
Bild: © zVg Abtei Münsterschwarzach
In etwas Vertrautes hineinsterben
Anselm Grün über den Tod und das, was danach kommt
Er ist der bekannteste Mönch Deutschlands und Autor zahlreicher Bücher: Anselm Grün. Immer wieder setzt er sich mit dem Thema Tod auseinander. Anlässlich einer Ausstellung zum Thema «Palliative Care» kommt er ins Pfarrblattgebiet. Wir haben mit ihm über die Angst vor dem Tod, gesprochen – und darüber, was danach kommt.
Warum haben viele Menschen Angst vor dem Tod und was sind dabei die häufigsten Ängste?
Anselm Grün: Eine Angst ist, geliebte Menschen, zum Beispiel die Kinder oder den Partner, allein zu lassen. Dann gibt es die Angst, das eigene Leben nicht richtig gelebt oder etwas versäumt zu haben. Einige Menschen haben Angst vor dem Kontrollverlust, der mit dem Tod einhergeht. Das eigene Leben wird ihnen aus der Hand genommen. Und dann gibt es natürlich die Angst verbunden mit der Frage, was nach dem Tod kommt. Manche Menschen haben Angst vor der Ungewissheit, andere vor Bildern von Hölle und Gericht.
Wie können wir mit diesen Ängsten umgehen?
Die Angst will uns einladen, den Augenblick bewusst zu leben und uns die Frage zu stellen: Welche Lebensspur möchte ich in dieser Welt hinterlassen – vielleicht gerade heute? Das ist ein wichtiger Aspekt: Die Angst als Einladung zum Leben.
Die Angst vor dem, was kommt, ist eine Chance darüber nachzudenken und zu reflektieren, welches Gottesbild wir haben. Wir können uns damit auseinandersetzen, welche Prägungen wir in unserer Kindheit erlebt haben und was wir heute glauben. In einem nächsten Schritt kommt dann die Frage: Wie kann ich aus diesen Erkenntnissen heraus meinen Glauben daran stärken, dass der Tod nicht Ende ist, sondern Vollendung?
Dann hat die Angst in gewissem Sinne auch etwas Positives?
Ja, auf jeden Fall. Der Tod gehört wesentlich zum Menschen. Wer versucht, ihn mit vielen Aktivitäten zu verdrängen, lebt an sich selbst vorbei. C.G. Jung (Schweizer Psychiater und Begründer der analytischen Psychologie; Anm. d. Red.) sagte dazu: Ab der Lebensmitte bleibt nur lebendig, wer zu sterben bereit ist. Und das ist nur, wer das Gefühl hat, dass der Tod nicht ein Abschneiden, sondern Vollendung ist.
Warum spielen Bilder Ihrer Meinung nach eine so wichtige Rolle, wenn wir über den Tod und das, was danach kommt, sprechen?
Wir können über Gott und das ewige Leben nur in Bildern sprechen. In der Bibel finden sich viele Bilder: vom Festmahl, vom Paradies, vom Daheimsein, von der Wohnung, die Christus uns bereitet, oder die Theologie der Gottesschau. Wir dürften diesen Bildern trauen. Gleichzeitig ist uns aber auch bewusst, dass Gott und das ewige Leben sich letztlich keiner bildlichen Vorstellung vollständig fügen.
Haben Sie ein Lieblingsbild aus der Bibel für die Hoffnung auf das Leben nach dem Tod?
Das Bild der Vollendung, also dass all die Trübungen meines Lebens, die durch Fehler und Schwächen entstanden sind, gereinigt werden und dass diese eigentliche Gestalt eins wird mit Gott, aber auch mit all den Menschen, die ich geliebt und mit denen ich gelebt habe. Ausserdem mag ich das Bild aus Johannes 14. Dort wird gesagt, dass Jesus uns eine Wohnung bereitet. Das male ich mir weiter aus, denn ich glaube, dass nicht nur Jesus die Wohnung vorbereitet, sondern auch die Menschen, die uns wichtig waren und die vor uns gestorben sind. Sie haben etwas von uns mitgenommen, was wir mit ihnen geteilt haben, Liebe, Freude, Erfahrungen. Ich mag das Bild, dass wir in etwas Vertrautes hineinsterben.
Sie sind dieses Jahr 80 Jahre alt geworden. Das Thema Tod beschäftigt Sie aber schon länger. Bereits 2008 haben Sie ein Buch dazu veröffentlicht. Hat sich Ihr persönlicher Umgang mit der Endlichkeit in dieser Zeit verändert?
Auch früher habe ich mir ins Bewusstsein gerufen, dass beispielweise jede Autofahrt die letzte gewesen sein könnte. Und das hat mich schon immer eingeladen, bewusst zu leben. Damals wollte ich noch möglichst lange leben und wirken, und ich hatte noch viele Pläne. Mit 80 Jahren komme ich dem Tod natürlicherweise näher. Das gehört zum Leben dazu. Ich lebe bewusst, aber ich stehe nicht unter dem Druck, noch alles Mögliche leisten zu müssen. Stattdessen geniesse ich den Augenblick. Ich habe keine Pläne, sondern antworte auf das, was ist. Selbstverständlich plane ich bereits die Kurse für nächstes Jahr, aber immer mit dem Gedanken: ich weiss ja nicht, was werden wird.
Welche Auswirkung hat unsere Vorstellung vom Tod auf unser Leben?
Wenn wir daran glauben, dass der Tod nicht das Ende ist, setzen wir uns nicht unter Druck, alles im Leben erreichen zu müssen. Wir verfolgen unsere Ziele mit Hoffnung und Zuversicht, aber wir sind nicht enttäuscht, wenn wir nicht mehr «mit dabei» sind. So gewinnen wir an Gelassenheit und Freiheit und sind bereit, im Hier und Jetzt zu leben und eines Tages dankbar zurückzuschauen auf das Leben, das wir geführt haben.
Zum Schluss noch eine Geschichte, welchen Einfluss es haben kann, sich mit dem Tod zu beschäftigen, statt ihn zu verdrängen. Ein Mönch wurde gefragt, warum er vor nichts Angst hat. Er antwortete: «Weil ich mir täglich den Tod vor Augen halte. Das ist Befreiung von der Angst.»
Veränderter Alltag durch eine neue Sicht auf den Tod
Denkanstösse von Anselm Grün
Indem wir uns bewusst machen, dass jeder Tag der letzte sein könnte,
- schätzen wir Begegnungen mit lieben Menschen mehr;
- sprechen wir achtsamer;
- werden unsere Gespräche tiefgründiger und fruchtbarer;
- nehmen wir die Natur bewusster wahr.
Pater Anselm Grün im «Lichtblick»-Gebiet
Anlässlich der Wanderausstellung zum 20. Todestag von Cicely Saunders, der Mutter der Palliative Care-Bewegung, kommt Pater Anselm Grün zu uns ins «Lichtblick»-Gebiet. Er wird an der Vernissage persönliche Gedanken zum Thema Endlichkeit teilen, die auf die Ausstellung vorbereiten.
«Was bedeutet für mich Endlichkeit?», Referat von Anselm Grün
13. Juni, von 17.30 – 20.30 Uhr
Nordklosterrain 1, 5630 Muri (AG)
Anmeldung erforderlich (beschränkte Platzzahl): Tel. 062 838 06 55 oder unter hier.
Veranstalter: Palliative und Spiritual Care der Aargauer Landeskirchen