Das natürliche Ende achten

Der Leben­san­fang, Schwanger­schaft und Geburt, wer­den heutzu­tage fast exhi­bi­tion­is­tisch präsen­tiert und öffentlich gemacht. Doch wie ist es mit Krankheit, Lei­den und Ster­ben? Dem Lebensende? Der Tod ist nach wie vor ein Tabuthe­ma. Nur zöger­lich, meist im Zuge von Diskus­sio­nen um Ster­be­hil­fe­or­gan­i­sa­tio­nen wie «Exit» und «Dig­ni­tas» scheint sich das The­ma ins Bewusst­sein zu schieben. Umso wichtiger sind Organ­i­sa­tio­nen wie der Aar­gauer Hos­piz-Vere­in zur Begleitung Schw­erkranker, der Ster­bende durch ihre let­zten Wochen begleit­et, ihre Fam­i­lien durch die ambu­lante Betreu­ung ent­lastet oder ihnen sta­tionär ein würdi­ges Abschied-Nehmen vom Leben ermöglicht. Im Gespräch erläutern Anna Schütz, Co-Präsi­dentin des Vere­ins, und Els­beth Regez, Ver­ant­wortliche für Öffentlichkeit­sar­beit, was ihnen im Hin­blick auf die Arbeit des Hos­piz-Vere­ins und dessen Ein­bet­tung in das Gesund­heitswe­sen des Kan­tons Aar­gau wichtig ist. Wie ent­stand der Aar­gauer Hos­piz-Vere­in zur Begleitung Schw­erkranker? Els­beth Regez: Der Vere­in wurde vor fast 20 Jahren von Louise Thut gegrün­det. Eine ihrer Fre­undin­nen in den USA starb an Krebs, und Louise Thut hat in diesem Zusam­men­hang die Ideen von Cice­ly Saun­ders, der «Mut­ter» der mod­er­nen Hos­pizidee, ken­nen gel­ernt. Louise Thut war der Mei­n­ung, dass so etwas auch in der Schweiz nötig sei und möglich ist. Es dauerte dann noch einige Jahre, bis das erste Hos­piz eröffnet wer­den kon­nte, aber sie hat es geschafft. Anna Schütz: Louise Thut ist mit­tler­weile Mitte 80. Ein unglaublich liebevoller Men­sch. Es ist bewun­dern­swert, wie sie schon 60-jährig begonnen hat ein Net­zw­erk zu schaf­fen, die Gelder zusam­men zu brin­gen, um dieses Pro­jekt auf die Beine zu stellen. Sie zeigt damit ein­drück­lich, dass es möglich ist, einen Herzenswun­sch zu ver­wirk­lichen, wenn man mit Opti­mis­mus und Herzblut an die Umset­zung geht. Diesen Opti­mis­mus strahlt sie auch heute noch aus.Hat es aus finanziellen Grün­den länger gedauert, oder weil der Tod ein Tabuthe­ma ist? Anna Schütz: Es lag sich­er an bei­dem. Ausser­dem ist es eine Frage der Zeit und der Möglichkeit­en. Els­beth Regez: Die Frage nach den Finanzen stellt sich tat­säch­lich immer wieder. Wir kön­nen zwar seit Anfang des Jahres im Hos­piz mit den Krankenkassen abrech­nen, aber um die Aus­bil­dung, Super­vi­sion oder Fort­bil­dun­gen unser­er Mitar­bei­t­en­den zu bezahlen, sind wir auf Spenden und Legate angewiesen. Wir erhal­ten keine kan­tonalen Sub­ven­tio­nen.Das heisst, Sie wün­schen sich, Teil des Aar­gauer Gesund­heitswe­sens zu sein? Anna Schütz: Die Frage ist eher, ob es nicht aus gesellschaft­spoli­tis­chen Grün­den sin­nvoll wäre, dass der Kan­ton das begleit­ete Ster­ben im Hos­piz als eine Möglichkeit wahrn­immt, wie das Lebensende gestal­tet wer­den kann. Ger­ade in ein­er indi­vid­u­al­isierten Welt, in der die Fam­i­lie nicht mehr zwin­gend in der Lage ist, das Ster­ben eines Fam­i­lien­mit­glieds zu tra­gen, sollte der Kan­ton auch auf solche Ange­bote hin­weisen und sie in die Ange­botspalette aufnehmen. Els­beth Regez: Es wäre vielle­icht auch ein Weg, Men­schen zu zeigen, dass es anderes gibt – jen­seits von «Exit» oder «Dig­ni­tas».Was steckt hin­ter dem Begriff Hos­pizs­trate­gie, der