So geht christ­lich abstimmen
Abstim­men © Pixabay.com

So geht christ­lich abstimmen

Christinnen und Christen teilen gemeinsame Werte, die sie auch geltend machen bei Abstimmungen. Biblisch gestützte Argumente gibt es auf der Seite der Befürworterinnen und der Gegner. Thomas Wallimann-Sasaki, Leiter des Instituts für Sozialethik «ethik22» findet in drei Schritten aus einem Dilemma.

Aktu­ell hän­gen kei­ne Ban­ner von den Kir­chen­tür­men, wie zu Zei­ten der Kon­zern­ver­ant­wor­tungs­in­itia­ti­ve, als die Kir­chen sich öffent­lich­keits­wirk­sam für die Vor­la­ge aus­ge­spro­chen haben. Den­noch gibt es eini­ge kirch­li­che Grup­pie­run­gen, die sich für ein «Ja» zur Bio­di­ver­si­täts­in­itia­ti­ve aus­spre­chen. Die «oeku – Kir­chen für die Umwelt», die sich für Nach­hal­tig­keit und umwelt­be­wuss­tes Han­deln in Kirch­ge­mein­den, Pfar­rei­en und kirch­li­chen Insti­tu­tio­nen ein­setzt, unter­stützt die Initia­ti­ve. Auch die Koali­ti­on «Christ:innen für Kli­ma­schutz» emp­feh­len ein «Ja» zur Bio­di­ver­si­täts­in­itia­ti­ve am 22. Sep­tem­ber. Ihre Argu­men­te stüt­zen sie mit Bibel­stel­len. Die Initi­an­tin­nen und Initi­an­ten ver­wei­sen auf den hohen Wert der gött­li­chen Schöp­fung und dass die Viel­falt der Geschöp­fe gott­ge­wollt sei. Die Men­schen, denen die Schöp­fung anver­traut ist, hät­ten dar­um den Auf­trag, die Viel­falt ange­sichts des Arten­ster­bens bes­ser zu schüt­zen. Soll­ten Chri­stin­nen und Chri­sten also aus christ­li­cher Sicht die Bio­di­ver­si­täts­in­itia­ti­ve befürworten?

Die Bio­di­ver­si­täts­in­itia­ti­ve in Kürze

In der Schweiz sind die Lebens­räu­me für Tie­re und Pflan­zen unter Druck. Das wirkt sich nega­tiv auf die Arten­viel­falt aus. Grün­de dafür sind das Wachs­tum der Bevöl­ke­rung in der Schweiz und der damit im Zusam­men­hang ste­hen­de Sie­d­­lungs- und Infra­struk­tur­druck eben­so die inten­si­ve Land­wirt­schaft im Mittelland.​Getragen wird die Initia­ti­ve von ver­schie­de­nen Umwelt­ver­bän­den, dem Schwei­zer Hei­mat­schutz der Stif­tung Land­schafts­schutz. Sie will den Bund und die Kan­to­ne für den Schutz stär­ker in die Pflicht neh­men und dies in der Ver­fas­sung verankern.​Der Bun­des­rat und das Par­la­ment leh­nen die Initia­ti­ve ab.

So geht christlich abstimmen - Lichtblick Römisch-katholisches Pfarrblatt der Nordwestschweiz 1
Die Mehr­heit der Bestäu­bungs­ar­beit lei­stet die Bie­ne. Somit ist sie für die Erhal­tung des Lebens­raums vie­ler Tier­ar­ten unver­zicht­bar. Die Bie­ne ziert das Logo der Bio­di­ver­si­täts­in­itia­ti­ve. © Pixabay.com

Selbst ent­schei­den

«Das kommt auf das Natur- und Schöp­fungs­ver­ständ­nis der Men­schen an», sagt Tho­mas Wal­li­mann-Sasa­ki, Lei­ter des Insti­tuts für Sozi­al­ethik «ethik22», auch wenn Chri­stin­nen und Chri­sten die Natur als Schöp­fung und Geschenk wahr­neh­men, gin­gen doch alle mit die­sem Geschenk etwas anders um. Je mehr der Natur aber ein Eigen­wert zuge­spro­chen wer­de und die Men­schen sich selbst als Akteu­rin­nen und Akteu­re begrif­fen, die die­ser Natur Sor­ge tra­gen müs­sen, desto eher wür­den die­se Men­schen die Natur schüt­zen wol­len. Ob die Initia­ti­ve das rich­ti­ge Mit­tel sei, um dies zu tun, müs­se jede Chri­stin und jeder Christ für sich selbst entscheiden.

