«Wir müssen zeigen, was uns auszeichnet»

«Wir müssen zeigen, was uns auszeichnet»

Die Spi­tal- und Heim­seel­sorge gerät aus zwei Rich­tun­gen in Bedräng­nis. Die Ster­be­hil­fe-Organ­i­sa­tio­nen brin­gen viele Mitar­bei­t­ende in einen Gewis­senskon­flikt, weit­er dro­ht das­selbe Schick­sal wie dem Reli­gion­sun­ter­richt, der aus den Schulen ver­drängt wurde. Unter dem Sam­mel­be­griff «Spir­i­tu­al Care» sollen Psy­cholo­gen und anderes Fach­per­son­al die Auf­gaben der Seel­sor­gen­den in Spitälern und Pflege­heimen übernehmen. Hans Niggeli, Leit­er Spi­talseel­sorge der Römisch-Katholis­chen Lan­deskirche Aar­gau, erk­lärt, was Spi­tal- und Heim­seel­sorge ausze­ich­net und wie man den genan­nten Her­aus­forderun­gen begeg­nen will. Herr Niggeli, wenn in einem Aar­gauer Spi­tal oder einem Pflege­heim jemand mit Exit ster­ben will, und diese Per­son wün­scht sich, dass der Seel­sorg­er ihn auf diesem Weg begleit­et, wie reagiert dann Ihr Per­son­al? Hans Niggeli: Ein solch­er aus­drück­lich­er Wun­sch ist äusserst sel­ten, viel häu­figer ist das The­ma, ster­ben zu wollen und auch mit Exit zu ster­ben. Obgle­ich es das dur­chaus schon gab. Sog­ar mit der Bitte, für den begleit­eten Suizid den Segen zu geben. Das brachte den Seel­sorg­er in ein Dilem­ma.Wie darf ich das ver­ste­hen? Als Seel­sor­gende begleit­en wir die Men­schen und sind für sie da, ger­ade auch in den schwieri­gen und unerträglichen Sit­u­a­tio­nen… und machen damit den unsicht­baren Gott vielle­icht etwas erfahrbar­er. Und auf der anderen Seite sollen wir den Segen geben für eine Hand­lung, die wir nicht gut heis­sen. Es gibt Seel­sor­gende, die mir gesagt haben, dass sie nicht wis­sen, ob sie ihre Arbeit noch weit­er führen kön­nten, wenn Ster­be­hil­fe-Organ­i­sa­tio­nen zu jen­er Insti­tu­tion Zugang erhal­ten, in der sie tätig sind.Aber hiesse das nicht, sich der Prob­lematik zu entziehen? Wir haben ein offenes Ohr für alle Über­legun­gen, Äng­ste und Nöte der Men­schen, die sich an uns wen­den. Wir helfen ihnen, noch nicht Bedacht­es und auch nicht Aus­ge­sproch­enes in den Blick zu nehmen und in Worte zu fassen, suchen auch nach dem, was hin­ter dem Suizid- und Ster­be­wun­sch ste­ht. Ich per­sön­lich bitte oft mit dem betr­e­f­fend­en Men­schen um den Segen Gottes für seine schwierige Sit­u­a­tion. Was ich allerd­ings kaum tun würde ist, jeman­dem den Segen für den Suizid zu geben.Ist das nicht immer noch diese reak­tionäre Schiene, die bis vor ein paar Jahrzehn­ten all jenen, die sich — aus welchen Grün­den auch immer – das Leben nah­men, ein kirch­lich­es Begräb­nis ver­weigert hat? Auf jeden Fall geben wir, auch durch Suizid Ver­stor­be­nen, den Sterbe­segen, wenn es von den Ange­höri­gen gewün­scht wird.Aber warum haben manche Mitar­bei­t­ende der Spi­talseel­sorge so Mühe mit begleit­eten Suiziden durch Ster­be­hil­fe-Organ­i­sa­tio­nen? Auf der einen Seite ste­ht: Als Seel­sorg­er habe ich zur Suizid­bei­hil­fe ein sehr kri­tis­ches Ver­hält­nis. Auf der andern Seite respek­tiere und achte ich die Glaubens- und Gewis­sens- und Entschei­dungs­frei­heit auch jen­er Men­schen, die sich in diesen extrem belas­ten­den Sit­u­a­tio­nen dazu entschei­den. Als Christ ver­traue ich mich Gott an. «Dein Wille geschehe…», beten wir doch. Also sollte ich mich dem über­lassen kön­nen, was beim Ster­ben passiert. Und darauf ver­trauen, dass ich nicht allein