Vertrauen verspielt?

Vertrauen verspielt?

  • Viele Men­schen kehren der katholis­chen Kirche jet­zt den Rück­en.
  • Bischof Felix Gmür will das Ver­trauen der Gläu­bi­gen mit grif­fi­gen Mass­nah­men wieder gewin­nen.
  • Präven­tion­sar­beit leis­tet das Bis­tum seit 20 Jahren mit Erfolg.

Wis­sen Sie, was die grösste Angst der Men­schen nach der Veröf­fentlichung der Studie ist?
Bischof Felix Gmür: Das alles gle­ich­bleibt, wie es ist.

Viele Men­schen glauben Ihnen nicht mehr. Wie schaf­fen Sie es, das Ver­trauen der Men­schen zurück­zugewin­nen?
Das Wichtig­ste ist, dass wir an die Betrof­fe­nen denken und uns für sie ein­set­zen. Das machen wir, seit wir das Fach­gremi­um «Sex­uelle Über­griffe im kirch­lichen Umfeld» 2002 gegrün­det haben. Damit haben wir viel erre­icht. Die Sicht auf die Betrof­fe­nen und auf die Täterin­nen und Täter hat sich sei­ther verän­dert. In der Schweiz hat an ver­schiede­nen Orten in unter­schiedlich­er Geschwindigkeit ein Bewusst­sein­swan­del stattge­fun­den. Aus dieser Gesin­nung ent­standen die Präven­tion­s­mass­nah­men, die wir laufend angepasst haben, damit keine Über­griffe mehr passieren. Und Gott sei Dank hat es in den ver­gan­genen 20 Jahren viel weniger Über­griffe gegeben und die Fälle waren weniger schw­er.

Welche Rolle spielt dabei die Studie?
Sie hat zum Ziel, dass den Betrof­fe­nen Gerechtigkeit wider­fährt. Auf diese Weise wollen wir das Ver­trauen der Men­schen in die Kirche wieder stärken.

Kon­sens ist, dass die Studie spät kommt.
Wir Bis­chöfe haben gemein­sam mit den Lan­deskirchen und den Ordens­ge­mein­schaften die Studie in Auf­trag gegeben. Das ging zu lange, das ist richtig. Wir haben nun unsere Lehren gezo­gen und fünf Mass­nah­men for­muliert. Auch damit wollen wir das Ver­trauen wiedergewin­nen. Die erste Mass­nahme ist die Ein­rich­tung ein­er schweizweit­en Meldestelle, die voll­ständig unab­hängig ist, das ist sehr wichtig.

Und weit­er?
Der Entscheid, keine Akten mehr zu ver­nicht­en. Wir stellen uns bei diesem Vorge­hen sog­ar gegen das Kirchen­recht. Wir tun das, weil es wichtig ist, dass die Fälle, die erst zu einem späteren Zeit­punkt gemeldet wer­den, nachvol­l­zo­gen wer­den kön­nen. Bei der Auswahl des Per­son­als wollen wir einen Stan­dard set­zen, der über­all gilt: in Klöstern, in Män­ner- und Frauenge­mein­schaften, für Priester, für alle, die in der Seel­sorge tätig sind. Dieser Stan­dard soll kon­trol­liert und die Mass­nah­men zur Ein­hal­tung entsprechend angepasst wer­den.

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Was denken Sie über den geforderten Kul­tur­wan­del?
Dieser ist – Gott sei Dank – schon lange im Gang. Ein Aspekt des Kul­tur­wan­dels bet­rifft die Sex­ual­moral. Man hat alles auf das sech­ste Gebot gelenkt, den Men­schen ins Schlafz­im­mer geschaut und sie danach beurteilt. Wir müssen von ein­er Spezial­moral zu ein­er über­greifend­en Ethik gelan­gen. Wie lebt ein Men­sch? Wie ist sein Ver­hält­nis zur Schöp­fung? Wie gestal­tet der Men­sch seine Beziehun­gen? Wie geht er mit sein­er Zeit um? Wir müssen den Men­schen gröss­er denken, wie das Papst Franziskus in sein­er Enzyk­li­ka «Lauda­to Sì» in Bezug auf die Bewahrung der Schöp­fung vorschlägt. Aber einen Kul­tur­wan­del kann man nicht befehlen. Der braucht Zeit.

