefe. Wir kom­men in Verbindung mit unser­er eige­nen See­len­tiefe und dem Urgrund des Lebens. Mit der Zeit zeigen sich eine Fülle von «Frücht­en», die in die Leben­shal­tung hinein­wirken, wie Mit­ge­fühl, Acht­samkeit, Klarheit und Liebesfähigkeit. Wir sitzen nicht nur für uns, son­dern für die Welt.

Die Bändi­gung des Bewe­gungstriebes, kör­per­lich und gedanklich, ist also wichtig, um die Wirkun­gen dieser Med­i­ta­tion zu erfahren. Was ist schwieriger zu kon­trol­lieren, der Kör­p­er oder der Geist?
Clau­dia Nothelfer: Das Schwierig­ste ist, gar nichts mehr zu kon­trol­lieren, son­dern ein­fach zuzu­lassen, seinzu­lassen und loszu­lassen. Es geht um das wohlwol­lende Wahrnehmen des Lebens im Hier und Jet­zt. Die beschriebene Hal­tung hil­ft, dass Kör­p­er und Geist in Ruhe vere­int sind und die Gedanken nicht ständig davon­laufen. Eine wichtige Rolle spielt dabei der Atem. Man kann nicht auf Vor­rat atmen und nicht im Nach­hinein. Atem fördert die Präsenz im Hier und Jet­zt.

Kön­nte der Atem als Bindeglied zwis­chen Kör­p­er und Geist beze­ich­net wer­den?
Susanne Birke: Ja. Der Atem kommt und geht von allein, wir kön­nen ihn aber wil­lentlich verän­dern oder ein­fach nur bewusst wahrnehmen, ohne dabei einzu­greifen.
Clau­dia Nothelfer: Bei der Zen-Sitzhal­tung fliesst der Atem entspan­nt in den Bauch. Wenn der Kör­p­er gut im «Hara» ver­ankert ist, laufen die Ner­ven­bah­nen vom Unter­bauch über die ger­ade aufgerichtete Wirbel­säule hin­auf bis in den Kopf. So fühlen wir uns geistig klar und kön­nen län­gere Zeit sitzen – ohne dabei zu ermü­den.

Shibashi ist ein Bewe­gungs­man­tra, das von der Wieder­hol­ung lebt. Was bewirkt Bewe­gung men­tal?
Susanne Birke: Ein wichtiger Aspekt im Shibashi ist, sich durch ein­fache Kör­per­be­we­gun­gen selb­st zu har­mon­isieren und sich mit dem Ganzen zu verbinden – mit den Men­schen, mit der Welt, mit dem Urgrund, aus dem alles kommt. Weil diese Erfahrung über den Kör­p­er aufge­baut wird, fördert Shibashi ein klares, pos­i­tives Ja zur Leib­lichkeit.

Fällt der Zugang zum Medi­tieren leichter, wenn er über die Bewe­gung geschieht?
Susanne Birke: Das ist sehr indi­vidu­ell. Men­schen haben unter­schiedliche Kör­p­er, und sie machen ver­schiedene Erfahrun­gen mit ihrer Leib­lichkeit. Einzelne Bewe­gun­gen kön­nen erst ein­mal schw­er­fall­en oder manch­mal auch unan­genehme Gefüh­le aus­lösen. Dadurch erfahren wir etwas über uns selb­st. Welche Med­i­ta­tions­form aber etwas aus­löst, ist eine Typfrage. Und welche Bewe­gun­gen einem zusagen, ist nicht zulet­zt abhängig von der Leben­sphase und den The­men, die einen ger­ade aktuell beschäfti­gen.

Warum?
Susanne Birke: Ein per­sön­lich­es Beispiel: Ich kon­nte in jun­gen Jahren mit dem Begriff Demut gar nichts anfan­gen. Heute aber hat Demut für mich einen Sinn bekom­men, und ich verneige mich kör­per­lich und geistig vor dem Geheim­nis des Lebens. Ein­er­seits erkenne ich mit der Vernei­gung meine eigene Begren­ztheit gegenüber dem grossen Ganzen an, ander­er­seits bin ich mir aber auch bewusst, selb­st Teil dieses Geheimniss­es zu sein.

Marie-Christine Andres Schürch
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