Steiniger Weg in ein zweites Leben

Steiniger Weg in ein zweites Leben

In Suhr bemüht sich der Kan­ton Aar­gau um die Inte­gra­tion von jugendlichen Flüchtlin­gen. Anlässlich des Flüchtlingsson­ntags und des Welt­flüchtlingstags öff­nen Flüchtling­sun­terkün­fte am 18. Juni ihre Türen.Im zwölften Stock des ehe­ma­li­gen Schwest­ern­haus­es des Kan­ton­sspi­tals Aarau ist der Aus­blick grandios, doch dem 18-jährige Zedan ist er nicht weit genug. Der Irak, wo seine jesidis­chen Eltern leben, liegt jen­seits des Hor­i­zonts. Dieser beschränkt sich für Zedan und seinen Brud­er in Aarau auf ein enges Zim­mer, 70 Franken pro Woche und die Aus­sicht, es mit Ehrgeiz und Glück hier schaf­fen zu kön­nen.Auf seinem Arbeit­stisch liegen Deutschübung­shefte. Der junge Mann, der mit­tler­weile die Kan­tonale Schule für Berufs­bil­dung besucht, will KFZ-Mechaniker wer­den. Vor anderthalb Jahren kam er mit seinem Brud­er in die Schweiz – ohne erwach­sene Begleitung. UMA – Unbe­gleit­eter Min­der­jähriger Asyl­suchen­der, heisst das im Behör­den­jar­gon. Seine Mut­ter ver­misst Zedan sehr. Seit sein­er Flucht tele­foniert er ab und zu mit ihr.

Tag der offenen Tür

103 männliche Jugendliche wie Zedan sind in dem etwas herun­tergekom­men anmu­ten­den Hochhaus an der Zoll­strasse in Suhr ein­quartiert. Der Zugang führt über einen Wach­mann in die Stock­w­erke acht bis zwölf. Dort leben 20 Jugendliche pro Stock­w­erk, max­i­mal zwei Jugendliche pro Zim­mer. Betreut wer­den die jun­gen Leute von gegen­wär­tig 11 Sozialar­beit­ern, Sozialpäd­a­gogen, Fach­be­treuern und anderen Spezial­is­ten wie Kul­turver­mit­tlern.Am Sam­stag, den 18. Juni, hat das ehe­ma­lige Schwest­ern­haus am Zoll­weg 14 in Suhr anlässlich des Flüchtlingsson­ntags und des Welt­flüchtlingstags für die Öffentlichkeit von 10 bis 14 Uhr geöffnet. Dies im Rah­men ein­er Aktion der Aar­gauer Lan­deskirchen, der kirch­lichen Hil­f­swerke Car­i­tas und Heks, zusam­men mit dem Kan­ton und dem Vere­in Net­zw­erk Asyl.

Explosive Mischung

Dieter Hae­fe­li hat aktuell die Ver­ant­wor­tung für die UMAS im ehe­ma­li­gen Schwest­ern­haus an der Zoll­strasse. Sein Büro hat der Flüchtlings­be­treuer im 12. Stock, wo Zedan und sein Brud­er wohnen. «Mehrheitlich leben Afgha­nen und Eritreer hier, es hat aber auch Syr­er, Soma­lies, Äthiopi­er, Mar­rokan­er und Irak­er hier», erzählt Dieter Hae­fe­li. Die Betreu­ung sei keine leichte Auf­gabe. Die Jugendlichen hät­ten auf­grund ihrer Flucht und der Tren­nung von ihren Eltern einen schw­eren Ruck­sack. Hinzu kämen die Kon­fronta­tion mit ein­er völ­lig anderen Kul­tur und Sprache. Und natür­lich habe man da noch die für das Alter üblichen Her­aus­forderun­gen der Pubertät. Kon­flik­te seien vor­pro­gram­miert, Alko­hol immer mal wieder ein The­ma.