bin. Gott, der am Anfang des Leben gesagt hat: «Ich bin für dich da», der ist auch am Ende des Lebens da. Let­ztlich aber entschei­det jed­er Men­sch selb­st, inwieweit er das glauben und darauf ver­trauen kann. Und das müssen wir akzep­tieren.Das heisst: Das Dilem­ma für Ihre Mitar­bei­t­en­den zeigt sich im Umgang mit Men­schen, die nicht aus­re­ichend Zugang zu Gott find­en, denen es an Ver­trauen in ein von Gott getra­genes Ster­ben fehlt und darum ihr Ster­ben in die eigene Hand nehmen wollen. Nicht nur. Gewiss: Der Main­stream geht in Rich­tung Autonomie und Selb­st­bes­tim­mung. Das hat einen hohen Stel­len­wert bekom­men. Hinzu kommt aber auch, dass sich mit diesem neuen Trend auch ein indi­rek­ter sozialer Druck für jene Men­schen auf­baut, die das nicht teilen.Wie meinen Sie das? Immer öfter sagen heute ältere Men­schen: Ich will doch nie­man­dem mehr zur Last fall­en. Oder: Ich will doch meinen Nachkom­men noch etwas vererben…Und erwä­gen auf­grund dieser Über­legun­gen den begleit­eten Suizid? Ja.Aber das ist dann doch die Hal­tung dieser Men­schen. Was hat das mit Druck zu tun? Ein­er­seits gilt es genau das sorgsam im Gespräch mit dem Betr­e­f­fend­en her­auszufind­en, woher diese Hal­tung kommt. Ist es das, was man auf­grund der öffentlichen Mei­n­ung zu tun hat, oder ist es die ganz eigene Überzeu­gung. Auf der anderen Seite erlebe ich klar Druck, wenn mir ein Seel­sorg­er berichtet, dass er von Ange­höri­gen gebeten wor­den sei, mit dem Vater über Exit zu reden. Hier wird auch deut­lich, dass Selb­st­bes­tim­mung nie abso­lut ist, son­dern immer in Wech­sel­wirkung mit meinem Umfeld und den gesellschaftlichen Trends ste­ht.Das ist doch bes­timmt ein Einzelfall und kön­nte vielle­icht auch dem Wun­sch entsprin­gen, jeman­dem möglichst ein qualvolles Ster­ben zu ers­paren. Ich ver­suche in den Gesprächen, die den begleit­eten Suizid aufs Tapet brin­gen, her­auszufind­en, was dahin­ter ste­ht. Oft sind es Äng­ste. Angst vor Schmerzen, Angst, sich auszuliefern, Angst, eine Last zu sein, zu viele Kosten zu verur­sachen… Es ist ja nicht der Tod, den man sucht, son­dern es geht um andere Dinge, um per­sön­lich Belas­ten­des. Dann frage ich: Wenn das jet­zt nicht der Fall wäre, wür­den Sie dann diesen Weg wählen, den Sie in Betra­cht ziehen? Und dann auch: Inwieweit kön­nen Sie sich Gott anver­trauen und sagen: Dein Wille geschehe. Erstaunlich ist, dass viele Men­schen dann sagen: Dieses Ver­trauen möchte ich eigentlich haben, diesen Glauben.…Ich denke, das braucht eine grosse Sen­si­bil­ität und hat bes­timmt Kon­se­quen­zen bei der Per­son­alauswahl. Bei der grossen Band­bre­ite, die heutzu­tage den Katholizis­mus aus­macht, sind Sie möglicher­weise mit kon­ser­v­a­tiv eingestell­ten Men­schen als Seel­sor­gende in Spitälern und Heimen nicht gut berat­en. Das ist richtig. Es braucht eine gute Ver­wurzelung im Glauben. Keinen dog­ma­tis­chen Glauben, son­dern einen im Leben inte­gri­erten Glauben. Auf alles, wom­it ich in mein­er Auf­gabe als Spi­talseel­sorg­er kon­fron­tiert werde, darf ich nicht dog­ma­tisch reagieren. Ich muss mich ein­lassen kön­nen, muss begleit­en kön­nen.Gibt es eigentlich Richtlin­ien für Ihre Mitar­bei­t­en­den in solchen Fällen? Richtlin­ien für den Umgang mit Men­schen, die den begleit­eten Suizid wün­schen, haben wir nicht. Da ist es jedem Mitar­bei­t­en­den per­sön­lich über­lassen, wie