«Die Kir­che braucht es»

«Die Kir­che braucht es»

«Wozu braucht es die Kir­che noch?» — In Anleh­nung an eine Dis­kus­si­on in Solo­thurn am 29. März 2017, frag­te Hori­zon­te mit Blick auf den Aar­gau Kir­chen­rä­te, Seel­sor­gen­de und einen Freidenker.Die katho­li­sche Kir­chen­rä­tin Clau­dia Cha­puis, die das Res­sort Dia­ko­nie, CARITAS und Sozi­al­rat betreut, ant­wor­tet auf die Fra­ge, ob es denn die Kir­che noch brau­che, ohne Ein­schrän­kung mit «Ja» und begrün­det das mit dem brei­ten sozia­len Enga­ge­ment der Kir­chen. Hin­zu kom­me, dass es «die Auf­ga­be der Kir­che ist, das sozia­le Gewis­sen der Men­schen anzu­spre­chen und dezi­diert Stel­lung für Mensch und Umwelt zu bezie­hen».

«400 000 Gläu­bi­ge im Aar­gau rei­chen als Rechtfertigung»

Die Refor­mier­te Pfar­re­rin am Mut­schel­len, Corin­ne Dobler, bringt einen wei­te­ren Aspekt ins Spiel: «Der Kern der Kir­che ist die Bot­schaft des Evan­ge­li­ums: Ach­te die Schöp­fung, ach­te Gott als den Urhe­ber der Schöp­fung. Ler­ne dich selbst zu lie­ben und dei­ne Mit­men­schen. Die Kir­che braucht es solan­ge, wie die Welt nicht nach die­sen Grund­sät­zen lebt und es braucht sie als Stim­me der Aus­ge­stos­se­nen und Schwa­chen.»Für Luc Hum­bel, Kir­chen­rats­prä­si­dent der Katho­li­schen Lan­des­kir­che im Aar­gau, erüb­rigt sich die Fra­ge mit Blick auf 400 000 Men­schen, die sich im Aar­gau zum christ­li­chen Glau­ben beken­nen: «Wie­so soll­te es bei die­ser Anzahl kei­ne Kir­chen brau­chen?»

Das Pro­blem sind kon­fes­sio­nel­ler Zwang und Mission

Anders sieht das Valen­tin Abgotts­pon, Vize­prä­si­dent der Frei­den­ker­ver­ei­ni­gung Schweiz und Kämp­fer für eine Tren­nung von Kir­che und Staat. «Es gibt Lei­stun­gen von Kir­chen, sozia­ler oder kul­tu­rel­ler Art, an denen wir Frei­den­ke­rin­nen und Frei­den­ker nichts oder nur wenig aus­zu­set­zen haben. Doch bei vie­len die­ser eigent­lich guten Taten und Insti­tu­tio­nen ist lei­der mehr oder weni­ger Mis­si­on drin. Einer katho­li­schen Schwan­ger­schafts­be­ra­tung traue ich kei­ne welt­an­schau­lich neu­tra­le Hal­tung zu. In vie­len Kan­to­nen wer­den sol­che Stel­len aber nicht von Kir­chen­steu­ern, son­dern über die Steu­ern von allen finan­ziert. Damit sind Kon­fes­si­ons­freie gezwun­gen, kon­fes­sio­nell getra­ge­ne Insti­tu­tio­nen oder Stel­len mit­zu­fi­nan­zie­ren.»Staat­lich finan­zier­te Ange­bo­te, so Valen­tin Abgotts­pon, müss­ten von­sei­ten des Staa­tes aus­ge­schrie­ben wer­den. Ein kla­rer Lei­stungs­auf­trag müs­se sicher­stel­len, dass ohne Mis­si­on gear­bei­tet wer­de. «Kön­nen die Kir­chen die­se Vor­ga­ben ein­hal­ten, sol­len sie ande­ren Dienst­lei­ste­rin­nen gegen­über nicht dis­kri­mi­niert wer­den. Auf der indi­vi­du­el­len Ebe­ne soll jede und jeder sel­ber ent­schei­den, ob er oder sie die Kir­che braucht und mit­fi­nan­zie­ren will. Für mich per­sön­lich lau­tet die Ant­wort da Nein», posi­tio­niert sich der Frei­den­ker.

«In der Kri­se ist die kirch­li­che Institution»