Sozi­al­ethi­sches Insti­tut «ethik22»

Das sozi­al­ethi­sche Insti­tut «ethik22» will Ori­en­tie­rung zu kom­ple­xen wirt­schaft­li­chen und poli­ti­schen Gesell­schafts­fra­gen bie­ten. Der Theo­lo­ge Tho­mas Wal­­li­­mann-Sasa­ki ist der Lei­ter des sozi­al­ethi­schen Insti­tuts. Er und sein vier­köp­fi­ges Team ori­en­tie­ren mit­tels pod­casts, News­let­ter und einem gedruck­ten Maga­zin. «ethik22 – Insti­tut für Sozi­al­ethik» besteht seit 1999 und ist aus dem Enga­ge­ment der KAB (Katho­li­sche Arbei­te­rin­nen und Arbei­ter Bewe­gung Schweiz) entstanden.

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Tho­mas Wal­­li­­mann-Sasa­ki © zVg

«ethik22», der Name des Insti­tuts, spielt auf den eng­li­schen Aus­druck «Catch 22» an für ein fast unlös­ba­res Dilem­ma nach einem bekann­ten Roman. Dilem­ma­ta gibt es auch bei der anste­hen­den Abstim­mung. So sol­len sich der Aus­bau der erneu­er­ba­ren Ener­gien und der Schutz der Natur und Land­schaft teil­wei­se im Weg ste­hen. Befürch­tun­gen wer­den geäus­sert, dass die Ernäh­rungs­si­cher­heit für die Schwei­ze­rin­nen und Schwei­zer mit der Umset­zung der Initia­ti­ve nicht mehr gewähr­lei­stet sei. Schliess­lich fürch­tet der Schwei­zer Bau­ern­ver­band bei der Umset­zung der Initia­ti­ve um die Exi­stenz der Land­wir­tin­nen und Land­wir­te. Tho­mas Wal­li­mann-Sasa­ki wen­det für den Weg aus dem Dilem­ma die Metho­de der ethi­schen Ent­schei­dungs­fin­dung in drei Schrit­ten an.

Raus aus dem Dilemma

Gelan­gen Sie in drei Schrit­ten zur Entscheidung.

Erster Schritt

Sehen, wahr­neh­men und sich berüh­ren lassen.

Zwei­ter Schritt.

Eine Sach­ana­ly­se durch­füh­ren und die eige­nen Wer­te, Prin­zi­pi­en, das Men­schen­bild definieren.

Zur Sach­ana­ly­se gehö­ren Fra­gen wie: Wer hat die Initia­ti­ve ein­ge­reicht? Wie lau­tet der Initia­tiv­text? Was sagt der Bun­des­rat, was das Par­la­ment? Bei­de sind dage­gen. Was ver­ste­hen die Initi­an­ten unter den Begrif­fen Natur und Land­schaft und in wel­chem Ver­hält­nis ste­hen sie? Bei der Ana­ly­se wer­den Exper­tin­­nen- und Exper­ten­mei­nun­gen kon­sul­tiert. Wel­chen Exper­tin­nen und Exper­ten schen­ke ich mein Ver­trau­en? Die Fra­ge, ob es sich den­noch lohnt, für die Initia­ti­ve zu stim­men, auch wenn davon aus­ge­gan­gen wer­den muss, dass die Umset­zung zäh und lang­wie­rig sein wird, führt wei­ter zur Wert­ana­ly­se: Wie ver­ste­he ich die Welt? Was bedeu­tet Ver­ant­wor­tung? Wor­in grün­det mein Enga­ge­ment, aber auch mei­ne Hoff­nung? Wel­che «roten Lini­en» gel­ten in mei­nem Leben? Wel­che Regeln oder Hand­lungs­grund­ät­ze sind mir für die Gesell­schaft, für die All­ge­mein­heit wichtig?

