Die Kirche muss anders werden
Das forderten die Aargauer Seelsorgenden, Katechetinnen und Diakone nach der Veröffentlichung der Missbrauchsstudie
Die Publikation der Pilotstudie zum Missbrauch in der Kirche vor einem Jahr stellte die Mitarbeitenden in den Pfarreien vor die Herausforderung, für die vielen Missbrauchsfälle «den Kopf hinhalten» zu müssen. Pfarreien, Pastoralkonferenz und die Landeskirche reagierten mit je eigenen Aktionen.
Die Publikation der Pilotstudie stellte die Mitarbeitenden in den Pfarreien vor die Herausforderung, für die vielen Missbrauchsfälle «den Kopf hinhalten» zu müssen. Die auf die Studie folgende Welle von Kirchenaustritten bereitete ebenfalls vor allem den Ortspfarreien finanzielle Probleme. In der Aargauer Pastoralkonferenz sind Seelsorgende, Diakone und Katechetinnen und Katecheten aus dem Kanton zusammengeschlossen. Nach Veröffentlichung der Studie beschloss eine Initiativgruppe aus Mitgliedern der Pastoralkonferenz, eine eigenständige Position von der Kirchenbasis her zu formulieren und in der Öffentlichkeit zu vertreten.
Stellungnahme in der Zeitung
«Die Kirche muss anders werden», forderte die Aargauer Pastoralkonferenz in einem Inserat in der Gesamtausgabe der Aargauer Zeitung anfangs Dezember 2023. Um der Forderung Nachdruck zu verleihen, bekräftigten 220 Seelsorgende, Diakone und Katechetinnen mit ihrer Unterschrift, dass sie solidarisch zu jenen Menschen stehen, die Opfer von kirchlichem Machtmissbrauch geworden sind. Die Unterzeichnenden bezahlten das Inserat aus der eigenen Tasche. «An vielen Orten wurde unsere Stellungnahme positiv aufgenommen und diskutiert, wie zum Beispiel in Frauengruppen, Pfarreiräten, Kirchenpflegen oder Seelsorgeteams», sagt Bernhard Lindner, Präsident der Aargauer Pastoralkonferenz, im Rückblick.
Plakate rund um die Kirche
Auch die Pfarrei Peter und Paul Aarau reagierte auf die Veröffentlichung der Pilotstudie: «Kirche? So nicht!», stand auf Plakaten rund um Kirche und Pfarrhaus. Auf der oberen Hälfte war in Stichworten festgehalten, woran die katholische Kirche krankt: Die Rolle der Frauen, die Machtfrage, die Sexualmoral, das Priesterbild und die Ausbildungs- und Personalpolitik. Die untere Hälfte des Plakats hielt fest, wie die Kirche vor Ort gelebt wird: «Unsere Strukturen orientieren sich an Gleichberechtigung und Partizipation in gemeinsamer Verantwortung.»
Eines der Plakate, die die Pfarrei Peter und Paul Aarau rund um Kirche und Pfarrhaus platzierte. | © Jeannette Häsler Daffré
Raum für Gespräche wurde genutzt
Jeannette Häsler Daffré ist Kommunikationsverantwortliche der Römisch-Katholischen Kirche im Aargau. Sie erkärt, dass die Landeskirche gleich nach der Publikation der Missbrauchsstudie zwei Treffen für Mitarbeitende der Pfarreien und Kirchgemeinden auf die Beine stellte. «Raum für Gespräche» hiess das Angebot. Es diente dem Austausch und der Information, anwesend war auch eine Psychologin, die Auskunft zum Umgang mit Traumata gab. Das Treffen fand einmal vor Ort und einmal online statt. Beide Male nahmen je etwa 25 Personen teil. Die Teilnehmenden waren sich einig: «Es ist gut, dass wir nicht alleine gelassen werden.»
Die Studie rief Betroffene dazu auf, sich bei einer Opferberatung zu melden. Auf Nachfrage erklärt die Opferberatung Aargau, dass sich seit der Veröffentlichung zwei Personen gemeldet hätten. Dabei handle es sich um Ereignisse, die weniger als 20 Jahre zurückliegen.
Im ersten Schock ausgetreten
«Im September und im Oktober nach der Veröffentlichung der Pilotstudie stellten wir einen Bedarf an Information und Austausch fest», sagt Jeannette Häsler Daffré, «und leider auch einen Peak bei den Kirchenaustritten. Beides ist aber vor Ende des letzten Jahres wieder abgeebbt.» Im Frühling gab es gar einzelne Wiedereintritte von Menschen, die im ersten Schock aus der Kirche ausgetreten waren, wie Häsler berichtet: «Es erreichten uns Meldungen von Personen, die es sich anders überlegt hatten. ‹Endlich schaut die Kirche hin› sagten sie.»