Die Kir­che muss anders werden
Plakate rund um Kirche und Pfarrhaus der Pfarrei Peter und Paul in Aarau hielten fest, woran die Kirche krankt. Gleichzeitig betonte die Pfarrei, dass ihr Offenheit, Respekt und Gleichberechtigung grosse Anliegen sind.
Bild: © Jean­nette Häs­ler Daffré

Die Kir­che muss anders werden

Das forderten die Aargauer Seelsorgenden, Katechetinnen und Diakone nach der Veröffentlichung der Missbrauchsstudie

Die Publikation der Pilotstudie zum Missbrauch in der Kirche vor einem Jahr stellte die Mitarbeitenden in den Pfarreien vor die Herausforderung, für die vielen Missbrauchsfälle «den Kopf hinhalten» zu müssen. Pfarreien, Pastoralkonferenz und die Landeskirche reagierten mit je eigenen Aktionen.

Die Publi­ka­ti­on der Pilot­stu­die stell­te die Mit­ar­bei­ten­den in den Pfar­rei­en vor die Her­aus­for­de­rung, für die vie­len Miss­brauchs­fäl­le «den Kopf hin­hal­ten» zu müs­sen. Die auf die Stu­die fol­gen­de Wel­le von Kir­chen­aus­trit­ten berei­te­te eben­falls vor allem den Orts­pfar­rei­en finan­zi­el­le Pro­ble­me. In der Aar­gau­er Pasto­ral­kon­fe­renz sind Seel­sor­gen­de, Dia­ko­ne und Kate­che­tin­nen und Kate­che­ten aus dem Kan­ton zusam­men­ge­schlos­sen. Nach Ver­öf­fent­li­chung der Stu­die beschloss eine Initia­tiv­grup­pe aus Mit­glie­dern der Pasto­ral­kon­fe­renz, eine eigen­stän­di­ge Posi­ti­on von der Kir­chen­ba­sis her zu for­mu­lie­ren und in der Öffent­lich­keit zu vertreten.

Stel­lung­nah­me in der Zeitung

«Die Kir­che muss anders wer­den», for­der­te die Aar­gau­er Pasto­ral­kon­fe­renz in einem Inse­rat in der Gesamt­aus­ga­be der Aar­gau­er Zei­tung anfangs Dezem­ber 2023. Um der For­de­rung Nach­druck zu ver­lei­hen, bekräf­tig­ten 220 Seel­sor­gen­de, Dia­ko­ne und Kate­che­tin­nen mit ihrer Unter­schrift, dass sie soli­da­risch zu jenen Men­schen ste­hen, die Opfer von kirch­li­chem Macht­miss­brauch gewor­den sind. Die Unter­zeich­nen­den bezahl­ten das Inse­rat aus der eige­nen Tasche. «An vie­len Orten wur­de unse­re Stel­lung­nah­me posi­tiv auf­ge­nom­men und dis­ku­tiert, wie zum Bei­spiel in Frau­en­grup­pen, Pfar­rei­rä­ten, Kir­chen­pfle­gen oder Seel­sor­ge­teams», sagt Bern­hard Lind­ner, Prä­si­dent der Aar­gau­er Pasto­ral­kon­fe­renz, im Rückblick. 

Pla­ka­te rund um die Kirche

Auch die Pfar­rei Peter und Paul Aar­au reagier­te auf die Ver­öf­fent­li­chung der Pilot­stu­die: «Kir­che? So nicht!», stand auf Pla­ka­ten rund um Kir­che und Pfarr­haus. Auf der obe­ren Hälf­te war in Stich­wor­ten fest­ge­hal­ten, wor­an die katho­li­sche Kir­che krankt: Die Rol­le der Frau­en, die Macht­fra­ge, die Sexu­al­mo­ral, das Prie­ster­bild und die Aus­bil­dungs- und Per­so­nal­po­li­tik. Die unte­re Hälf­te des Pla­kats hielt fest, wie die Kir­che vor Ort gelebt wird: «Unse­re Struk­tu­ren ori­en­tie­ren sich an Gleich­be­rech­ti­gung und Par­ti­zi­pa­ti­on in gemein­sa­mer Verantwortung.»

«Die Kirche muss anders werden» - Lichtblick Römisch-katholisches Pfarrblatt der Nordwestschweiz

Eines der Pla­ka­te, die die Pfar­rei Peter und Paul Aar­au rund um Kir­che und Pfarr­haus plat­zier­te. | © Jean­nette Häs­ler Daffré

Raum für Gesprä­che wur­de genutzt

Jean­nette Häs­ler Daf­fré ist Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ver­ant­wort­li­che der Römisch-Katho­li­schen Kir­che im Aar­gau. Sie erkärt, dass die Lan­des­kir­che gleich nach der Publi­ka­ti­on der Miss­brauchs­stu­die zwei Tref­fen für Mit­ar­bei­ten­de der Pfar­rei­en und Kirch­ge­mein­den auf die Bei­ne stell­te. «Raum für Gesprä­che» hiess das Ange­bot. Es dien­te dem Aus­tausch und der Infor­ma­ti­on, anwe­send war auch eine Psy­cho­lo­gin, die Aus­kunft zum Umgang mit Trau­ma­ta gab. Das Tref­fen fand ein­mal vor Ort und ein­mal online statt. Bei­de Male nah­men je etwa 25 Per­so­nen teil. Die Teil­neh­men­den waren sich einig: «Es ist gut, dass wir nicht allei­ne gelas­sen werden.»

Die Stu­die rief Betrof­fe­ne dazu auf, sich bei einer Opfer­be­ra­tung zu mel­den. Auf Nach­fra­ge erklärt die Opfer­be­ra­tung Aar­gau, dass sich seit der Ver­öf­fent­li­chung zwei Per­so­nen gemel­det hät­ten. Dabei hand­le es sich um Ereig­nis­se, die weni­ger als 20 Jah­re zurückliegen.

Im ersten Schock ausgetreten

«Im Sep­tem­ber und im Okto­ber nach der Ver­öf­fent­li­chung der Pilot­stu­die stell­ten wir einen Bedarf an Infor­ma­ti­on und Aus­tausch fest», sagt Jean­nette Häs­ler Daf­fré, «und lei­der auch einen Peak bei den Kir­chen­aus­trit­ten. Bei­des ist aber vor Ende des letz­ten Jah­res wie­der abge­ebbt.» Im Früh­ling gab es gar ein­zel­ne Wie­der­ein­trit­te von Men­schen, die im ersten Schock aus der Kir­che aus­ge­tre­ten waren, wie Häs­ler berich­tet: «Es erreich­ten uns Mel­dun­gen von Per­so­nen, die es sich anders über­legt hat­ten. ‹End­lich schaut die Kir­che hin› sag­ten sie.»

Marie-Christine Andres Schürch
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