Kirche muss Finger in offene Wunden legen

Kirche muss Finger in offene Wunden legen

Mit der Konz­ern­ver­ant­wor­tungsini­tia­tive unter­stützten die kirch­lichen Hil­f­swerke Fas­tenopfer und Brot für alle während ihrer Öku­menis­chen Kam­pagne erst­mals eine Volksini­tia­tive. Sollen sich die Hil­f­swerke und die Kirchen poli­tisch ein­mis­chen? Dazu äussert sich Leo Kar­rer, emer­i­tiert­er Pro­fes­sor für Pas­toralthe­olo­gie der Uni­ver­sität Freiburg, im Inter­view.Herr Kar­rer: Wieso sollen kirch­liche Werke die Konz­ern­ver­ant­wor­tungsini­tia­tive unter­stützen? Leo Kar­rer: Das Mot­to «Ver­ant­wor­tung tra­gen – Gerechtigkeit stärken» ist aktueller denn je. Man muss nur die Zeitung auf­schla­gen. Fälle wie Glen­core zeigen es ja: Der Schweiz­er Rohstof­fkonz­ern, der im Kon­go zwei Tochterge­sellschaften besitzt, die Erze abbauen, investiert gemäss Recherchen der hiesi­gen Hil­f­swerke kaum in den Umweltschutz vor Ort. Darum finde ich, Hil­f­swerke und katholis­che Ver­bände ver­di­enen Unter­stützung, wenn sie Sen­si­bil­isierungsar­beit leis­ten für Kon­flik­therde und Partei ergreifen für Men­schen, die keine Lebensent­fal­tungsmöglichkeit­en haben, weil sie behin­dert wer­den durch Geld, Struk­turen oder die Spiel­regeln eines zügel­losen Mark­tes.Es gibt Leute, die sagen: Entwick­lung­sor­gan­i­sa­tio­nen und die Kirche sollen sich nicht an gesellschaft­spoli­tis­chen Debat­ten beteili­gen. Woher rührt diese Kri­tik? Schon als sich die Kirche in die Debat­te um die Banken- und die Minarett-Ini­tia­tive ein­mis­chte, wurde sie dafür scharf kri­tisiert. Ich kenne die Argu­mente von Kri­tik­ern, die beto­nen, sie soll sich um die Einzelseel­sorge küm­mern und sich aus der Poli­tik her­aushal­ten.Geben Sie diesen Argu­menten Recht? Nein. Die Kirche muss die Fin­ger auf offene Wun­den in der Gesellschaft leg­en. Es braucht ihre Stimme, wenn es um heisse Eisen wie Flüchtlinge, Kli­ma-Erwär­mung oder religiös motivierten Ter­ror geht. Sie darf sich nicht in die pri­vat-eso­ter­ische Ecke zurückziehen. Mir ist natür­lich bewusst: Wer sich ein­set­zt, set­zt sich aus. Das kann unbe­quem sein und erfordert Courage. So fand ich es gut, dass diesen Som­mer über 100 The­ologin­nen und The­olo­gen die Migra­tionschar­ta unterze­ich­neten. Ich wün­sche mir, dass sich die Kirche in der Gesellschaft ver­mehrt mit eige­nen The­men posi­tion­iert. Die Kirche sollte meines Eracht­ens eine Dop­pel­strate­gie anstreben.Und wie kön­nte diese Strate­gie ausse­hen? Erre­ich­bar sein für den einzel­nen Men­schen, kri­tisch-prophetisch präsent sein in der Gesellschaft. Dies­bezüglich beziehe ich mich auf den evan­ge­lis­chen The­olo­gen Diet­rich Bon­ho­ef­fer, der sagte: «Kirche ist nur Kirche, wenn sie Kirche für andere ist.»Wie sehen Sie dabei die Rolle von Papst Franziskus? Papst Franziskus ist für viele eine prophetis­che Stimme, die dazu motiviert, den Blick auf die rel­e­van­ten The­men der Zeit zu richt­en. Ich denke dabei an seine grossar­tige Enzyk­li­ka «Lauda­to si», die durch­drun­gen ist vom Aufruf an uns, sich für Men­schen­rechte stark zu machen.Welche ethisch-the­ol­o­gis­chen Begrün­dun­gen sprechen für ein poli­tis­ches Engage­ment der Kirche? In ihrer Soziallehre hat sich die katholis­che Kirche immer wieder für die Anliegen stark gemacht, die nun auch die Konz­ern­ver­ant­wor­tungsini­tia­tive ver­fol­gt: men­schen­würdi­ge Bedin­gun­gen, Sol­i­dar­ität und Bewahrung der Schöp­fung. Wenn ich an meine Enkel und an kün­ftige Gen­er­a­tio­nen denke, ist es mir ein Anliegen, die Erde bewohn­bar zu erhal­ten. Kirche ist viel mehr als nur eine Inter­pre­ta­tion­s­ge­mein­schaft des Glaubens – sie ist eine inter­na­tion­al ver­net­zte Sol­i­darge­mein­schaft. Der Ein­satz für die Konz­ern­ver­ant­wor­tungsini­tia­tive ist deshalb eine konkrete Chance, aus der reinen Bin­nen­schau, in der sie sich manch­mal befind­et, her­auszukom­men und sich den Her­aus­forderun­gen im Jet­zt zu stellen. Die Konz­ern­ver­ant­wor­tungsini­tia­tive Die Schweiz spielt im glob­al­isierten Goldgeschäft ganz vorne mit. Mit Gold wer­den Mil­liar­den umge­set­zt. Doch diese Indus­trie glänzt oft nur an der Ober­fläche. Im Fokus der Öku­menis­chen Kam­pagne 2016 «Ver­ant­wor­tung tra­gen – Gerechtigkeit stärken» ste­ht deshalb der Gold­ab­bau. In Burk­i­na Faso beispiel­sweise raubt der Abbau vie­len Men­schen die ele­mentaren Lebens­grund­la­gen. Nie­mand übern­immt dafür die Ver­ant­wor­tung. Darum haben die kirch­lichen Hil­f­swerke Brot für alle und Fas­tenopfer gemein­sam mit über 70 Organ­i­sa­tio­nen die Konz­ern­ver­ant­wor­tungsini­tia­tive ini­ti­iert. Diese verpflichtet die in der Schweiz ansäs­si­gen multi­na­tionalen Konz­erne, die Men­schen­rechte über­all auf der Welt einzuhal­ten.www.sehen-und-handeln.ch www.fastenopfer.ch/konzernverantwortung
Andreas C. Müller
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