Erfrischend, divers und politisch korrekt

Erfrischend, divers und politisch korrekt

  • In diesen Tagen erscheint die Zeitung «zVis­ite» als Beilage ver­schieden­er kirch­lich­er Pub­lika­tio­nen in der Deutschschweiz.
  • Aktuelles The­ma der inter­re­ligiösen Zeitung ist «Das Wort in den Reli­gio­nen».
  • Aus diesem Anlass hat zVis­ite mit der Jour­nal­istin Albi­na Muhtari vom Online-Mag­a­zin Baba News gesprochen.

«Die Mus­lime», «die Aus­län­der», «die Flüchtlinge», «die Kopftuchträ­gerinnen»: Wer diesen Schlagwör­tern begeg­net, erwartet oft nichts Gutes, ist Albi­na Muhtari überzeugt. «Beim Wort Islam kommt oft ein Unbe­ha­gen auf, und vor dem in­neren Auge entste­hen neg­a­tive Bil­der.» Die Jour­nal­istin ist mit ihrer Wahrnehmung, dass die Berichter­stattung über den Islam hierzula­nde neg­a­tiv gefärbt ist, nicht allein. Viele, beson­ders junge Muslimin­nen und Mus­lime, teilen den Ein­druck. Eine aktuelle Unter­suchung des Forschungsin­sti­tuts Öffentlich­keit und Gesellschaft der Univer­sität Zürich kommt zu einem ähn­lichen Schluss: Mus­lim­in­nen und Mus­lime wer­den in den Medi­en häu­fig prob­lema­tisiert.

Interreligiöse Beilage

«zVis­ite» – der Titel ist Pro­gramm: Die Redak­torin­nen und Redak­toren gehen zu Besuch, doku­men­tieren und dis­kutieren Fra­gen des inter­re­ligiösen Zusam­men­lebens. «zVis­ite» ist eine Gemein­schaftsproduktion ver­schieden­er Zei­tungen und Onlinepor­tale mit christ­lichem und jüdis­chem Hin­ter­grund – auch des Aar­gauer Pfar­rblatts Hor­i­zonte – sowie Mit­gliedern der mus­lim­is­chen und hin­duis­tis­chen Glaubensgemein­schaften in der Schweiz. Hor­i­zonte-Leserin­nen und Leser find­en die aktuelle Aus­gabe am Do, 4. Novem­ber, in ihrem Briefkas­ten.

Ganz normale Menschen

Deshalb lancierte Albi­na Muhtari vor drei Jahren ihr eigenes Medi­um: Baba News, das Online­-Mag­a­zin für Schweiz­erin­nen und Schweiz­er «mit Wurzeln von über­all». Im Ein­-Raum­-Büro an der Gren­ze zwis­chen Bern und Oster­mundi­gen sucht das mit­tler­weile dreiköp­fige Team re­levante The­men, entwick­elt Ideen, führt Gespräche mit unterschied­lichsten Pro­tag­o­nistin­nen, schreibt Artikel, pro­duziert Videos und er­reicht damit 18’000 Fol­low­ers.

Sie wollen facetten­re­iche Le­benswelten «von ganz nor­malen Men­schen aus dem All­t­ag» zugäng­lich machen. «Wir geben jenen eine Stimme, über die son­st gesprochen oder geschrieben wird», betont Muhtari. Ein Crowd­fund­ing stellt die Finanzierung von 150 Stellen­prozenten für die Dauer eines Jah­res sich­er. Auf dem Por­tal berich­ten Sec­on­dos und Sec­on­das über Vorurteile, denen sie begeg­nen, und sie beschreiben, was das mit ihnen macht. Oder Mus­lim­in­nen erk­lären, warum sie sich für das Kopf­tuch entsch­ieden haben und welche Reak­tio­nen das in ihrem Umfeld aus­löst.

