Der Beicht­stuhl heu­te: Läde­li, Abstell­raum und Notausgang

Der Beicht­stuhl heu­te: Läde­li, Abstell­raum und Notausgang

  • seit Jah­ren ver­än­dert sich die Beicht­pra­xis. Statt der Ein­zel­beich­te besu­chen Men­schen gemein­schaft­li­che Buss­fei­ern, Beicht­ge­sprä­che oder Ver­söh­nungs­we­ge. Mit Kon­se­quen­zen für den tra­di­tio­nel­len Beichtstuhl.
  • Hori­zon­te ging der Fra­ge nach, wie denn die tra­di­tio­nel­len Beicht­stüh­le heut­zu­ta­ge noch ver­wen­det wer­den und ent­deck­te Erstaunliches.
Wer in einer Kir­che einen Blick in den Beicht­stuhl wagt, sieht sich oft mit einem krea­tiv genutz­ten Abstell­raum kon­fron­tiert. Was zunächst ein Schmun­zeln oder Kopf­schüt­teln pro­vo­ziert, ist Aus­druck einer «Umnut­zung en minia­tu­re». Die Beicht­pra­xis hat sich in den letz­ten Jah­ren und Jahr­zehn­ten ver­än­dert, die klas­si­schen Beicht­stüh­le wer­den kaum mehr benutzt.

«Beich­ten ist out»

«Beich­ten ist out» über­schreibt das Schwei­ze­ri­sche Pasto­ral­so­zio­lo­gi­sche Insti­tut (SPI) in St. Gal­len die ent­spre­chen­de Sta­ti­stik für das Jahr 2016. Die Tabel­le zeigt deut­lich, regel­mäs­si­ge Beicht­zei­ten wer­den in den mei­sten Pfar­rei­en des Bis­tums Basel prak­tisch nur noch zu kirch­li­chen Hoch­fe­sten ange­bo­ten. Vie­ler­orts wird gar kei­ne Beicht­mög­lich­keit für Erwach­se­ne ange­bo­ten. Regel­mäs­sig –das heisst wöchent­lich oder öfter, monat­lich oder alle zwei bis drei Wochen – bie­ten nur ins­ge­samt 89 Pfar­rei­en bezie­hungs­wei­se Pfar­rei­ver­bän­de Bicht­mög­lich­kei­ten an. Zwar gebe es kei­ne lang­jäh­ri­gen Beicht­sta­ti­si­ken, doch es sei kein Geheim­nis, dass das Beicht­sa­kra­ment in den letz­ten Jahr­zehn­ten eine eigent­li­che Ero­si­on erlebt habe, heisst es im erklä­ren­den Begleit­text zur Tabel­le. Die Ero­si­on grün­de sowohl in der feh­len­den Nach­fra­ge als auch im teil­wei­sen Rück­gang der Prie­ster­zah­len.

Vasen, Staub­sauger und Co

Wenn die Beicht­stüh­le nicht mehr als sol­che genutzt wer­den, liegt eine prag­ma­ti­sche Ver­wen­dung nahe. Sei es, dass im Veren­a­mün­ster in Bad Zurz­ach ein Schrei­ner Bret­ter ein­zog und der Beicht­stuhl eine Zeit­lang zum «Veren­alä­de­li» wur­de oder dass Sakri­stane die klei­nen Räu­me als Lager für Vasen, Weih­nachts­de­ko­ra­tio­nen oder Staub­sauger ver­wen­den. Auch the­men­be­zo­ge­ne Lage­rung kommt vor: In einer Kir­che im Drei­län­der­eck wird die Tai­zé-Iko­ne für das regel­mäs­si­ge Tai­zé-Gebet im Beicht­stuhl auf­be­wahrt. Die Beicht­pra­xis hängt viel­fach am Pfar­rer einer Gemein­de. Bie­tet er regel­mäs­si­ge Beicht­zei­ten an oder nicht. Meist wer­den gemein­schaft­li­che Ver­söh­nungs­fei­ern orga­ni­siert oder Ver­söh­nungs­we­ge ange­bo­ten.

Es braucht einen gewis­sen Druck zur Versöhnung

Der Blick in den Pasto­ral­raum Aar­gau­er Lim­mat­tal offen­bart ver­schie­de­ne Her­an­ge­hens­wei­sen: Mar­tin von Arx, Kate­chet und Jugend­ar­bei­ter in der Pfar­rei Neu­en­hof, macht mit dem Ver­söh­nungs­weg gute Erfah­run­gen. An einem Mitt­woch im Jahr wer­de die­ser für die Schü­ler der 4. Klas­se ange­bo­ten, am fol­gen­den Don­ners­tag und Frei­tag für die Firm­lin­ge (Jugend­li­che ab 17 Jah­ren). «Die Eltern der Schü­le­rin­nen und Schü­ler und die Paten der Firm­lin­ge beglei­ten sie. Die Reak­tio­nen auf den Ver­söh­nungs­weg sind eigent­lich immer posi­tiv.» Es sei eine schö­ne Erfah­rung. Bei den Firm­lin­gen, die den Weg mit ihren Firm­pa­tin­nen und ‑paten gin­gen, kämen in der Regel gute Gesprä­che zustan­de, prä­zi­siert Mar­tin von Arx. Er sagt aber auch, dass die Leu­te nicht von sich aus kämen, da sie die­se Mög­lich­keit des Umgangs mit Schuld und Ver­söh­nung heut­zu­ta­ge nicht mehr ken­nen.In den Wet­tin­ger Pfar­rei­en Sankt Anton und Sankt Seba­sti­an sowie in Würen­los wer­den Ein­zel­beich­ten zu jeder Zeit ange­bo­ten. Ulri­ke Zim­mer­mann, Gemein­de­lei­te­rin ad inte­rim, ver­weist auf die Tele­fon­num­mern, die im Hori­zon­te ver­öf­fent­licht wer­den. «Unse­re Pfar­rei­se­kre­ta­ria­te ver­mit­teln aus­ser­dem den Kon­takt zu einem Prie­ster. In allen drei Pfar­rei­en wer­den jeweils in der Fasten- und in der Advents­zeit pro Pfar­rei je eine Buss- und Ver­söh­nungs­fei­er ange­bo­ten», erläu­tert Ulri­ke Zim­mer­mann. Die Seel­sor­ge­rin macht deut­lich: «Ob und wenn ja wel­che Gegen­stän­de in den Beicht­stüh­len gela­gert wer­den, bespricht der zustän­di­ge Haus­wart oder Sakri­stan mit der Lei­tung der Pfar­rei».