Zu wenig Platz in Deutschkursen

Dieter Hae­fe­li und das übrige Betreu­ungsper­son­al pfle­gen einen inten­siv­en Kon­takt mit den Jugendlichen, ver­ständi­gen sich mit ihnen teils mit Hän­den und Füssen. Es gilt, die Regeln für das Leben auf eng­stem Raum in der Asy­lun­terkun­ft durchzuset­zen, Bil­dungsange­bote zu ver­mit­teln und die jun­gen Leute in ihrem Asylver­fahren zu bel­gleit­en. «Es hat nach wie vor zu wenig Plätze in den beste­hen­den Schu­lungsange­boten«, erk­lärt Dieter Hae­fe­li. Die Folge: Einige der Jugendlichen kom­men mit Deutsch schon recht gut klar, andere wiederum tun sich sehr schw­er mit der Sprache, obwohl sie bere­its über ein Jahr in der Schweiz leben.Prob­lema­tisch sei zudem, dass alle Jugendlichen, die älter als 16 Jahre sind, nicht mehr schulpflichtig seien, also nicht mehr eingeschult wer­den. Sie müssen auf andere Bil­dungsange­bote auswe­ichen. Zum Glück gebe es aber von ver­schiede­nen Anbi­etern Ange­bote für diese Jugendlichen. Seit­ens des Vere­ins Net­zw­erk Asyl beispiel­sweise sog­ar eine Art Schule mit Tages­be­trieb, wo über den Deutschunter­richt hin­aus auch andere Fäch­er unter­richtet wer­den. Dieses Bil­dungsange­bot soll die Jugendlichen auf eine kün­ftige Beruf­slehre oder Arbeitsstelle vor­bere­it­en. Der Kirchen­rat der Römisch-Katholis­chen Lan­deskirche Aar­gau unter­stützt dieses Pro­jekt mit 5 000 Franken.Zum Glück gin­ge es bei Jugendlichen wenig­stens mit den Asylver­fahren schnell, erk­lärt Dieter Hae­fe­li. «Und sobald dann ein Jugendlich­er ein­mal vor­läu­fig aufgenom­men ist, greift die Förderung mit dem Ziel, dass er die Sprache lernt und her­nach via Beruf­ss­chule eine Lehre begin­nen kann.» Zurück­geschafft wür­den nur ganz wenige. «Jugendliche gel­ten als beson­ders schützenswerte Per­so­n­en. Da ist man mit Rück­führun­gen sehr zurück­hal­tend», so Dieter Hae­fe­li.

Gläubige Jugendliche

Reli­gion hat bei den Jugendlichen einen hohen Stel­len­wert. «Die meis­ten Eritreer sind christlich Ortho­doxe», erk­lärt Dieter Hae­fe­li. So auch Samiel Teklay. Der 17-Jährige geniesst mit einem B‑Ausweis Flüchtlingssta­tus nach Schweiz­er Kri­te­rien und besucht wie Zedan die Kan­tonale Beruf­ss­chule. Seit zwei Jahren ist der gebür­tige Eritreer in der Schweiz. Via Sudan und Lybi­en kam er übers Mit­telmeer nach Ital­ien. Um seinen Hals trägt er eine Han­fkette mit einem Holzkreuzan­hänger. Regelmäs­sig besucht Samiel die Gottes­di­en­ste der ortho­dox­en Gemeinde im Telli­quarti­er. Aber auch in der «Kirche beim Bahn­hof» sei er schon gewe­sen, erzählt er. Beim Beten denkt der 17-Jährige viel an seine Fam­i­lie. Alle zwei Wochen kann er wenig­sten mit seinen Eltern tele­fonieren.«Für uns als Betreuer ste­ht die Reli­gions­frage nicht im Vorder­grund», erk­lärt Dieter Hae­fe­li, aber man trage den Bedürfnis­sen der Jugendlichen Rech­nung. So wurde beispiel­sweise im 9. Stock des ehe­ma­li­gen Schwest­ern­haus­es ein Raum reserviert, in dem die Jugendlichen beten und sich inner­lich sam­meln kön­nen. Auch habe man bere­its mit Reli­gionsvertretern zusam­mengear­beit­et, wenn es Ver­hal­tensprob­leme gab. «Die Jugendlichen kön­nen sich prak­tizieren­den Reli­gion­s­ge­mein­schaften anschliessen, wenn sie das möcht­en, so Dieter Hae­fe­li. Einzig Mis­sion werde nicht geduldet.  
Andreas C. Müller
mehr zum Autor
nach
soben