Gerüstet für die letzte Reise
Der mexikanische Künstler Pepe Villegas hat für die Ausstellung ein Werk geschaffen, das von der Tradition des «Día de Muertos» inspiriert ist.
Bild: © Museum der Kulturen Basel

Gerüstet für die letzte Reise

Ab dem 5. September zeigt das Museum der Kulturen Basel die Ausstellung «Der Weg ins Jenseits»

Wie bereiten sich Menschen für ihre letzte Reise vor? ­Welchen Weg legen die Seelen nach dem Tod zurück? ­Richard Kunz, Kurator der Ausstellung «Der Weg ins Jenseits» im Museum der Kulturen Basel, gibt Einblick in die Vorstellungen verschiedener Kulturen über diese Zwischenwelt.


Herr Kunz, kön­nen Sie sagen, wie sich die Men­schen ver­schieden­er Kul­turen das Jen­seits konkret vorstellen?
Richard Kunz: 
Die Ausstel­lung dreht sich in erster Lin­ie um den Weg zu dem Ort, wo die See­len nach dem Tod sind, weniger um den Ort selb­st. Der Name der Ausstel­lung «Der Weg ins Jen­seits» drückt das gut aus. Zwar ist ein klein­er Teil auch dem The­ma «Ankom­men» gewid­met, der Fokus liegt jedoch auf dem Weg, dem Unter­wegs­sein ins Jen­seits.

Richard Kunz ist Südostasien-Kura­tor und stel­lvertre­tender Direk­tor des Muse­ums der Kul­turen Basel.

Die Ausstel­lung nimmt hier langsam Form an. Beson­ders ins Auge sprin­gen die hellen, fröh­lichen Far­ben im Raum.
Dass der Weg ins Jen­seits keineswegs düster und ang­ste­in­flössend sein muss, drückt das Wandgemälde des Kün­stlers Eddie Hara aus, das dieser eigens für die Ausstel­lung ange­fer­tigt hat. Hara stammt aus Indone­sien und lebt in Basel. Sein Gemälde mit dem Titel «See You on the Oth­er Side» zeigt den Weg ins Jen­seits als fröh­lich­es, unter­halt­sames Aben­teuer. Wir find­en in der Ausstel­lung auch Uner­wartetes wie beispiel­sweise eine Mul­ti­me­dia-Ecke mit ca. 60 Songs zum The­ma. Neben dem bekan­nten «High­way to Hell» gibt es viele weit­ere Musik­stücke zu ent­deck­en.

Welche Bedeu­tung hat das Jen­seits in den ver­schiede­nen Kul­turen?
In allen mir bekan­nten Kul­turen herrscht die Vorstel­lung, dass nach dem Tod noch etwas kommt. Es gibt keine Kul­tur, die davon aus­ge­ht, dass nach dem Tod ein­fach Schluss ist. Deshalb hat das Jen­seits in allen Kul­turen einen hohen Stel­len­wert, ob es das Nir­vana ist, das Paradies oder das ewige Leben; die Vorstel­lun­gen sind vielfältig. Die Gegen­stände der Ausstel­lung zeigen, dass es in allen Kul­turen wichtig ist, für den Weg ins Jen­seits gut aus­gerüstet zu sein.

Welche Rolle spie­len Rit­uale oder bes­timmte Objek­te für den Über­gang ins Jen­seits?
Eine sehr, sehr wichtige Rolle. Auf dem Weg ins Jen­seits kann viel schiefge­hen. Deshalb pfle­gen die meis­ten Kul­turen streng fest­gelegte Rit­uale. Im Katholizis­mus sind das die Sterbe­sakra­mente und als Teil davon «die let­zte Ölung». Weil unser Muse­um auch einen Forschungss­chw­er­punkt zu Bali hat, gibt es in der Ausstel­lung einiges über die dor­tige Tra­di­tion der See­len­reini­gung zu erfahren. Nach bali­ne­sis­ch­er Vorstel­lung muss die Seele nach dem Tod gere­inigt wer­den. Das geschieht über mehrere Schritte, die aufwendig und zeitraubend sind. Die Kre­ma­tion bildet den Anfang.

