Für eine politische Kirche, die gegen Diskriminierung und für Gleichberechtigung eintritt

Für eine politische Kirche, die gegen Diskriminierung und für Gleichberechtigung eintritt

  • Die neuesten Zahlen zeigen: die Aus­tritte der Kirchen­mit­glieder stag­nieren auf hohem Niveau.
  • Die Antwort auf die Krise sei die Zurück­gewin­nung der Glaub­würdigkeit, sagt Kirchen­rat­spräsi­dent Luc Hum­bel im Inter­view.
  • Dazu soll die Kirche Tem­po machen bei der Aufk­lärung der Miss­brauchs­fälle, bei der Frauenor­di­na­tion und gegen die Diskri­m­inierung von Men­schen mit diversen sex­uellen Ori­en­tierun­gen.

Luc Hum­bel, wie wollen Sie die Glaub­würdigkeit der Kirche zurück­gewin­nen?
Luc Hum­bel: Wir haben eine Ver­trauen­skrise in der Kirche, die mit den Miss­brauchs­fällen in Zusam­men­hang ste­ht. Die Krise bet­rifft aber auch die Frage, wie sich die Kirche zu gesamt­ge­sellschaftlichen Fra­gen posi­tion­iert. Stich­wort: Gle­ich­berech­ti­gung oder Sex­ual­moral. Es geht dabei nicht darum, einem Main­stream zu fol­gen. Son­dern ich kann es mit meinem Glauben nicht vere­in­baren, dass wir in der Kirche Men­schen aus­gren­zen. Meine Kirche muss ein­ladend sein.

Was sagen Sie den Men­schen, die Homo­sex­u­al­ität als Sünde sehen?
Dafür müssen diese Men­schen selb­st eine Lösung find­en. Ich sehe unsere Kirche nicht als eine Kirche der Beken­nen­den, son­dern als Volk Gottes, das unter­wegs ist. Eine Kirche, die sich den Fra­gen der Diskri­m­inierung und der Gle­ich­berech­ti­gung nicht stellt, kann irgend­wann nicht mehr meine Kirche sein, weil sie im wahren Sinn vom Wort für mich dann nicht mehr glaub­würdig ist. Ausser­dem hin­dert die Kirche mit ein­er Öff­nung der Sex­ual­moral nie­man­den daran, sein Leben für sich anders zu leben, so, dass er es mit seinem Gewis­sen vere­in­baren kann.

Die Kirche hin­dert bei uns auch nie­man­den daran, sein Leben freier zu leben, als es ihrer eige­nen Sex­ual­moral entspricht.
Sie hin­dert sie nicht, aber sie verurteilt sie. Die gle­iche Sit­u­a­tion haben Sie bei den geschiede­nen Per­so­n­en. Grund­sät­zlich sind sie von der Kom­mu­nion aus­geschlossen. Zum Glück wird dies in kein­er Pfar­rei so prak­tiziert. Die Lehre, die nicht durchge­set­zt wird, weil selb­st die Kirche nicht mehr hin­ter ihr ste­hen kann, ist für mich schein­heilig. Diese Lehre muss angepasst wer­den.

Sie sagen, dass die Aufar­beitung der Miss­brauchs­fälle schneller umge­set­zt wer­den muss. Haben Sie als Präsi­dent der Aar­gauer Lan­deskirche eine Möglichkeit, Tem­po zu machen?
Auf nationaler Ebene habe ich schon vor zehn Jahren gefordert, dass es eine gesamtschweiz­erische Unter­suchung geben soll. Erst jet­zt gibt es sie. Wir haben zehn Jahre ver­loren. Als Lan­deskirchen kön­nen wir Anträge stellen, durch­set­zen kön­nen wir sie nicht.

Im Inter­view mit der Aar­gauer Zeitung fordern Sie, dass sich die Kirche poli­tisch äussern soll. Wer soll hier für wen sprechen?
Es gibt Fra­gen, bei denen es schön wäre, wenn die Kirche eine geeinte Hal­tung hätte, etwa zur Kli­math­e­matik, die eng mit der Bewahrung der Schöp­fung ver­bun­den ist.

Wie ste­ht es mit Parolen zu Abstim­mungsvor­la­gen?
Ich kön­nte mir gut vorstellen, dass sich zum Beispiel eine Lan­deskirche zu ein­er Vor­lage wie die der Massen­tier­hal­tung vernehmen lässt. Da müsste der Bischof nicht gle­ich­er Mei­n­ung sein wie die Lan­deskirche. Das Gremi­um spräche dann für sich als Teil der Kirche. Wir haben uns aktuell nicht zur Vor­lage geäussert, weil wir noch die Auswirkun­gen der Diskus­sio­nen rund um das poli­tis­che Engage­ment der Kirche zur Konz­ern­ver­ant­wor­tungsini­tia­tive spüren.

Mit­gliederzahlen 2022

Die Römisch-Katholis­che Kirche im Aar­gau verze­ich­nete im Jahr 2022 einen Mit­glieder­rück­gang von 4’363 Per­so­n­en. Das ist ein Minus von 2,2 %. Der Rück­gang stag­niert auf dem Niveau der Vor­jahre, die Ein­trittszahlen sind 2022 mit 205 Kirch­enein­trit­ten etwas höher als bis anhin.

Welche Rolle kommt den kirch­lichen Pub­lika­tio­nen zu im poli­tis­chen Engage­ment der Kirchen? Soll das Pfar­rblatt Hor­i­zonte poli­tis­ch­er wer­den?
Die Pfar­rblät­ter sollen unab­hängige Kräfte sein, die aber nicht gegen das Sys­tem arbeit­en. Sie sollen eine eigene Hal­tung haben, die als solche erkennbar ist. Sie sind nicht die Kirche, son­dern ein Teil der Kirche. Es ist wichtig, dass immer ganz klar ist, wer der Absender ein­er Botschaft ist. An diese Adresse soll dann auch die Kri­tik gehen.

Sie fordern angesichts der sink­enden Mit­gliederzahlen radikale Reform­schritte. Welche sind das konkret?
Es geht hier um die Diskri­m­inierung der Frauen und Men­schen mit diversen sex­uellen Ori­en­tierun­gen. Die heutige Hal­tung der Kirche diesen Fra­gen gegenüber ist nicht glaub­würdig. Es genügt heute nicht mehr, dass ein Bischof sagt, ich habe nichts gegen die Ordi­na­tion der Frauen. Das inter­essiert mich nicht. Die Frage ist vielmehr: Sind die Bis­chöfe für die Ordi­na­tion der Frauen und was machen sie dafür?

Eva Meienberg
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