Das Argu­ment, es brauche Zeit, stimmt nicht. Die Kirche hinkt bezüglich der Sex­ual­moral der Mehrheits­ge­sellschaft hin­ter­her.
Ich glaube nicht, dass sich der Kul­tur­wan­del vol­l­zo­gen hat. Schauen Sie sich das Ver­hält­nis der Men­schen zum Geld an.

Ich spreche von der Sex­ual­moral…
…dann machen Sie den Fehler, den Sie der Kirche vor­w­er­fen. Sie schauen nur auf die Sex­ual­moral. Die ist nicht ein­fach schlecht. Die Forderung der Sex­ual­moral nach tragfähi­gen Beziehun­gen zwis­chen Men­schen, die miteinan­der intim sind, ist doch nichts Schlecht­es.

Ich spreche davon, dass der Sex homo­sex­ueller Men­schen nicht zuläs­sig sei, wie das Bischof Bon­nemain jüngst in der Sam­stagsrund­schau erk­lärt hat. Wie kann die kirch­liche Lehre die Sex­u­al­ität als ein primäres Bedürf­nis des Men­schen bes­tim­men und es gle­ichzeit­ig einem Teil der Men­schen absprechen?
Die Sex­ual­moral ist ein Teil der Lehre der Kirche. Auch dieser Teil der Lehre wird sich weit­er­en­twick­eln. Weil diese Lehre immer alle bet­rifft, braucht die Entwick­lung Zeit, es geht langsam. Für mich ist ein Men­sch ein Men­sch, seine sex­uelle Ori­en­tierung geht mich nichts an und ich beurteile ihn nicht danach. Es war ein Fehler der Kirche nur auf diese Ori­en­tierung zu schauen. Wir müssen den Men­schen inte­gral denken.

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Am 21. April 2023 haben Sie gegenüber kath.ch im Hin­blick auf die Veröf­fentlichung der Pilot­studie in einem Inter­view gesagt: «Ich weiss nicht, was man mir vor­w­er­fen kön­nte.» Wie beurteilen Sie Ihre Aus­sage von damals?
Ich würde das wieder so sagen. Ich komme in dieser Studie nicht vor.

Dann wur­den Sie kom­plett über­rumpelt von den Vor­wür­fen der Ver­tuschung?
Sagen Sie mir, was Ver­tuschung ist.

Wenn man etwas nicht meldet, was man melden sollte.
Als Bischof kann ich mich auf Grund des Amts­ge­heimniss­es und aus Daten­schutz­grün­den oft nicht frei äussern. Dadurch entste­ht ein Ungle­ichgewicht bezüglich der Infor­ma­tion. Die meis­ten Vor­würfe in der Presse bleiben so unkom­men­tiert. Dass die Vorun­ter­suchung im pub­lik gewor­de­nen Fall fälschlicher­weise abgeschlossen und die Akten nicht nach Rom geschickt wur­den, waren Fehler. Diese habe ich zugegeben, bereut und wieder gut­gemacht, indem ich die Akten nach Rom geschickt habe.

Ihr Ruf lei­det.
Mir geht es nicht um meinen Ruf. Wichtig sind die Betrof­fe­nen.

…Sie sind Repräsen­tant der Kirche und mit Ihrem Ruf lei­det der Ruf der Kirche.
Dann lei­den die Gläu­bi­gen, was ich sehr bedau­re.

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Wenn noch ein­mal April wäre, was wür­den Sie anders machen?
Wenn ich in der Ver­gan­gen­heit Pri­or­itäten set­zen musste, habe ich das gerechte Ver­fahren im Blick gehabt. Mit der Zeit habe ich gel­ernt, dass ich mehr auf die Per­spek­tive der betrof­fe­nen Per­son schauen muss. Jet­zt hat sich bestätigt, dass die Betrof­fe­nen­per­spek­tive die Richtige ist. Die Entschei­dun­gen, die ich vor dieser Erken­nt­nis getrof­fen habe, kann ich nicht mehr ändern.

