Kir­chen­aus­trit­te 2019: «Die Kir­che ist in der Krise»

  • Im Jahr 2019 sind noch­mals mehr Men­schen aus der Römisch-Katho­li­schen Kir­che aus­ge­tre­ten: Ins­ge­samt rund 14 Pro­zent mehr als 2018.
  • 4’672 Per­so­nen haben 2019 die Römisch-Katho­li­sche Kir­che im Aar­gau ver­las­sen. 2018 waren waren es 4’093. Bei den Christ­ka­tho­li­ken blieb die Mit­glie­der­zahl, abzüg­lich einer Berei­ni­gung, konstant.
  • Luc Hum­bel, Kir­chen­rats­prä­si­dent der Römisch-Katho­li­schen Lan­des­kir­che Aar­gau, meint im Inter­view, dass nicht nur die Miss­brauchs­the­ma­tik, son­dern auch ver­pass­te Chan­cen beim The­ma Gleich­be­rech­ti­gung für die vie­len Aus­trit­te ver­ant­wort­lich sind.
 Luc Hum­bel, 2019 sind ins­ge­samt 14 Pro­zent mehr Men­schen als 2018 aus der Römisch-Katho­li­schen Kir­che im Aar­gau aus­ge­tre­ten. Aller­dings: Im Jah­re 2018 waren es  33 Pro­zent mehr als 2017. Flacht dem­nach die Kur­ve lang­sam ab? Luc Hum­bel: Fakt ist, dass die Aus­trit­te im Jahr 2019 noch­mals mas­siv zuge­nom­men haben. Dies kann und will ich nicht schön­re­den. Die Ursa­chen sind viel­fäl­tig. Es ist aber aus mei­ner Sicht nicht ein­zig die gesamt­ge­sell­schaft­li­che Ten­denz, wonach sich vie­le nicht mehr lebens­lang bin­den wol­len. Viel­mehr sind wei­ter auch die inner­kirch­li­chen Pro­ble­me für die­sen Anstieg ver­ant­wort­lich.War­um war das Jahr 2018 beson­ders schlimm? Die Insti­tu­ti­on Kir­che ist in einer Kri­se. Dies ist vie­len Leu­ten bewusst. Sie hat ins­be­son­de­re im Umgang und in der Ver­hin­de­rung von Miss­brauch kei­ne glaub­wür­di­ge Hal­tung ein­ge­nom­men. Die Kri­se geht aber über die Miss­brauchs­the­ma­tik hin­aus. Solan­ge glaub­wür­di­ge Ant­wor­ten auf die Fra­ge von Par­ti­zi­pa­ti­on und Gleich­be­rech­ti­gung feh­len, wer­den wir den Trend kaum umkeh­ren kön­nen.Wo gab es 2019 beson­ders vie­le Aus­trit­te? Und wie lässt sich das erklä­ren? Wir haben kei­ne eigent­li­chen Hot-Spots. Ten­den­zi­ell sind die Aus­trit­te in städ­ti­schen Gebie­ten höher, aber auch dies ist nicht über­all so.Kann der Kir­chen­rats­prä­si­dent bei die­ser Ent­wick­lung noch ruhig schla­fen? Wir sind im Aar­gau von einer Viel­zahl von Grün­den betrof­fen in Bezug auf die Aus­trit­te, wel­che nichts mit unse­rer Arbeit hier zu tun haben. Es macht mir aber seit län­ge­rem Sor­gen, dass auf natio­na­ler Ebe­ne die Not­wen­dig­keit von Refor­men auf pasto­ra­ler Sei­te nicht erkannt wird.Was erwar­ten Sie für die kom­men­den Jah­re? Dür­fen wir (noch) auf eine Trend­wen­de hof­fen? Eine Trend­wen­de kann dann erreicht wer­den, wenn ein Ruck durch die Kir­che geht. Der syn­oda­le Weg in Deutsch­land zeigt auf, wie Glaub­wür­dig­keit zurück gewon­nen wer­den könn­te.Wel­che Fol­gen haben die neu­er­lich vie­len Aus­trit­te für die Kir­che im Aar­gau und den Aar­gau ins­ge­samt? Wir stär­ken die Kom­mu­ni­ka­ti­on dar­über, was mit den Kir­chen­steu­ern pas­siert. Es ist bei einem Aus­tritts­ent­scheid wich­tig zu wis­sen, dass 83 Pro­zent die­ser Gel­der in der eige­nen Pfar­rei feh­len wer­den. Dass mit jedem Aus­tritt pri­mär das Wir­ken vor Ort – bei­spiels­wei­se im Bereich der Dia­ko­nie, geschwächt und allen­falls in Fra­ge gestellt wird.Offen­bar ist eine Kir­chen­mit­glied­schaft für vie­le Men­schen nicht mehr attrak­tiv. Hat die Römisch-Katho­li­sche Kir­che im Aar­gau neue Ideen, wie man Gegen­steu­er geben könn­te? Bis­he­ri­ge Anstren­gun­gen schei­nen ja nicht gefruch­tet zu haben. Das sehe ich nicht so. Unse­re Anstren­gun­gen wer­den sehr wohl wahr­ge­nom­men und gewür­digt. Dies betrifft die Arbeit in den Pfar­rei­en und in den Fach­stel­len. Gera­de am Bei­spiel der Not­schlaf­stel­le in Baden wur­de ersicht­lich, dass das Ein­tre­ten für die Schwa­chen in unse­rer Gesell­schaft durch die Kir­che wahr­ge­nom­men und geschätzt wird. So ver­hält es sich auch mit den kirch­lich-regio­na­len Sozi­al­dien­sten, der Seel­sor­ge vor Ort, der Spi­tal­seel­sor­ge und vie­lem mehr.Was sind denn die Kon­se­quen­zen bei einem Kir­chen­aus­tritt? Wir hören immer wie­der, dass Kin­der von Aus­ge­tre­te­nen trotz­dem in den Reli­gi­ons­un­ter­richt dür­fen. Oder dass Aus­ge­tre­te­ne gleich­wohl ein kosten­lo­ses kirch­li­ches Begräb­nis bekom­men? Oder auch kirch­lich hei­ra­ten dür­fen, wenn der Part­ner Kir­chen­mit­glied ist. Die­se Pra­xis wird vor Ort ent­wickelt und ver­ant­wor­tet. Die Lan­des­kir­che erteilt dazu kei­ne Wei­sun­gen. Jede Begeg­nung mit einem Aus­ge­tre­te­nen beinhal­tet aber die Chan­ce, ihn von neu­em von der Wich­tig­keit und Not­wen­dig­keit einer Mit­glied­schaft zu überzeugen.
Andreas C. Müller
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