er damit umge­ht, wie weit er sich ein­lassen und die betr­e­f­fend­en Per­so­n­en begleit­en kann. Wichtig aber sind Orte, wo wir uns aus­tauschen und darüber sprechen kön­nen. 2011 fand zum The­ma Begleit­eter Suizid eine Fach­ta­gung der Spi­talseel­sorgev­ere­ini­gung statt. Daraus her­vor ging ein Posi­tion­spa­pi­er, das als Grund­lage nach wie vor gilt.Und an was genau sollen sich Ihre Mitar­bei­t­en­den ori­en­tieren? Im Wesentlichen gilt, dass ein begleit­eter Suizid nicht wün­schbar ist, weil er den natür­lichen Prozess des Ster­bens unter­bricht. Aber gle­ichzeit­ig sollen wir uns auch dem Gespräch über den Wun­sch nach einem begleit­eten Suizid nicht entziehen. Men­schen, die sich dazu entschlossen haben, wer­den von uns nicht ein­fach allein­ge­lassen. Wir müssen schauen, dass wir dabei bleiben… mit Blick darauf, was uns ausze­ich­net. In vie­len Fällen, in denen Patien­ten mit uns über ihren Wun­sch oder auch Entschluss sprechen kön­nen, wird der Suizid nicht real­isiert.Der Spi­tal- und Heim­seel­sorge dro­ht das­selbe Schick­sal wie dem kon­fes­sionellen Reli­gion­sun­ter­richt. Näm­lich, dass sie zugun­sten ein­er kon­fes­sion­sneu­tralen «Spir­i­tu­al Care» ver­drängt wird. Was bedeutet das für ihre ohne­hin schon anspruchsvolle Arbeit im Bren­npunkt gesellschaftlich­er Auseinan­der­set­zun­gen wie der Diskus­sion um die Ster­be­hil­fe? Der Legit­i­ma­tions­druck wird steigen, das stimmt. Bere­its jet­zt gibt es in Spitälern Sit­u­a­tio­nen, wo wir merken, dass der Respekt und auch das Ver­ständ­nis für unsere Arbeit manch­mal fehlt. Da gibt es Pfle­gende, die, während wir noch im Gespräch mit den Patien­ten sind, ein­fach ins Zim­mer kom­men und ihre Arbeit begin­nen. Umso mehr müssen wir zeigen, was Seel­sorge macht und was uns ausze­ich­net. Nicht nur gegenüber Pfle­gen­den und Ärzten son­dern auch gegenüber Spi­talleitun­gen, die oft weit weg von Kirche und Seel­sorge sind.Und was genau zeich­net euch aus? In allen Sit­u­a­tion des Über­gangs braucht es Hil­fe und Deu­tun­gen, damit solche Sit­u­a­tio­nen gemeis­tert wer­den kön­nen. Das bet­rifft auch eine schwere Erkrankung, ein Unfall oder der bevorste­hende Tod. Es gibt nie­man­den, den so etwas nicht durchrüt­telt… Da sind wir gefragt, zuzuhören, damit sich die Betrof­fe­nen mit­teilen kön­nen. Wie sind diejeni­gen, die mit­ge­hen, die Hil­festel­lung geben, damit der Betrof­fene sein Schick­sal inte­gri­eren, damit umge­hen kann.Entschuldigung, aber jet­zt klin­gen Sie wie ein Psy­chologe… Im Gegen­satz zu Psy­cholo­gen sehen wir Krankheit und Lei­den, Leben,Tod und Ster­ben in einem ganzheitlichen Zusam­men­hang und in einem spir­ituellen Kon­text. Wir ste­hen in ein­er reflek­tierten Beziehung zum eige­nen christlichen Glauben. woher wir kom­men und für was wir ste­hen. Psy­cholo­gen vertreten oft eine implizite Reli­giosität…Sie meinen eine zunehmende Ver­mis­chung von akademis­ch­er Pro­fes­sion­al­ität mit eso­ter­ischem Gedankengut, religiösen Verquick­un­gen, fer­nöstlich­er Philoso­phie und all­ge­mein­er Spir­i­tu­al­ität? Unter dem Begriff «Spir­i­tu­al Care» wird heute etwas verkauft, das auch ide­ol­o­gisch behaftet ist. Nicht alles, was unter den Mode­be­griff Spir­i­tu­al­ität fällt, ist auch hil­fre­ich. Was wir brauchen, ist eine lebens­fördernde, ermuti­gende und befreiende Spir­i­tu­al­ität, die auch Lei­den, Scheit­ern und Schuldig wer­den nicht bagatel­lisiert oder auss­chliesst. Eine jed­er Arzt, jede Pfle­gende kann im Grunde «Spir­i­tu­al Care» machen und tut es hof­fentlich… «Spir­i­tu­al Care» meint für mich, dass man sich um die seel­is­chen Bedürfnisse der Men­schen küm­mert, sie ernst nimmt. Seel­sorge leis­tet darüber hin­aus aber noch mehr. Beispiel­sweise, indem wir mit den Men­schen beten. So tra­gen wir die Dinge, die belas­tend sind, vor Gott… im Gebet, in der Segens­bitte.