Auf die Rück­tritts­frage haben Sie geant­wortet, dass Sie nicht davon­laufen wollen. Wie kön­nen Sie Teil der Lösung sein, wenn Sie das Ver­trauen viel­er Men­schen ver­loren haben?
Ich würde es gemein find­en, diese Arbeit im jet­zi­gen Zeit­punkt jemand anderem zu über­lassen. Weglaufen ist keine Lösung. Zusam­men mit der staatskirchen­rechtlichen Seite und den Ordens­ge­mein­schaften will ich die notwendi­gen Schritte in die Zukun­ft machen .

Haben Sie deren Rück­halt noch? Rena­ta Asal-Ste­ger, Präsi­dentin der RKZ, sprach in der Presse davon, Gelder an die Bischof­skon­ferenz einzufrieren.
Das müssen Sie nicht mich fra­gen. Was wäre der Grund, warum ich zurück­treten müsste? Selb­st wenn ich Fehler gemacht habe, sind das keine Straftat­en. Ich bin kein Angeklagter. Auch wenn man mich in der Presse als Scheusal hin­stellt, bin ich kein Angeklagter. Ich habe den Brief der RKZ gele­sen, ich äussere mich nicht dazu. SBK und RKZ haben 2015 eine Vere­in­barung zur Zusam­me­nar­beit unterze­ich­net, daran halte ich mich.

Was würde passieren, wenn das Geld nicht mehr bezahlt wird?
Das weiss ich nicht. Bis jet­zt kommt das Geld. Aber der Glaube und die Kirche hän­gen nicht vom Geld ab. Wenn etwas am Geld scheit­ert, kön­nen wir sowieso zusam­men­pack­en.

Wo müssten Sie sparen, wenn das Geld aus­bliebe?
Am Per­son­al.

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Im oben erwäh­n­ten Inter­view sagten sie, dass Sie ihrem Vorgänger Kurt Koch ver­traut­en, dass dieser alles nach bestem Wis­sen und Gewis­sen gemacht habe. Ist dieses blinde Ver­trauen ange­bracht?
Ich kenne Kar­di­nal Kurt Koch gut, darum habe ich das gesagt. Ich habe keinen Anlass, das Gegen­teil zu denken.

Sie üben Unge­hor­sam gegenüber dem Kirchen­recht, wenn Sie die Akten nicht mehr zer­stören. Wo haben Sie son­st noch Spiel­raum für Unge­hor­sam zu Gun­sten der Men­schen in der Kirche?
Es kommt darauf an, was das Ziel ist, wenn man eine Regel teil­weise oder gar nicht anwen­det. Das Ziel im vor­liegen­den Fall des sex­uellen Miss­brauchs muss sein, die grösst­mögliche Gerechtigkeit wal­ten zu lassen gegenüber den betrof­fe­nen Men­schen. Das ist ein gutes Ziel. Im Übri­gen bin ich überzeugt, dass wir in der Schweiz viele Spiel­räume nutzen. Bei uns predi­gen Men­schen, die wed­er Diakone noch Priester sind. Das ist regel­widrig. Es ist wichtiger, dass die Gläu­bi­gen eine gute Predigt ein­er The­olo­gin oder eines The­olo­gen hören, als nichts. Denn das Wichtig­ste ist, dass das Evan­geli­um unter die Men­schen kommt.

Die Kirchge­meinde Adli­genswil will das Geld für das Bis­tum auf ein Sper­rkon­to leg­en und ruft andere Kirchge­mein­den dazu auf, es ihnen gle­ich zu tun. Was sagen Sie dazu?
Die Finanzierung der Bis­tumsver­wal­tung läuft über die Lan­deskirche, nicht über die einzel­nen Kirchge­mein­den. Die Auf­sichts­be­hörde ist die Lan­deskirche. Ich kann das nur zur Ken­nt­nis nehmen.

Die Gläu­bi­gen nützen die Möglichkeit­en, die das duale Sys­tem bietet, um Druck zu machen. Sie kön­nten diesen Druck als Hil­festel­lung sehen und als Argu­ment mit nach Rom nehmen.
Ich glaube nicht, dass das Vorge­hen der Kirchge­meinde eine Hil­festel­lung ist, son­dern ein Protest. Sie haben nicht mit mir gesprochen, ich weiss nicht genau, was sie wollen.

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Was denken Sie, welche Botschaft steckt hin­ter den Kirchenaus­trit­ten, die sich nun häufen?
Ich bedauere jeden einzel­nen Aus­tritt. Die Men­schen wollen mit der Kirche nichts mehr zu tun haben, das lese ich in den Zuschriften, die ich bekomme. Viele wollen schon lange nichts mehr mit der Kirche zu tun haben, und jet­zt gehen sie. Das ist schlimm.