eben­falls häu­fig zu lesen ist? Anna Schütz: Als Erk­lärung muss ich vielle­icht sagen, dass der Vere­in nicht nur das Hos­piz mit seinen sechs Bet­ten unter­hält, son­dern dass vorher schon die Möglichkeit der ambu­lanten Begleitung bestanden hat. Ger­ade unsere Frei­willi­gen ermöglichen es uns, dort zu unter­stützen, wo eine Fam­i­lie oder ein Fre­un­deskreis für die let­zte Zeit bere­it ste­ht, aber auch dort, wo nie­mand die Zeit oder Fähigkeit hat den Ster­ben­den zu begleit­en. Als drittes haben wir die offe­nen Trauertr­e­ffs, die ein­laden sich mit anderen Betrof­fe­nen auszu­tauschen. Das heisst, der Vere­in hat drei Säulen: Ambu­lante und sta­tionäre Begleitung und die offe­nen Tre­ffs. Die Strate­gie ist ganz klar, diese Säulen zusam­men­zuhal­ten. Els­beth Regez: Ein ander­er Teil unser­er Strate­gie ist es, sowohl mit bezahltem Per­son­al zusam­men­zuar­beit­en, als auch mit Frei­willi­gen. Im Hos­piz und im ambu­lanten Bere­ich. Ohne die Frei­willi­gen kön­nten wir unsere Arbeit nie leis­ten. Auch beste­ht eine lockere Zusam­me­nar­beit mit dem Pflege­heim Brugg, in welchem wir ein Stock­w­erk gemietet haben.Wie ist der Umgang mit dem The­ma Ster­be­be­gleitung in anderen Kan­to­nen? Els­beth Regez: Stand der Dinge ist im Moment, dass es auf Bun­de­sebene ein Konzept zu «Pal­lia­tive Care» gibt, dass durch die Kan­tone umge­set­zt wer­den soll. Erfahrungs­gemäss macht das jed­er Kan­ton auf seine Weise. Anna Schütz: Der Aar­gau ist jet­zt daran, ein kan­tonales Konzept zu «Pal­lia­tive Care» zu erar­beit­en. Es ist ein Feld, das im Moment im Umbruch ist.Ist der Kan­ton wil­lens, mit Organ­i­sa­tio­nen wie dem Vere­in zusam­men­zuar­beit­en? Anna Schütz: Dazu kön­nen wir zum jet­zi­gen Zeit­punkt nichts Konkretes sagen. Els­beth Regez: Es gibt eine kan­tonale Arbeits­gruppe, die jet­zt das «Pal­lia­tive Care»-Konzept erar­beit­et. Dort sind wir mit einem Vor­standsmit­glied vertreten, gemein­sam mit anderen Organ­i­sa­tio­nen wie der Spi­tex, Alters- und Pflege­heimen und Spitälern. Es gibt in der Schweiz nicht viele Hos­pize, die als Vere­in organ­isiert sind wie wir. Es gibt das Zürcher Light­house oder das Pal­lia­tiv­cen­ter Hilde­gard in Basel. Aber die arbeit­en jew­eils mit Spitälern zusam­men. Eigentlich ist es ver­rückt, dass der Kan­ton Aar­gau als bevölkerungsre­ich­er Kan­ton ins­ge­samt nicht mehr Hos­piz-Bet­ten für Ster­bende zu Ver­fü­gung hat. Anna Schütz: Das ist auch ein wichtiger Punkt unser­er Strate­gie. Wir wollen selb­ständig bleiben und dem Gedanken von Cice­ly Saun­ders verpflichtet bleiben, ganz indi­vidu­ell auf jeden einzel­nen Ster­ben­den einge­hen zu kön­nen und das natür­liche Ende des Lebens zu respek­tieren. Wenn wir zu fest ins Gesund­heitswe­sen eingegliedert sind, beste­ht vielle­icht die Gefahr, dass wir in Abhängigkeit ger­at­en. Wir wollen Teil eines Konzeptes sein, aber nicht in dem Sinne, dass wir eine Spi­ta­l­abteilung sind. Wir erleben, dass Spitäler «Pal­lia­tive Care» anbi­eten und die Leute dann doch wieder nach Hause schick­en müssen. Das wollen wir nicht. Wir wollen Arbeit machen, die nur auf den Men­schen achtet. Wir wollen, dass die Leute die zu uns kom­men und bleiben kön­nen. Ohne Druck. Damit sie ein würdi­ges Lebensende erleben.
Redaktion Lichtblick
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