… Ich erlebe immer wieder, welch lösende und befreiende Wirkung dieser Schritt ent­fal­ten kann. Das bed­ingt allerd­ings von Seit­en des Seel­sorg­ers eine reflek­tierte Spir­i­tu­al­ität, die nicht ein­fach Men­schen vere­in­nahmt.Wie meinen Sie das? Sie vertreten doch auch etwas? Wenn ich beispiel­sweise das Mit­glied ein­er Freikirche seel­sorg­erisch begleite, dann ver­suche ich, mich auf diesen Men­schen genau einzu­lassen und einen Weg zu find­en, den dieser Men­sch gehen kann. Das­selbe gilt für jene, die mit Kirche nichts am Hut haben wollen.…. Das schaffe ich aber nur, wenn ich meinen eige­nen Stand­punkt genau kenne.Zum Schluss ein Blick in die Zukun­ft: Was erwartet die Spi­tal- und Heim­seel­sorge in Zukun­ft? In den näch­sten fünf bis zehn Jahren erwarte ich noch keine grosse Zunahme an begleit­eten Suiziden. Das wer­den zunächst Einzelfälle bleiben. Aktuell kommt das in Insti­tu­tio­nen, zu denen schon heute Ster­be­hil­fe-Organ­i­sa­tion Zugang haben, etwa ein bis zweimal pro Jahr vor. Es wird aber zunehmen. Beson­ders, wenn der gesellschaftliche Trend mehr in diese Rich­tung geht. Dann lässt sich schw­er abschätzen, wo wir in ein paar Jahren ste­hen.Was für unmit­tel­bare Her­aus­forderun­gen ste­hen an? Da ist unser Engage­ment im Bere­ich Pal­lia­tivpflege, wo wir eng mit den Reformierten zusam­me­nar­beit­en. Ger­ade weil der Kan­ton nicht investieren kann, bekommt hier das Engage­ment der Kirchen eine grosse Bedeu­tung, indem es einem wach­senden Bedürf­nis ent­ge­genkommt.Und weit­er? Mit Sicher­heit das Ausar­beit­en von Stan­dards für das, was Seel­sorge aus­macht. Da sind wir jet­zt dran.… Ins­beson­dere auch in Anbe­tra­cht der Diskus­sion über die mögliche Zulas­sung von Seel­sorgeper­son­al aus anderen Reli­gion­s­ge­mein­schaften. Diese Stan­dards wer­den die Grund­lage sein für Zusam­me­nar­beitsverträge zwis­chen den Insti­tu­tio­nen und den Lan­deskirchen.Wo knüpfen Sie da an? Gesamtschweiz­erisch ist ein öku­menis­ches Posi­tion­spa­pi­er erar­beit­et wor­den. Aus diesem haben wir «öku­menis­che Stan­dards für die Seel­sorge in Insti­tu­tio­nen» erar­beit­et, die im August dieses Jahres in den Kirchen­räten bear­beit­et wer­den.Wird die Spi­tal- und Heim­seel­sorge in fünf bis zehn Jahren immer noch gefragt sein? Grund­sät­zlich wird die Seel­sorge in allen Insti­tu­tio­nen, in denen Seel­sor­gende der Römisch-Katholis­chen Lan­deskirche tätig sind, sehr geschätzt. Das sind immer­hin über zwanzig Insti­tu­tio­nen mit etwa fün­fzehn Seel­sor­gen­den und total etwa 1200 Stel­len­prozen­ten. Der grosse Rück­halt, den wir in diesen Insti­tu­tio­nen haben, wird nicht weg­brechen. Im Heim­bere­ich gibt es sog­ar Ver­ant­wortliche, die ange­boten haben, die Seel­sorge mitzu­fi­nanzieren, weil sie aus eigen­er Erfahrung um die Bedeu­tung unser­er Arbeit für die Men­schen wis­sen.
Andreas C. Müller
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