Tag der offenen Moschee ohne Tabus

Tag der offenen Moschee ohne Tabus

  • Anlässlich der Woche der Reli­gio­nen hat­ten am Sam­stag, 11. Novem­ber 2017, acht Aar­gauer Moscheen zum Tag der offe­nen Moschee ein­ge­laden
  • Hor­i­zonte besuchte die Moscheen von Geben­storf und Buchs, wo sich ein kleines, aber inter­essiertes Pub­likum ein­fand
  • Die Mit­glieder der mus­lim­is­chen Gemein­schaften stell­ten sich der Diskus­sion aktueller und kon­tro­vers­er The­men
 Nur die Sock­en dür­fen über die Schwelle treten, Schuhe oder Stiefel bleiben draussen. Beim Schritt in den Gebet­sraum begrüsst smaragdgrün­er Tep­pich die Fuss­sohlen und fed­ert die Schritte ab. Tep­pich dominiert optisch den Raum. Das passt, denn «Moschee» bedeutet wörtlich «Ort, wo man sich nieder­wirft», wie Halit Duran, Präsi­dent des Ver­bands Aar­gauer Mus­lime (VAM) erk­lärt. Das Nieder­w­er­fen sei Sym­bol dafür, dass man sich Gott hingebe.

Informationen aus erster Hand

Jedes Jahr lädt der Ver­band Aar­gauer Mus­lime (VAM) anlässlich der Woche der Reli­gio­nen zum Tag der Offe­nen Moschee ein. Acht Aar­gauer Moscheen nah­men teil und öffneten am ver­gan­genen Sam­stag ihre Häuser für inter­essierte Besuch­er. «Gele­gen­heit, sich aus erster Hand über den Islam und die in der Schweiz leben­den Mus­li­ma und Mus­lime zu informieren und mit uns zu disku­tieren.», hat­te der Ver­band auf sein­er Web­seite angekündigt und ver­sprochen: «Es gibt keine Tabuthe­men.»

Kleines interessiertes Publikum

In Buchs unter­hält der Türkisch-Islamis­che Vere­in eine Moschee an der Brum­mel­strasse, schräg gegenüber der katholis­chen Kirche. Zu den Fre­itags­ge­beten und an den Feierta­gen besuchen jew­eils 200 – 300 Per­so­n­en die mehrstöck­ige Liegen­schaft. Bis weit über die Kan­ton­s­gren­ze hin­aus kämen die Men­schen zum Gebet, erk­lärte Ali H. (Name von der Redak­tion auf Wun­sch geän­dert) gegenüber Hor­i­zonte. Für den Tag der offe­nen Moschee hat­ten junge Vere­ins­mit­glieder Gebäck, Kuchen und Tee vor­bere­it­et. Allerd­ings liessen sich am ver­gan­genen Sam­stag nur wenige Besucherin­nen und Besuch­er blick­en.In Geben­storf waren – zusam­men mit Medi­en­vertretern – acht Per­so­n­en der Ein­ladung gefol­gt. Ein kleines, aber inter­essiertes Pub­likum. Die Besucherin­nen und Besuch­er nah­men die Ver­anstal­ter beim Wort und sprachen auch The­men wie den Islamis­chen Zen­tral­rat und radikale Has­spredi­ger an. VAM-Präsi­dent Halit Duran war per­sön­lich in Geben­storf anwe­send und stellte sich der Diskus­sion. Auf den Vor­wurf, die Aar­gauer Mus­lime dis­tanzierten sich zu wenig vom Islamis­chen Zen­tral­rat Schweiz (IZRS), stellte er klar: «Der Islamis­che Zen­tral­rat hat im Ver­gle­ich zu sein­er Mit­gliederzahl eine über­pro­por­tionale Medi­en­präsenz. Wir wollen diese nicht fördern, indem wir den IZRS zum The­ma machen.» Auch werde in den Aar­gauer Moscheen kein Pro­pa­gan­da­ma­te­r­i­al des IZRS geduldet.