Dass die Fra­ge nicht ein­fach zu beant­wor­ten ist, wird deut­lich, wenn Chri­stoph Cohen, Dia­kon und Lei­ter des Pasto­ral­raums «Am Rohr­dor­fer­berg», sagt: «Wir sind eine christ­lich gepräg­te Gesell­schaft, der christ­li­che Glau­be ein Anlie­gen vie­ler Men­schen – in der Kri­se ist die kirch­li­che Insti­tu­ti­on».Auch der Refor­mier­te Pfar­rer Lukas Stuck, Zofin­gen, unter­schei­det zwi­schen Insti­tu­ti­on und Inhalt: «Die Kir­chen wer­den in näch­ster Zeit ärmer und klei­ner, das kann eine Chan­ce sein. Die Kir­chen wer­den nicht mehr als mäch­ti­ge Insti­tu­tio­nen gefragt sein. Ich erle­be aber, dass das Inter­es­se an Glau­bens­fra­gen und Seel­sor­ge eher grös­ser wird. Es wird also nicht Insti­tu­tio­nen brau­chen, son­dern Men­schen, die bereit sind für ande­re da zu sein.»«Unser Ziel soll­te nicht mehr sein, die über­gros­sen Kir­chen fül­len zu wol­len, wie es nur noch bei Fir­mun­gen oder ande­ren Hoch­fe­sten mög­lich ist», erklärt Clau­dia Cha­puis. «Es feh­len meist gute Ange­bo­te für klei­ne Grup­pen Gleich­ge­sinn­ter. Glei­ches gilt für die Medi­en­be­richt­erstat­tung. Das Pfarr­blatt Hori­zon­te ist lei­der nicht sehr anspre­chend gestal­tet und wird von der jün­ge­ren Gene­ra­ti­on nicht gele­sen», kri­ti­siert Clau­dia Cha­puis.

«Es braucht eine muti­ge, unan­ge­pass­te, glaub­wür­di­ge Kirche»

Die refor­mier­te Pfar­re­rin Corin­ne Dobler wagt – qua­si als eine Art Gegen­satz zur Selbst­kri­tik – eine Visi­on: «Mir schwebt eine Kir­che vor, die ihre Angst vor dem Zugrun­de­ge­hen, vor finan­zi­el­len Ein­bus­sen, vor Aus­trit­ten und ähn­li­chem immer wie­der los­lässt und ganz auf die Kraft ihrer Bot­schaft ver­traut, mutig ist, klar und unan­ge­passt». Dazu gehört nach Auf­fas­sung von Kir­chen­rats­prä­si­dent Luc Hum­bel aber auch: «tag­täg­lich glaub­wür­di­ges Han­deln im Umgang mit kirch­li­chen Gel­dern».Die Frei­den­ker-Ver­ei­ni­gung Schweiz hat sich der­weil von Beginn an die Tren­nung von Staat und Kir­che zum Ziel gesteckt. Das bedeu­te vor allem, so heisst es auf der Home­page, den Ver­zicht auf die finan­zi­el­le Unter­stüt­zung der Kir­chen mit staat­li­chen Gel­dern und die Abschaf­fung der Erhe­bung von Kir­chen­steu­ern durch den Staat. Wei­ter gehe es um den Ver­zicht auf reli­giö­se Sym­bo­lik im staat­li­chen Bereich und das Ende reli­giö­sen Unter­richts durch staat­li­che und in staat­li­chen Schu­len.Die Tren­nung von Kir­che und Staat, so Valen­tin Abgotts­pon, sei aber nur eine Facet­te der Frei­den­ke­rei, auch, weil es in den mei­sten Kan­to­nen unbe­strit­ten sei, dass die kul­ti­schen Zwecke der Kir­che allei­ne von Kir­chen­mit­glie­dern bezahlt wer­den sol­len. Den Frei­den­kern gehe es auch um einen grund­le­gen­den Huma­nis­mus auf der Basis der Men­schen­rech­te, um Hil­fe für Men­schen denen es nicht gut gehe oder um die Ent­wick­lung guter, reli­gi­ons­frei­er Ritua­le wie Hoch­zei­ten oder Abschieds­fei­ern.

Tren­nung von Kir­che und Staat eine Fra­ge der Zeit?

«Wir haben in der Schweiz mit einem fried­li­chen Mit­ein­an­der der­art gute Erfah­run­gen gemacht, dass es kei­ne Grün­de gibt, die vie­len Vor­tei­le für bei­de Sei­ten in Fra­ge zu stel­len», ent­geg­net Luc Hum­bel. Clau­dia Cha­puis ver­mu­tet, dass bei einer ver­eins­ähn­li­chen Struk­tur die frei­wil­li­gen Mit­ar­bei­ten­den noch bela­ste­ter wären. Zudem bestün­de die Gefahr, dass die in den letz­ten Jah­ren vie­ler­orts gewon­ne­ne Pro­fes­sio­na­li­tät der Kirch­ge­mein­den ver­lo­ren gehen könn­te.Auch Chri­stoph Cohen erach­tet eine Tren­nung von Kir­che und Staat «als nicht wün­schens­wert», ver­mu­tet aber, dass «es bei der jet­zi­gen Ten­denz des gesell­schaft­li­chen Den­kens nur eine Fra­ge der Zeit ist. Unse­re Kir­che tut durch ihr Ver­har­ren im Sta­tus quo das ihre dazu».Die Fra­ge nach der Tren­nung von Kir­che und Staat wer­fe über­dies Fra­gen nach der Finan­zie­rung oder der Fei­er­tags­re­ge­lung auf und sei ver­mut­lich nicht so ein­fach durch­zu­füh­ren, glaubt Corin­ne Dobler. Sie sagt aller­dings auch: «Ich den­ke, dass eine sol­che finan­zi­el­le Tren­nung kommt, sobald wir Refor­mier­ten und Katho­li­ken nicht mehr eine Mehr­heit in der Gesell­schaft reprä­sen­tie­ren. Die Vor- und Nach­tei­le kann ich nicht abschät­zen – da las­se ich mich überraschen.» 
Anne Burgmer
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