«Die Katechese soll die Zukunft der Kirche mitbestimmen»

«Die Katechese soll die Zukunft der Kirche mitbestimmen»

  • An ein­er zweitägi­gen Tagung beschäfti­gen sich am kom­menden Mon­tag und Dien­stag, 19. und 20. Okto­ber 2020, die Aar­gauer Kat­e­chetinnen und Kat­e­cht­en mit der Gegen­wart und Zukun­ft des Reli­gion­sun­ter­richts. The­men sind unter anderem der neue, sich an Kom­pe­ten­zen ori­en­tierende Lehrplan und die fortschre­i­t­ende Ver­drän­gung des Reli­gion­sun­ter­richts aus der Schule.
  • Welche Zukun­ft hat der kon­fes­sionelle Reli­gion­sun­ter­richt im Span­nungs­feld der Verän­derun­gen in Kirche und Schule? Joachim Köhn, Fach­stel­len­leit­er Kat­e­ch­ese-Medi­en im Aar­gau, und Fach­hochschul­dozent Gui­do Ester­mann sehen für den Reli­gion­sun­ter­richt klar eine für die Zukun­ft der Kirche mit­gestal­tende Rolle.

«Christliche Ethik als wertvoll erken­nen»

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Gui­do Ester­mann ist Haup­tre­f­er­ent an der diesjähri­gen Aar­gauer Weit­er­bil­dungsta­gung für Kat­e­ch­ese in Wis­likofen. Er leit­et im Kan­ton Zug die Fach­stelle Kat­e­ch­ese-Medi­en und ist Dozent an der  Päd­a­gogis­chen Hochschule Schwyz für den Fach­bere­ich Men­sch-Natur-Gesellschaft. Für Hor­i­zonte beant­wortet Gui­do Ester­mann drei Fra­gen mit Blick auf die anste­hende Tagung.

Herr Ester­mann: Kom­pe­ten­zori­en­tierung ist die neue Anforderung an den Reli­gion­sun­ter­richt. Was bedeutet dieser Par­a­dig­men­wech­sel für die Kat­e­chetinnen?
Gui­do Ester­mann: Mit den vor über 50 Jahren ini­ti­ierten reli­gion­späd­a­gogis­chen Wan­del weg vom Kat­e­chis­musler­nen hin zu einem kindgerecht­en Arbeit­en, war eigentlich die Kom­pe­ten­zori­en­tierung schon lange vor­bere­it­et. Kom­pe­ten­zori­en­tierung bedeutet, dass religiös­es Wis­sen und religiöse Erfahrung konkret in der Welt ange­wandt wer­den kann. Es gibt viele religiöse Bilder und Phänomene in der Welt, welche die Kinder ent­deck­en und deuten ler­nen kön­nen. Oder das konkrete Han­deln nach christlich­er Ethik als wertvoll für sich erken­nen und konkret leben. Neu ist, dass sich mit der Kom­pe­ten­zori­en­tierung eine bes­timmt päd­a­gogis­che Auf­gabenkul­tur verbindet. Das heisst, durch konkrete Auf­gaben­stel­lun­gen sollen Kinder und Jugendliche ihr Wis­sen in konkreten Sit­u­a­tio­nen anwen­den kön­nen.

Teils kla­gen Kat­e­chetinnen, dass durch die Neuori­en­tierung die Kat­e­ch­ese-Aus­bil­dung ähn­lich wie die Kinder­garten- und Pri­mar­lehreraus­bil­dung an den Fach­hochschulen stärk­er «verkopft» wird: Was ent­geg­nen Sie auf diese Kri­tik?
Die Aus­bil­dung muss einem Pro­fes­sionsver­ständ­nis genü­gen, welch­es an die Bil­dungs­land­schaft anschlussfähig ist. Der Vor­wurf der «Verkop­fung» stimmt nicht, denn in den Aus­bil­dungs­gän­gen, sowohl in der Lehrper­so­n­e­naus­bil­dung wie auch in der Aus­bil­dung zur Kat­e­chetin und zur Reli­gion­slehrper­son, ist der Prax­isan­teil sehr hoch. Aber: Die Pla­nung der eige­nen Prax­is und die Reflex­ion über die eigene Prax­is ist heute wis­senschaft­sori­en­tiert. Das erscheint als «Verkop­fung», ist es aber nicht. Denn mit ein­er guten Pla­nungs- und Reflex­ion­skom­pe­tenz kön­nen Lehrper­so­n­en ein­fach besseren Unter­richt machen. Dazu gehört ein lehrplanori­en­tiertes Fach­wis­sen, eine zeit­gemässe Fach­di­dak­tik und Methodik aber auch ein Wis­sen über entwick­lungspsy­chol­o­gis­che Zusam­men­hänge.

