Darf das Gewissen dem Recht was husten?
- CoroÂna-bedÂingt fanÂden nur wenige MenÂschen den Weg ins KulÂturhaus Odeon in Brugg, wo am DonÂnerÂstagabend die vierte PodiÂumsÂdiskusÂsion mit der Frage «GewisÂsen über Recht?» zum rechtÂsphilosophisÂchen und sozialethisÂchen DisÂput lockÂte.
- CoroÂna-bedÂingt fehlte ein wichtiger TeilÂnehmer und «GewisÂsenstäter» auf dem PodiÂum, und aus demÂselÂben Grund musste auch für die GesprächÂsleitung ein ErsatzspielÂer einÂsprinÂgen.
- Aber die 18 PodiÂumsÂbeÂsuchÂer waren sich nach der DiskusÂsion und dem Apéro einig, dass an diesem Abend viele überzeuÂgende AnsichtÂen und ansteckÂende EinÂstelÂlunÂgen präsenÂtiert wurÂden.
Die bishÂeriÂgen drei PodiÂumsÂdiskusÂsioÂnen, die die Römisch-KatholisÂche Kirche PasÂtoralÂraum Region Brugg-Windisch im KulÂturhaus Odeon in Brugg verÂanstalÂtet hat, waren sehr gut besuchte PubÂlikumsÂmagÂnete. Auch dieser Abend hätte ein volles Haus verÂdiÂent gehabt, aber aufÂgrund der aktuellen BedroÂhung durch das CoroÂnÂavirus blieben viele BesuchÂer doch lieber zu Hause. Die 18 UnenÂtwegten, die sich denÂnoch trautÂen, wurÂden dafür mit einÂer spanÂnenÂden Lehrstunde in Sachen RechtÂsphilosoÂphie und Sozialethik belohnt, die zwar keine definÂiÂtivÂen LösunÂgen bot, dafür aber zur SelbÂstÂbeÂtraÂchÂtung anregte.
Gesetz der Liebe über allem
Durch den Abend führte JürÂgen Heinze, SpiÂtalseelÂsorgÂer, KursleitÂer in der AusÂbilÂdung von FreiÂwilliÂgen, SuperÂviÂsor und Coach. Er musste kurzfristig für Markus Wentink einÂsprinÂgen, der erst am DonÂnerÂstag aus der CoroÂna-QuarÂanÂtäne entÂlassen worÂden war. Auch PfarÂrer Josef KarÂber musste seine TeilÂnahme absagen, weil er aufÂgrund seines Alters zur CoroÂna-RisikoÂgruppe gehört und sein Arzt ihm darum den Auftritt in Brugg verÂboten hatÂte. So teilÂten sich das PodiÂum die AarÂgauer GrossÂrätin Susanne MarÂclay-Merz, die GeschäftÂsleiÂtÂerin von GreenÂpeace Schweiz, Iris Menn, und der LeitÂer des ProÂjekÂts Reformierte im DiaÂlog und OberasÂsisÂtent am InstiÂtut für Sozialethik der UniÂverÂsität Zürich, Michael BraunÂschweig.«Josef KarÂber kann zwar heute Abend nicht hier sein», sagte JürÂgen Heinze gleÂich nach der VorstelÂlung der PodiÂumÂsteilÂnehmer, «aber er kann trotzÂdem ein StateÂment hier abgeben.» Dann spielte der GesprächÂsleitÂer auf seinem Handy einen AussÂchnitt aus einem InterÂview ab, das der PfarÂrer aus Zürich dem «Beobachter» gegeben hat. Darin erzählte er, dass er vom Zürcher BezirksÂgericht zu einÂer GeldÂstrafe von 9’000 Franken, bei einÂer Bewährung von zwei Jahren, verurteilt wurde, weil er einÂer an Krebs erkrankÂten, papierÂlosen Frau Kirchenasyl gewährt hatÂte. «Es gibt ein Gesetz, das höher steÂht als alle GesetÂze, das Gesetz der Liebe», so PfarÂrer KarÂber.