Moment hätte nicht schlechter sein können

Eine Besucherin sprach die gewalt­same Auseinan­der­set­zung in der Geben­stor­fer Moschee vom ver­gan­genen August an. Dazu nahm der Medi­en­ver­ant­wortliche der Islamis­chen Gemein­schaft Geben­storf Stel­lung: «Diese Stre­it­igkeit­en haben uns als Vere­in geschadet – und der Moment hätte nicht schlechter sein kön­nen.», sagte Emra Ali­jevs­ki. Über die Schlägerei, bei der zwei Per­so­n­en ver­let­zt und etwa 90 Moscheebe­such­er von der Polizei kon­trol­liert wor­den waren, kur­sierten wider­sprüch­liche Ver­sio­nen in den Medi­en. Am Sam­stag betonte Emra Ali­jevs­ki, dass es sich dabei um einen pri­vat­en Stre­it gehan­delt habe, der nichts mit der Gemein­schaft und dem Vor­stand zu tun hat­te: «Durch unglück­liche Kom­mu­nika­tion unser­er­seits standen plöt­zlich Radikalis­musvor­würfe im Raum und es hiess, radikale und pro­gres­sive Mus­lime hät­ten sich gestrit­ten. Doch inner­halb des Vor­stands waren wir uns immer einig, was wir wollen. Radikalis­mus lehnen wir klar ab.»

«Der, der vorne steht»

Im Gebet­sraum ste­hen nur wenige Ein­rich­tungs­ge­gen­stände. Ein Steh­pult und daneben, nach Mek­ka aus­gerichtet, eine Art Holzun­ter­stand mit Mikro­fon davor. Dort ste­ht der Gebet­sleit­er. «Imam» kommt vom ara­bis­chen Wort «Ama­ma» und bedeutet «Der, der vorne ste­ht». In der Geben­stor­fer Moschee gibt es im Moment keinen fes­ten Imam, son­dern wech­sel­nde aus der näheren und weit­eren Umge­bung. Der Vor­stand ist auf der Suche nach einem Imam, der in Geben­storf nicht nur die Gebete leit­et, son­dern auch seel­sorg­er­liche Auf­gaben übern­immt. Keine leichte Auf­gabe. Denn der Vere­in lebt von den Mit­glieder­beiträ­gen und Spenden, das Bud­get ist entsprechend eingeschränkt. Und bei der Wahl eines Imams habe auch die Gemein­schaft der Gläu­bi­gen ein Wörtchen mitzure­den, erk­lärt Emra Ali­jevs­ki.

«Es gibt überhaupt nichts zu verstecken»

Zu reden gegeben hat­te dieses Jahr auch der Imam in Buchs. Seine Verbindung in die Türkei war Gegen­stand ein­er Debat­te, welche die Aar­gauer Zeitung im Früh­ling ent­facht hat­te. Sie enthüllte, dass eine der Erdo­gan-Regierung nah­este­hende Stiftung die Imame für sieben Aar­gauer Moscheen entsendet und finanziert. Experten befürchteten, die Geistlichen kön­nten die Mei­n­ung der Gemein­demit­glieder im Sinne der Erdo­gan-Regierung bee­in­flussen, zumal ein Grossteil der in der Moschee betenden Men­schen nach wie vor das türkische Stimm- und Wahlrecht  besitzt.Der Vor­wurf der Mei­n­ungs­mache basiere auf Unken­nt­nis, stellt Ali H. gegenüber Hor­i­zonte klar. «Die in die Schweiz entsandten Imame verpflicht­en sich schriftlich, dass sie sich hierzu­lande nicht über Poli­tik äussern und auch nicht Stel­lung zur Sit­u­a­tion in der Türkei beziehen dür­fen. Es find­et keine poli­tis­che Bee­in­flus­sung statt. Alle Fre­itagspredigten sind trans­par­ent: Sie wer­den auf Deutsch auf dem Inter­net pub­liziert — es gibt über­haupt nichts zu ver­steck­en.»