Immer wieder hört man, dass Kinder im Reli-Unter­richt Unfug machen, weil sie hier halt nicht in das strenge Kore­sett aus Noten­druck und Arbeit­spflicht einge­bun­den sind.
Let­ztlich ist jen­er Unter­richt gut, der von qual­i­fizierten und pro­fes­sionellen Lehrper­so­n­en erteilt wird. Die sit­u­a­tive Ein­bet­tung in die Lebenswelt der Kinder ist dabei eben­so zen­tral, wie die Möglichkeit, das Kinder und Jugendliche anspruchsvolle Auf­gaben und Tätigkeit­en machen kön­nen. Mit der Kom­pe­ten­zori­en­tierung soll dieser Anspruch ein­gelöst wer­den. Guter Unter­richt bedeutet auch: Weniger diszi­pli­nar­ische Her­aus­forderung. Der Druck mit Noten und Arbeit­spflicht löst das Kern­prob­lem von Diszi­plin­prob­le­men nicht. Die Kom­pe­ten­zori­en­tierung ermöglicht es beson­ders Reli­gion­slehrper­so­n­en, auf die Voraus­set­zun­gen der Kinder und Jugendliche einzuge­hen, sie zu fördern und die Freude an der Sache zu entwick­eln.

Joachim Köhn leit­et im Aar­gau die Fach­stelle Kat­e­ch­ese-Medi­en und ist ver­ant­wortlich für die Aus­bil­dung der Kat­e­chetinnen und Kat­e­cheten. Für kom­menden Mon­tag und Dien­stag, 19. und 20. Okto­ber, hat Joachim Köhn in Wis­likofen eine Weit­er­bil­dungsta­gung organ­isiert. Diese möchte Ori­en­tierung und vielfältige Hand­lungsim­pulse bieten, die kat­e­chetis­che Arbeit an der Schule und in der Pfar­rei inten­siv­er zu reflek­tieren. Hor­i­zonte hat im Vor­feld mit Joachim Köhn gesprochen.

Herr Köhn: «Zukun­ft gestal­ten in kirch­lichen Räu­men und Zeit­en. Konkrete Per­spek­tiv­en für die Ler­norte Schule und Pfar­rei». So lautet das Mot­to der Tagung. Inwieweit hat dieses The­ma im Blick, dass der Reli-Unter­richt mehr und mehr aus den Schulen ver­ban­nt wird?
Joachim Köhn: Die zweitägige Weit­er­bil­dung trägt dem Rech­nung, indem sie sich mit den Ler­norten Schule und Pfar­rei auseinan­der­set­zt. Die Tagung möchte Ori­en­tierung und vielfältige Hand­lungsim­pulse anbi­eten, die kat­e­chetis­che Arbeit bei­der Ler­norte inten­siv­er zu reflek­tieren und allen­falls Neu­justierun­gen vorzunehmen. Gle­ichzeit­ig sig­nal­isieren die Anre­gun­gen den Auf­trag, die weit­ere konkrete Aus­gestal­tung und Umset­zung vor Ort mutig und entschlossen anzuge­hen, beziehungsweise fortzuset­zen.

Wie kön­nten solche Neu­justierun­gen ausse­hen?
Dass Kat­e­ch­ese in den Pfar­reien «Räume» für Glaubenser­fahrun­gen – für alle Gen­er­a­tio­nen – eröffnet. Der «Ler­nort Kirche» macht die Pfar­rei auch leben­snäher und belebt die Kirche vor Ort.