Ele­gant umge­nutzt: Als Notausgang

Trotz des Beicht­an­ge­bots wer­den in Sankt Seba­sti­an und Sankt Anton in Wet­tin­gen die tra­di­tio­nel­len Beicht­stüh­le nicht mehr als sol­che genutzt. In Sankt Anton schon so lan­ge, dass einer der Beicht­stüh­le zum Not­aus­gang umge­nutzt wur­de. Reto Nuss­bau­mer, Denk­mal­pfle­ger des Kan­tons Aar­gau wirft einen Blick in die Akten: «Im Jahr 2000 wur­de eine Innen­re­no­va­ti­on der 1954 ein­ge­weih­ten Kir­che not­wen­dig. Die Beicht­stüh­le wer­den bereits in den dama­li­gen Plan­un­ter­la­gen als Lager­raum bezeich­net. Der Beicht­stuhl an sich wur­de dann so belas­sen und ein Durch­bruch nach Aus­sen gemacht. Das ist eine sehr gelun­ge­ne Umnut­zung, die ele­gant das Innen­bild der Kir­che bewahrt. Unter Schutz gestellt wur­de Sankt Anton dann 2007». Wenn ein Beicht­stuhl bau­zeit­lich sei, also von Anfang an ins Gesamt­bild der Kir­che gehö­re, emp­feh­le man, die­sen zu belas­sen, so Reto Nuss­bau­mer. Nach­träg­lich ein­ge­bau­te Beicht­stüh­le wür­den teil­wei­se ent­fernt.

Beicht­zim­mer erset­zen Beichtstuhl

Genau dies geschah in Sankt Mau­ri­ti­us in Beri­kon im Zuge der Reno­va­ti­on in den Jah­ren 2009 und 2010. «Das war ein bewuss­ter Ent­scheid auf­grund der ver­än­der­ten Beicht­pra­xis. Statt der bei­den frü­he­ren Beicht­stüh­le haben wir in Sankt Mau­ri­tus nun ein Beicht­zim­mer. Dar­in befin­det sich eine Knie­bank vor einem Para­vent. Das ist für alle, die eine klas­si­sche Beich­te able­gen wol­len. Men­schen, die lie­ber das direk­te Gespräch wün­schen, kön­nen um den Para­vent her­um­ge­hen und auf einem der Stüh­le Platz neh­men», erklärt Micha­el Jablo­now­ski, Pasto­ral­as­si­stent im Pasto­ral­raum am Mut­schel­len. Gleich­zei­tig gebe es auf der ande­ren Sei­te einen extra Abstell­raum für Put­zu­ten­si­li­en, Vasen und Co.

Beich­te an Wall­fahrts­or­ten nach wie vor gefragt

Beicht­stüh­le wer­den nicht mehr benö­tigt; die Ver­än­de­rung weg von der Ein­zel­beich­te hin zu Ver­söh­nungs­fei­ern schlägt sich auch in der Sta­ti­stik des SPI nie­der (die ent­spre­chen­de Tabel­le fin­det sich in der Foto­ga­le­rie). Die Schätz­zah­len ver­deut­li­chen, dass es fünf­mal mehr Teil­neh­men­de an Ver­söh­nungs­fei­ern als an Beich­ten gebe. Dass sich das Sakra­ment der Bus­se und Ver­söh­nung ver­än­dert, ver­an­lass­te die Schwei­zer Bischofs­kon­fe­renz bereits 2007 dazu, ein Impuls­pa­pier zu ver­fas­sen. Dar­in wird der Fokus auf die Ein­zel­beich­te gelegt, die vor­ran­gig in der Pfar­rei abzu­le­gen sei. Wo das nicht mög­lich sei, kön­ne über einen zen­tra­len Beicht­ort im Deka­nat* nach­ge­dacht wer­den. Auch Klö­ster könn­ten die Funk­ti­on die­ser Beicht­zen­tren erfül­len. In Ein­sie­deln bei­spiels­wei­se gibt es eine gros­se Beicht­ka­pel­le, in der meh­re­re Beicht­häus­chen zur Ver­fü­gung ste­hen und Bene­dik­ti­ner­pa­tres den Ver­söh­nung suchen­den Pil­gern das Sakra­ment spen­den. Doch für die zwei grund­le­gen­den Her­aus­for­de­run­gen bie­tet auch das Papier kei­ne wirk­li­che Lösung: Das ver­än­der­te Bewusst­sein in Bezug auf das Beicht­sa­kra­ment und die Tat­sa­che, dass das Sakra­ment an einen Prie­ster gebun­den ist. Und die, so heisst es in einem Pfarr­se­kre­ta­ri­at halb belu­stigt, halb resi­gniert, kön­ne man nicht her­zau­bern.*Mitt­ler­wei­le ist die Auf­lö­sung der Deka­na­te zumin­dest im Bis­tum Basel beschlossen.
Anne Burgmer
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