Bei uns haben sich die Rit­uale fürs Abschied­nehmen und die Bestat­tung in den let­zten Jahren gewan­delt oder sind teil­weise ver­schwun­den. Wie ist das in anderen Kul­turen?
Die Ausstel­lung beleuchtet das The­ma «Weg ins Jen­seits» auch aus aktueller Sicht und bezieht die neuere Forschung mit ein. Es zeigt sich, dass, auch wenn es Verän­derun­gen und Anpas­sun­gen gibt, die grossen Züge beste­hen bleiben. Ich ver­suche es wieder am Beispiel Bali: Weil die mehrstu­fige Reini­gung der Seele aufwendig und teuer ist, sind manche Dor­fge­mein­schaften dazu überge­gan­gen, zum Beispiel die Kre­ma­tion für einen ganzen Dorfteil gemein­sam zu organ­isieren und kollek­tiv durchzuführen. Diese Anpas­sung ändert aber nichts am ursprünglichen Rit­u­al der See­len­reini­gung. So wer­den auch heute viele Ver­stor­bene zuerst bestat­tet, bis der Zeit­punkt für die Kre­ma­tion gekom­men ist.

Kön­nen Sie unter den ver­schiede­nen Kul­turen und Reli­gio­nen einen gemein­samen «Kern» der Vorstel­lun­gen über den Weg ins Jen­seits aus­machen?
Es kommt auf die Dis­tanz an, mit der wir Kul­turen ver­gle­ichen. Aus der Nähe ent­deck­en wir viele Unter­schiede. Der Blick aus der Dis­tanz zeigt aber vor allem das Gemein­same. Der Kern ist sich­er, dass die Frage nach dem Weg ins Jen­seits let­ztlich alle Men­schen bet­rifft und sie deshalb auch beschäftigt. Das Unvorstell­barste für den Men­schen scheint die Vorstel­lung zu sein, dass nach dem Tod ein­fach Schluss ist. Fast alle Men­schen nehmen an, dass der Tod Platz für etwas Neues macht oder die See­len reinkarniert, also wiederge­boren wer­den. So betra­chtet, sind die Unter­schiede nur gradu­ell.

Bei uns herrscht die Vorstel­lung vor, dass man aus dem Tod nicht mehr zurück­kehrt. Wo ist das anders und was ver­rat­en uns die Objek­te über eine mögliche Rück­kehr?
Es gibt in der Ausstel­lung tat­säch­lich eine Sta­tion, die sich «Wiederkehrende» nen­nt. Es gibt einige mythol­o­gis­che Gestal­ten, die ins Toten­re­ich gelangt und wieder zurück­gekehrt sind. Wir stellen den bali­ne­sis­chen Helden Bhi­ma aus dem Mahab­hara­ta-Epos vor.
Eine tem­poräre Rück­kehr der Ver­stor­be­nen ken­nt unter anderem die mexikanis­che Tra­di­tion des «Día de Muer­tos». Das zweite Werk, das von einem zeit­genös­sis­chen Kün­stler speziell für die Ausstel­lung geschaf­fen wurde, greift die Idee dieses Besuchs aus dem Jen­seits auf. Pepe Vil­le­gas aus Teca­machal­co hat für die Sta­tion «Tag der offe­nen Tür» seine eigene Inter­pre­ta­tion eines Altars für den Totentag «Día de Muer­tos» geschaf­fen. An diesem «Tag der Toten» kom­men die Ver­stor­be­nen zum Besuch auf der Erde aus dem Jen­seits zurück. In Mexiko ist das eines der wichtig­sten Feste, bei dem die Leben­den zusam­men mit den Toten ein fröh­lich­es Wieder­se­hen mit Musik, Tanz und gutem Essen feiern.

Sie beziehen auch Resul­tate aus der Hirn­forschung in die Ausstel­lung mit ein. Wie und warum?
Die Ausstel­lung the­ma­tisiert die neueste Forschung an ein­er eige­nen Sta­tion. Über die Jahrhun­derte hat sich das Ver­ständ­nis darüber, wann eine Per­son als tot ange­se­hen wird verän­dert. Früher galt der Still­stand der Atmung, das Aus­bleiben des «Leben­satems», als Kri­teri­um. Später dann das Aus­bleiben der Herztätigkeit. Inzwis­chen weiss man, dass im Gehirn auch dann noch Aktiv­ität mess­bar ist, wenn die sog. lebenser­hal­tenden Funk­tio­nen zum Still­stand gekom­men sind. Diese elek­trischen Verän­derun­gen des Gehirns zeigen beim Ster­be­prozess ein ähn­lich­es Bild wie bei Patien­ten während eines Schla­gan­falls. Es ist also denkbar, dass dieser oder ein ähn­lich­er Hirn­prozess auch für Nah­toder­fahrun­gen ver­ant­wortlich ist. Wir wis­sen viel mehr als früher – und doch bleibt der Weg ins Jen­seits ein Geheim­nis, das sich erst mit dem eige­nen Tod enthüllen wird.

Marie-Christine Andres Schürch
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