Die Kri­tikpunk­te sind offen­sichtlich. Ich komme nochmals auf den Kul­tur­wan­del zu sprechen. Die Men­schen wollen diesen Wan­del jet­zt.
Was genau muss sich ändern?

Der Pflichtzöli­bat, die Diskri­m­inierung der Frauen.
Und dann wäre alles gut?

Nein, aber es wäre ein Beweis für den Kul­tur­wan­del.
Dafür set­zte ich mich schon immer ein in Rom, auch jet­zt in der Syn­ode. Ich kann das nicht allein machen. Die Weltkirche ist gross und die Schweiz ein kleines Land. Die Weltkirche bewahrt uns davor, prov­inziell zu wer­den. Ich habe von inte­graler Ethik gesprochen. Es hat einen Ein­fluss auf die ganze Welt, wie wir uns hier benehmen. Wir müssen gröss­er denken im Aus­tausch mit Men­schen auf der ganzen Welt. In vie­len Fra­gen – auch in Bezug auf die Diskri­m­inierung der Frau und den Zöli­bat – tre­f­fen wir uns; aber wir müssen diese Fra­gen je nach kul­turellem Hin­ter­grund umset­zen, darum dauert die Umset­zung lange.

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Sie haben in einem Inter­view an der Medi­enkon­ferenz gesagt, dass sie ohn­mächtig sind. Wie meinen sie das?
Gegen die Dro­hun­gen, die Gelder für das Bis­tum zurück­zuhal­ten, bin ich macht­los. Diesen Druck halte ich für das falsche Vorge­hen, gesunde Änderun­gen zu erzie­len. Druck erzeugt Gegen­druck und die Men­schen reagieren mit Ärg­er. Dass sich etwas ändern muss, ist klar. Der Zöli­bat ist nur ein The­ma. Es geht grund­sät­zlich­er um das Priester­bild. Um die Stel­lung eines Priesters in der Gemeinde. An vie­len Orten ist der Priester nach wie vor eine her­aus­ra­gende Fig­ur. Da hat sich der vielbeschworene Kul­tur­wan­del noch nicht vol­l­zo­gen. Manch­mal ist die her­aus­ra­gende Fig­ur auch ein Gemein­deleit­er.

Es geht nicht nur um das Priester­bild, son­dern auch um das Wei­hev­er­ständ­nis.
Es geht darum, was mit der Wei­he zusam­men­hängt. Das müssen wir unbe­d­ingt disku­tieren. Aber dies­bezüglich gibt es sehr ver­schiedene Mei­n­un­gen.

Haben wir in der Schweiz noch Zeit für diese lang­wieri­gen Diskus­sio­nen? Laufen wir nicht Gefahr, zu einem kleinen Haufen katholis­ch­er Tra­di­tion­al­is­ten zu wer­den, wenn die Men­schen der Kirche angewidert den Rück­en kehren?
Wir dür­fen nicht ein­fach alles über Bord wer­fen. Wenn wir die Wei­he abschaf­fen, dann sind wir nicht mehr römisch-katholisch. Wir müssen uns die Zeit für den syn­odalen Prozess nehmen.

Was nehmen Sie mit an die Syn­ode und was erwarten Sie von ihr?
Ich nehme das Haup­tan­liegen unser­er Leute mit. Das ist der Zugang der Frauen zu den Ämtern. Und ich erwarte gute Diskus­sio­nen und viel Aus­tausch. Die Kirche hat den Weg des syn­odalen Prozess­es eingeschla­gen. Dieser Weg ist gang­bar, er ist prag­ma­tisch und darum gibt er mir auch Hoff­nung. Ich finde das Pro­jekt super, für die ganze Welt etwas zu tun. Der Syn­odale Prozess ist für alle und nicht nur für uns hier in der Schweiz.

Woraus schöpfen Sie in dieser Zeit ihre Kraft?
Ich glaube an Gott und aus ihm schöpfe ich meine Kraft. Ich bete Psalmen und feiere Messen. Ich bekomme Kraft, wenn ich genug schlafe, das ist im Moment nicht der Fall.

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Eva Meienberg
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