Muhtari und ihre Mitstreiterin­nen scheuen sich nicht, auch heik­le The­men aufzu­greifen und sie kon­trovers zu disku­tieren. «Wir be­richten aus dem Innern ein­er mul­ti­kul­turellen Com­mu­ni­ty», sagt die Schweiz­erin mit mus­lim­is­chem Hin­ter­grund. Auch wenn etwa die Hälfte ihrer Fol­low­ers keine Migra­tionsgeschichte haben. Für die andere Hälfte bietet das Mag­a­zin viel Raum für Iden­ti­fika­tion. Entspre­chend pos­i­tiv sind die Rückmel­dungen: «Ich füh­le mich verstan­den», «Endlich bringt es mal jemand auf den Punkt» oder «Es ist schön, nicht mehr allein zu sein» wird ge­postet. «Wir bieten vie­len ein me­diales Zuhause. Das hat bish­er ge­fehlt», sagt Muhtari.

Diskurs abbilden

Trotz allem will die Redak­tion von Baba News auch der eige­nen Com­munity gegenüber kri­tisch sein. Dazu gehört, keine verharmlosen­den Diskurse zu repro­duzieren und sich nicht vor kon­tro­ver­sen The­men zu scheuen. «Auch inner­halb der Com­mu­ni­ty gibt es unter­schiedliche Ansicht­en. Das wollen wir abbilden», find­et Muhtari. So habe etwa kür­zlich ein Video zum The­ma Islam und Trans­sex­u­al­ität in kurz­er Zeit 1550 Likes bekom­men. Gle­ichzeit­ig habe es auch sehr kri­tis­che Reak­tio­nen gegeben. «Das nehmen wir in Kauf», stellt sie fest.

Die 34-­jährige Jour­nal­istin erin­nert sich an ihre Zeit als Com­mu­ni­ty-­Redak­torin beim Redaktions­netzwerk Tame­dia. Als es um die Com­ing-­Out­-Geschichte eines ho­ mosex­uellen Mannes mit muslimi­schem Hin­ter­grund ging, war man sich in der Redak­tion uneinig, wie der Artikel in den sozialen Medi­en veröf­fentlicht wer­den sollte. «Der Social­-Medi­a­-Post war der zuständi­gen Autorin zu wenig pro­voka­tiv», so Muhtari. Ohne das Stich­wort Is­lam gener­iere der Post zu wenig Klicks, habe diese befürchtet. Tat­säch­lich sei danach der Bei­trag vielfach geteilt wor­den, nur dass es nicht primär um den Pro­tagonisten und seine Erfahrun­gen gegan­gen sei, son­dern um den ver­meintlich «rück­ständi­gen Islam», der es Homo­sex­uellen beson­ders schw­er mache. «Manch­mal kommt es mir vor», fährt Muhtari fort, «als ob Jour­nal­is­ten und Jour­nal­istin­nen befürchteten, nicht genü­gend kri­tisch zu sein, wenn sie in neu­tralem Ton über Mus­lime schreiben.»

Baba: Vater und Mutter

Baba News heisst das Por­tal, weil «Baba» im ara­bisch-­türkischen Sprachraum «Vater» und im slawi­schen «Mut­ter» oder «Gross­mut­ter» bedeutet, erk­lärt Albi­na Muhtari. «Mit diesem Begriff sind bei­de Ge­schlechter gemeint. Und er macht deut­lich, dass wir, die Redaktorin­nen und die User, uns auch mit un­seren Wurzeln befassen.» Polit­i­cal Cor­rect­ness ist den Macherin­nen von Baba News wichtig. Während viele junge Leute poli­tisch korrek­te Aus­druck­sweisen verin­ner­licht hät­ten, sei dies bei der älteren Gene­ration manch­mal weniger der Fall, so Muhtari. Selb­st sieht sie sich ir­gendwo dazwis­chen. «Ich musste mich auch schon selb­st kor­rigieren und lerne mit meinen jün­geren Kol­leginnen immer wieder dazu», sagt sie lachend.

Multikulturelle Zukunft

Albi­na Muhtari hofft, dass auch kon­ven­tionelle Medi­en­häuser zu­nehmend den Men­schen mit Migra­tionshintergrund – immer­hin sind das fast 40 Prozent der Bevölke­rung in der Schweiz – gerecht wer­den. Die Redak­tio­nen soll­ten divers­er wer­den, auf allen Hierar­chieebenen, meint sie. «So find­en unter­schiedlich­ste Erfahrungswel­ten und Geschicht­en von selb­st Ein­gang in die Berichter­stat­tung, und die Gesellschaft wird real­ität­sna­her abge­bildet.»

Marie-Christine Andres Schürch
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