Unter­wegs in der mul­ti­kul­tu­rel­len Schweiz

Unter­wegs in der mul­ti­kul­tu­rel­len Schweiz

Till­mann Luther, seit 2001 Pfar­rer in der refor­mier­ten Kirch­ge­mein­de Visp (Wal­lis), ist aus Rhein­land-Pfalz ein­ge­wan­dert. Auf­ge­wach­sen ist der 55-Jäh­ri­ge in Coburg (Ober­fran­ken).«Die Kir­che ist ein Aus­lauf­mo­dell. Sie soll­te den siche­ren Hafen immer wie­der ver­las­sen und aus­lau­fen, um Neu­es zu ent­decken. Das­sel­be gilt auch für die Pfar­rer, also für mich.Das Wal­lis ver­folg­te michIch war damals im Amt in der Süd­pfalz und woll­te im Alter von 40 Jah­ren etwas veän­dern. Ein Kol­le­ge mach­te mich dar­auf auf­merk­sam, dass in Visp im Wal­lis ein Pfar­rer gesucht wür­de. Ich muss­te erst mal nach­se­hen, wo der Ort mit dem selt­sa­men Namen war und küm­mer­te mich dann nicht mehr dar­um. Aber der Kan­ton ver­folg­te mich: Pötz­lich sah ich in der Zei­tung Wer­bung von Wal­li­ser Käse, im Fern­se­hen kam eine Doku­men­ta­ti­on über die Ret­tungs­flie­ger in Zer­matt und ich ent­deck­te, dass sich auf der Toble­ro­ne das Mat­ter­horn befin­det.Ich mel­de­te ich mich in Visp und die Stel­le war noch frei. Ich wur­de gewählt und lebe nun seit fünf­zehn Jah­ren mit mei­ner Frau und mei­nem Sohn im Wal­lis, mei­ner neu­en Hei­mat.

Beruf als Integration 

Als Pfar­rer war es von Anfang an leicht für mich, mit den Men­schen in Kon­takt zu kom­men. Nach einem Crash­kurs in «Wal­li­ser Tiitsch» ver­stand ich sie sogar und dadurch, dass es sich um eine klei­ne Kan­to­nal­kir­che han­delt, wur­de ich umge­hend in Ämtern ein­ge­setzt und damit ein voll­wer­ti­ges Mit­glied.In den ersten Jah­ren war ich viel­leicht etwas zu anpas­sungs­wil­lig und har­mo­nie­be­dürf­tig. Ich woll­te dazu­ge­hö­ren und habe ver­sucht, ein mög­lichst guter Schwei­zer sein. Aber ich muss­te ja auch ler­nen, wie das Leben hier funk­tio­niert und jetzt im Rück­blick hat es sich gelohnt: Ich bin akzep­tiert, bin ein­ge­bür­gert und möch­te auch im Alter hier­blei­ben.

Kir­che als Brücke zur Gesellschaft

Von Anfang hat mir die Kir­che Hei­mat gege­ben: Die Kasua­li­en und Got­tes­dien­ste hier sind die­sel­ben wie in der refor­mier­ten Kir­che in Deutsch­land. Man singt die glei­chen Lie­der und hat die­sel­ben Gebe­te. Das erleich­tert das Ankom­men in einem neu­en Land. Genau so muss es für Flücht­lin­ge mit christ­li­chem Hin­ter­grund sein: Die Kir­che bil­det eine Brücke zur Gesell­schaft. Als Pfar­rer in Visp erle­be ich Men­schen aus den unter­schied­lich­sten Kul­tu­ren. Sie kom­men in den Got­tes­dienst oder besu­chen Gebets­krei­se, weil sie auf der Suche nach Hei­mat sind und in der Kir­che auf Bekann­tes tref­fen. Auch wenn Tou­ri­sten mit­sin­gen und beten, dann ver­bin­den sie sich mit dem Land und erle­ben sich als Teil davon.Nicht sel­ten ent­decken Men­schen in der Dia­spo­ra erst recht die Zuge­örig­keit zu ihrer Glau­bens­ge­mein­schaft. Kürz­lich erzähl­te mir ein deut­sches Ehe­paar – bei­de arbei­ten und leben im Wal­lis – sie hät­ten sich dank der Kon­tak­te in der Kirch­ge­mein­de schnell inte­griert und näh­men nun regel­mäs­sig an den Ver­an­stal­tun­gen teil, was sie frü­her nicht gemacht hät­ten.Für eine Rei­he von Refor­mier­ten ist es nicht ganz leicht, zum Glau­ben zu ste­hen, aus Angst, als fun­da­men­ta­li­stisch zu gel­ten. Das ist doch scha­de, denn der Glau­be an Jesus Chri­stus kann für einen Men­schen tat­säch­lich Hei­mat sein. Eine Hei­mat, die er über­all hin mit­nimmt und mit ande­ren tei­len kann, unab­hän­gig von der Natio­na­li­tät oder von Lan­des­gren­zen.

Hei­mat: Der Duft von Son­ne auf trocke­nem Holz

Für mich per­sön­lich ist das Gefühl von Hei­mat auch an bestimm­te Men­schen, an Orte oder Gerü­che gebun­den. Wenn hier im Wal­lis bei­spiels­wei­se die Son­ne auf trocke­nes Holz scheint, ent­steht ein ganz beson­de­rer Duft. Den gibt’s nur hier und löst in mir ein war­mes und woh­li­ges Gefühl aus. So riecht für mich Heimat.»
Andreas C. Müller
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