Auswahl auf Vertrauensbasis

In der Moschee in Buchs rief Ahmet A. zum Mit­tags­ge­bet. Sich­er intonierte er die anspruchsvollen Ton­fol­gen und unter­stützte Ali H., der anstelle des Imams das Gebet leit­ete. Dieser weile aktuell für mehrere Wochen in der Türkei. Der­weil übernehmen etwa zehn Vere­ins­mit­glieder, die vom Imam sorgfältig auf diese Auf­gabe vor­bere­it­et wur­den, die Gebet­sleitung. «Die Auswahl erfol­gte auf Ver­trauens­ba­sis», erk­lärte Ali H., der sich nicht nur im Vor­stand des Türkisch-Islamis­chen Vere­ins Buchs engagiert, son­dern dieses Jahr auch Vor­standsmit­glied im Ver­band Aar­gauer Mus­lime (VAM) gewor­den ist. Wichtig sei, dass man den Koran kor­rekt rez­i­tiere. Während eines Jahres hat sich Ali H. auf diese Auf­gabe vor­bere­it­et. Gle­ich­es gilt für Ahmet A., der als Muezzin zum Gebet ruft. «Bevor man sich für diese Auf­gabe vor­bere­it­en kann, muss man Ara­bisch gel­ernt haben und den Koran lesen kön­nen», erk­lärte der 21-Jährige. Dinge, die in der Koran­schule des Vere­ins unter­richtet wer­den. Als Muezzin müsse man Texte auswendig sin­gen. «Bis ich das sich­er vor der ver­sam­melten Gemeinde kon­nte, musste ich ein Jahr lang wöchentlich üben.»

Freiwilligenarbeit und Herzblut

Die Moschee in Geben­storf wurde im Mai eröffnet. Vorher hat­te die Gemein­schaft ihre Moschee während zwanzig Jahren in Kirch­dorf. Weil der dor­tige Raum zu klein und vor allem auch die Park­plätze zu knapp waren, kaufte der Vere­in eine ehe­ma­lige Pizze­ria an der Land­strasse in Geben­storf. Der Bau der Moschee war umstrit­ten und der Geben­stor­fer Gemein­der­at hat­te die Umbaube­wil­li­gung erst nach langer juris­tis­ch­er Auseinan­der­set­zung und einem Ver­wal­tungs­gericht­sentscheid erteilt. Ab Som­mer 2016 hat­ten die Vere­ins­mit­glieder in einem acht­monati­gen Kraftakt das Restau­rant zum Islam-Zen­trum umge­baut. Vor­standsmit­glied Rushit Ali­ju zeigt Bilder des Umbaus und sagt: «Jew­eils an den Woch­enen­den und nach Feier­abend haben unsere Leute hier gear­beit­et. In diesem Gebäude steckt viel Frei­willi­ge­nar­beit». Das Herzstück, der Gebet­sraum, liegt im Erdgeschoss. Im Stock darüber ist Platz für Koranstudi­um und Freizeit. Im Keller kön­nte ein Gebet­sraum für Frauen entste­hen. Sie beten im Moment im hin­teren Teil der Moschee, jedoch sei es tra­di­tionell so, dass Män­ner in der Moschee beten und die Frauen zu Hause.

Frauentreff am Freitagmorgen

Die Frauen tre­f­fen sich in der Geben­stor­fer Moschee jew­eils am Fre­itag­mor­gen zwis­chen 9 und 11 Uhr, wenn die Kinder in der Schule sind. Das Ange­bot richtet sich an mus­lim­is­che Frauen aller Natio­nen, das Pro­gramm reicht von Koranstudi­um bis zu Diskus­sion­srun­den zu aktuellen The­men. Im Moment seien sie eine Gruppe von etwa 15 Frauen, die sich wöchentlich tre­f­fen, erzählt Zinet Duran, die Ehe­frau von Halit Duran. Die Sprache sei Deutsch, es seien aber auch Frauen her­zlich willkom­men, welche diese Sprache erst noch ler­nen müssten. 
Marie-Christine Andres Schürch
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