Zen­trales The­ma scheint mir darüber hin­aus der kom­pe­ten­zori­en­tierte Reli­gion­sun­ter­richt zu sein. Was heisst das genau für die Schü­lerin­nen und Schüler, die den Reli­gion­sun­ter­richt in der Schule besuchen?
Die Kom­pe­ten­zori­en­tierung ist das didak­tis­che Grund­prinzip ein­er neuen Unter­richt­skul­tur. Sie richtet sich am einzel­nen Ler­nen­den aus. Dafür sind indi­vid­u­al­isierende Lern­for­men wichtig und die Unter­richt­s­pla­nung hat eine länger­fristige Per­spek­tive. Bish­er ori­en­tierte sich der RU eher an Stoff­plä­nen. Neu ist jet­zt der Ansatz ergeb­nisori­en­tiert, indem der Unter­richt mit seinen Inhal­ten und didak­tis­chen und method­is­chen Zugän­gen von den Kom­pe­ten­zen her geplant und umge­set­zt wird.

Kön­nen Sie mir da anhand eines konkreten Beispiels schildern, was das bedeutet?
Der kom­pe­ten­zori­en­tierte Unter­richt set­zt bei den Erfahrun­gen der Schü­lerin­nen und Schüler an und will sie begleit­en, Spuren Gottes in ihrem Leben zu find­en.

Welch­es sind Ihrer Ansicht nach die grössten Her­aus­forderun­gen, mit denen sich die Kat­e­ch­ese in den kom­menden Jahren wird auseinan­der­set­zen müssen?
Bei der Ver­hält­nis­bes­tim­mung der bei­den Ler­norte wün­sche ich mir nicht eine Niv­el­lierung ihrer spez­i­fis­chen Pro­file, son­dern der Fokus sollte mehr in Rich­tung ein­er schär­fer­en Pro­fil­ierung ihrer jew­eili­gen Spez­i­fi­ka zie­len. Hier wün­sche ich mir, dass sich die kat­e­chetisch Täti­gen aktiv­er als bish­er in die Gestal­tung gesamt­pas­toraler Entwick­lun­gen ein­brin­gen und mit ihrem pro­fes­sionellen Wirken die Zukun­ft der Kirche mitbes­tim­men. Eben­so sind auf dem kat­e­chetis­chen Radar fol­gende «Quer­schnitts­the­men»: die öku­menis­che Zusam­me­nar­beit, die ander­ssprachi­gen Mis­sio­nen und die Dig­i­tal­ität.

Sie sprechen von der Gestal­tung gesamt­pas­toraler Entwick­lun­gen und der Zukun­ft der Kirche, welche die Kat­e­ch­ese mitbes­tim­men soll. Wie kön­nte das ausse­hen?
Die Kat­e­ch­ese ist Teil der Pas­toral. Wenn sie beispiel­sweise in der Pfar­rei stat­tfind­et, wird sie offen und weit­er. So kann beispiel­sweise ein diakonis­ches Pro­jekt Teil der Kat­e­ch­ese wer­den. Eine gute Kat­e­ch­ese ist die Basis ein­er guten Pas­toral!

In der Kri­tik ste­ht ab und zu die Kat­e­ch­ese-Aus­bil­dung: Zu verkopft – ähn­lich wie die Kinder­garten­lehrper­son­saus­bil­dung an der PH, immer stärk­er ver­akademisiert. Was ent­geg­nen Sie auf diese Kri­tik?
Wenn die Kat­e­ch­ese und der Reli­gion­sun­ter­richt weit­er­hin tra­gende Teile der gesamt­pas­toralen Entwick­lung bleiben wollen, dann bedarf es pro­fes­sionell aus­ge­bilde­ter Per­so­n­en, die mit der Kirche ver­bun­den sind. Durch ideelle wie finanzielle Unter­stützung sowie durch das Schaf­fen von guten Rah­menbe­din­gun­gen (Anstel­lungs- und Per­son­al­re­gle­mente) tra­gen die Kirchenpfle­gen vor Ort diese Vision mit.

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Andreas C. Müller
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