Richter bat um Verständnis
SozialethikÂer Michael BraunÂschweig betonte, dass zwar nieÂmand eine moralisÂche AbsoÂluÂtion erwarten könne, der wissentlich das Gesetz breche, aber dass die Möglichkeit von zivilem UngeÂhorÂsam auch ein AusÂdruck sei für eine reife poliÂtisÂche KulÂtur. «Man darf aber nie vergessen, dass es legale Wege
gibt, um GesetÂze zu ändern. Man kann IniÂtiaÂtivÂen ergreifen oder PoliÂtikÂer kaufen…» Die PoliÂtikÂerin zu seinÂer RechtÂen, Susanne MarÂclay, nahm diese Pointe gerne auf, um gleÂich darauf hinzuweisen, dass sie auf diesem PodiÂum aber verÂschiedene Hüte aufhabe. Sie sei wohl PoliÂtikÂerin, aber auch Juristin, RichÂterin und MutÂter. «Das GewisÂsen ist etwas sehr SubÂjekÂtives», hielt sie fest. «Ein Richter muss sich an das Gesetz halÂten. Er kann es nicht biegen und beuÂgen wie es Andere gern hätÂten.» Das habe man gut geseÂhen, als der Richter nach der UrteilsverkünÂdung Josef KarÂber um VerÂständÂnis gebeten habe. Er müsse ihn zwar nach dem Gesetz verurteilen, aber er habe absolutes VerÂständÂnis für sein HanÂdeln und fände es gut.
«Keine Gewaltanwendung!»
Viel VerÂständÂnis hatÂten die ZuhörÂer auch für die HalÂtung von Iris Menn, die als GreenÂpeace-Aktivistin die GrenÂzen des Legalen auch schon viele Male überÂschritÂten hat, beim VerÂsuch, bedroÂhte Tiere und die Umwelt zu retÂten. «Wobei wir aber immer unserÂer Maxime treu sind: keine GewalÂtanÂwenÂdung.» Auf die Frage JürÂgen Heinzes, woher sie ihren Antrieb nehme für den selbÂstÂlosen EinÂsatz zugunÂsten der Natur, antwortete die proÂmovierte BioloÂgin: «Das habe ich in meinÂer FamÂiÂlie gelÂernt. Meine Eltern haben mir gezeigt, wie man auf das Kleine achtet. Dann hatÂte ich einen BioloÂgielehrer, der GreenÂpeace-Aktivist war. Ich wollte mich einÂfach einÂsetÂzen für FisÂche, Bäume und alle diese Wesen, die keine Rechtsvertreter haben.»Was alle PodiÂumÂsteilÂnehmer vereÂinte, war die ÜbereÂinÂstimÂmung, dass man zwar aus GewisÂsensÂgrünÂden eine GesetÂzesübertreÂtung begeÂhen könne, aber dass dazu auch gehöre, die daraus resulÂtierende Strafe anzunehmen. Susanne MarÂclay gesÂtand: «Als MutÂter will ich, dass meine Kinder sichÂer sind. Darum sage ich ihnen ganz bewusst, sie sollen auf einem gefährlichen StrassenÂabÂschnitt ihres SchulÂweges lieber mit dem Velo auf dem TrotÂtoir fahren. Wenn sie dann halt dafür gebüsst werÂden, dann bezahle ich diese Busse.»
Flüchtlinge als Spielball der Politik
In der anschliessenden PubÂlikumÂsrunde wurde deutÂlich, bei welchen TheÂmen im ZusamÂmenÂhang mit GewisÂsen und Recht der Schuh am meisÂten drückÂte. Vor allem der gesetÂzliche Umgang mit AsylÂsuchenÂden wurde heftig hinÂterÂfragt, aber auch das aktuelle TheÂma der KonzÂernÂverÂantÂworÂtungsiniÂtiaÂtive erregte die Gemüter. Vor allem, wenn Flüchtlinge zum SpielÂball der PoliÂtik würÂden, wie gerÂade an der türkisch-griechisÂchen GrenÂze, und wenn dabei alle einÂfach wegschautÂen, da müsse man doch einÂfach hanÂdeln, warf eine Besucherin in die Runde.Zum Schluss wollte JürÂgen Heinze wisÂsen, was denn nun die Antwort sei auf die Frage des Abends «GewisÂsen über Recht?». Iris Menn sagte: «GewisÂsen
und Recht!», Michael BraunÂschweig meinte: «GewisÂsen
oder Recht» und Susanne MarÂclay führte aus: «Es kommt immer auf den einzelÂnen Fall an. Aber der IdeÂalÂfall wäre sichÂer GewisÂsen
gleÂich Recht.»