Gera­de bei Abstim­mun­gen spiel­ten neben den sach­li­chen Fra­gen auch die Wert­vor­stel­lun­gen eine wich­ti­ge Rol­le. «Wert­vor­stel­lun­gen, Nor­men sind wie Weg­wei­ser, die auf einem Wer­te­bo­den ste­hen. Die­ser Wer­te­bo­den ist das Men­schen­bild», sagt Tho­mas Wal­­li­­mann-Sasa­ki. Das Men­schen­bild erge­be – im Wort­sinn – grund-legen­­de Aus­sa­gen zum eige­nen Welt­ver­ständ­nis auf die Fra­gen: «Ist der Mensch ein Geschöpf? Ein ewi­ger Wett­be­werb­ler und Kon­kur­rent? Ein Alles­kön­ner? Ein Zufall der Entwicklung?»

Drit­ter Schritt.

Han­deln – Optio­nen bear­bei­ten, zur Tat schrei­ten und den Abstim­mungs­zet­tel ausfüllen.

Das Wohl aller

Gemäss Tho­mas Wal­li­mann- Sasa­ki hat dar­um aus christ­li­cher Sicht das The­ma Nach­hal­tig­keit gera­de in der katho­li­schen Kir­che mit der Enzy­kli­ka «Lau­da­to Sì» von Papst Fran­zis­kus ein stär­ke­res Gewicht bekom­men. In der soge­nann­ten Umwelt­en­zy­kli­ka hat der Papst dar­auf hin­ge­wie­sen, dass mit der Natur auch die Men­schen gemeint sind. So hängt die Sor­ge für die Natur eng zusam­men mit der Sor­ge für Benach­tei­lig­te und Arme. Damit steht das Wohl des Pla­ne­ten und aller Men­schen sowie die gegen­sei­ti­ge Abhän­gig­keit im Fokus. Aus die­ser christ­li­chen Ethik wird die Natur nicht als rei­ne Res­sour­ce gese­hen, über die Men­schen ver­fü­gen kön­nen. Viel­mehr ste­hen die Men­schen mit der Natur in Bezie­hung. Rück­sicht, Zurück­hal­tung, Sorg­falt, Mass­hal­ten und eben auch Ver­zicht prä­gen die­se Bezie­hung. Die­se Sicht auf die Schöp­fung sei im Wort­sinn katho­lisch zu ver­ste­hen – also glo­bal – und mache nicht an natio­na­len Gren­zen halt, sagt Tho­mas Wal­li­mann Sasa­ki. Wenn also mit Ernäh­rungs­si­cher­heit argu­men­tiert wer­de, müss­te die Ernäh­rungs­si­cher­heit aller Men­schen im Fokus stehen.

Hoff­nung als Haltung

«Eine christ­li­che Ethik ist geprägt von Hoff­nung», sagt der Theo­lo­ge und Ethi­ker. Wenn Hoff­nung die Grund­hal­tung prä­ge, sei Auf­ge­ben kei­ne Opti­on. Selbst wenn das Abstim­mungs­ba­ro­me­ter einen Trend gegen die eige­ne Ent­schei­dung zei­ge, sei es rich­tig, mit der Abstim­mung ein Zei­chen zu set­zen. Hoff­nung heis­se auch, sich das Bild von Men­schen, die zu sich und ihrer Mit­welt Sor­ge tra­gen, nicht durch Rea­li­tä­ten zer­stö­ren zu las­sen, die die Brü­chig­keit der mensch­li­chen Exi­stenz offen­bar­ten. «Auch wenn die Welt schwie­rig ist, las­se ich mir als Men­schen den Gestal­tungs­wil­len nicht neh­men», sagt Tho­mas Wallimann-Sasaki.

Eva Meienberg
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