Meh­re­re Christ­kin­der auf der Geburtenstation

  • «Uns schlägt die ret­ten­de Stund, Christ, in dei­ner Geburt», heisst es im bekann­ten Weih­nachts­lied «Stil­le Nacht». Die Geburt Jesu ist das Fun­da­ment des Weih­nachts­fests. Was bedeu­tet es für Eltern , Heb­am­men und Ärz­te, wenn heut­zu­ta­ge Kin­der an Weih­nach­ten zur Welt kom­men? Hori­zon­te war an Hei­lig­abend auf der Gebur­ten­sta­ti­on des Kan­tons­spi­tals Aar­au und hat auf die «Christ­kin­der« gewartet.
  • Der Bezug von Weih­nach­ten und Geburt ist durch­aus ein The­ma. Müt­ter sehen einem Christ­kind jedoch mit gemisch­ten Gefüh­len ent­ge­gen – denn es bedeu­tet: Nur ein­mal Geschen­ke für Weih­nach­ten und Geburtstag.
 Es herrscht Betrieb­sam­keit an jenem Hei­lig­abend­mit­tag auf der Gebur­ten­ab­tei­lung des Kan­tons­spi­tals Aar­au (KSA). Ein Mann steu­ert eine oran­ge-schwar­ze Rei­ni­gungs­ma­schi­ne über den Flur. Es zischt und piept. Heb­am­men in blau­en Hem­den eilen über die Kor­ri­do­re. An den Tischen vor dem Ein­lass zu den Gebär­sä­len sit­zen Men­schen: Eine Schwan­ge­re mit einem Kof­fer blickt auf ihr Han­dy und war­tet. Am Neben­tisch hat eine frisch gebacke­ne Mut­ter Besuch. Das Baby wird umher­ge­reicht. In der Ecke beim Weih­nachts­baum war­ten fünf Fami­li­en­mit­glie­der dar­auf, ein Neu­ge­bo­re­nes und deren Mut­ter end­lich sehen zu kön­nen. Seit einer Stun­de sei­en sie da, sagen sie. In den Hän­den hal­ten sie Blu­men, einen Bal­lon und ande­re Geschen­ke.

Das erste «Christ­kind» kommt um 5.30 Uhr

Im drit­ten Stock emp­fan­gen uns Andrea und Oli­ver aus Zofin­gen. Deren Toch­ter Lisa hat an Hei­lig­abend um 5.30 Uhr das Licht der Welt ent­deckt. «Das erste Christ­kind» in die­sem Jahr, erfah­ren wir von Heb­am­me Sabri­na Neu­haus, die am KSA zum ersten Mal an den Weih­nachts­ta­gen im Ein­satz ist. Alles in allem sei es ein ruhi­ger Mor­gen gewe­sen, das vier­köp­fi­ge Team habe sogar gemein­sam eine Znü­ni­pau­se machen kön­nen, meint die Geburts­hel­fe­rin.«Das mit Hei­lig­abend ist bei mir noch gar nicht so im Bewusst­sein ange­kom­men», berich­tet die Mut­ter der klei­nen Lisa, die ent­spannt auf der Brust der Mut­ter döst. «Noch letz­ten Abend hät­ten wir nicht ver­mu­tet, dass unser Kind heu­te schon kommt». Plötz­lich sei dann alles sehr schnell gegan­gen: «Ich bin um 1.15 Uhr mit Wehen erwacht, um 4 Uhr waren wir hier in Aar­au und um 5.30 Uhr war Lisa da». Das Datum wer­de man sich auf jeden Fall gut mer­ken kön­nen, meint Vater Oli­ver und sagt dann: «Für uns ist das sicher schön, aber für das Kind viel­leicht nicht unbe­dingt – wegen der Geschen­ke. Wir müs­sen noch schau­en, wie wir das fei­ern wol­len». Letzt­lich sei das aber unwich­tig, da sind sich die Eltern einig. Es zäh­le, dass alles gut gegan­gen sei und das Kind gesund sei. Mor­gen, so hof­fen Andrea und Oli­ver, wer­de man wie­der zuhau­se sein und auch Weih­nach­ten fei­ern kön­nen.

Jeder möch­te Weih­nach­ten feiern

Um Mit­tag wer­den bereits zwei wei­te­re Christ­kin­der gebo­ren, wäh­rend bei vier Frau­en die Geburt medi­ka­men­tös ein­ge­lei­tet wird. Es sei jedoch noch unklar, wie die­se dar­auf anspre­chen wür­den, erklärt Sabri­na Neu­haus am frü­hen Nach­mit­tag. «Gut mög­lich, dass die Kin­der erst am ersten Weih­nachts­tag auf die Welt kom­men». Dar­über hin­aus wis­se man auch nie, was noch pas­sie­re. Jeder­zeit könn­ten Frau­en mit Wehen vor der Türe ste­hen. «Aktu­ell ist die Lage zwar noch ent­spannt», so Sabri­na Neu­haus, doch für ein Zmit­tag habe die Zeit schon nicht mehr gereicht. Gewiss, es sei eini­ges los, doch man habe immer noch zwei von fünf Gebär­sä­len frei. «Das sah in den ver­gan­ge­nen Tagen schon anders aus. Da hat­ten wir die mei­ste Zeit eine vol­le Sta­ti­on», berich­tet die Heb­am­me.Ob sie selbst noch dazu kom­me, Weih­nach­ten zu fei­ern? Sabri­na Neu­haus ist zuver­sicht­lich. Um 16 Uhr endet ihre Schicht. Seit 7 Uhr ist sie an der Arbeit. «Wir haben Bezugs­pfle­ge. Das heisst, wir blei­ben wäh­rend der gan­zen Schicht bei einer Frau und auch mal etwas län­ger, wenn die Geburt kurz bevor­steht». Sabri­na Neu­haus betreut jedoch an jenem Hei­lig­abend zwei Frau­en, bei denen ein­ge­lei­tet wird. Viel sei noch nicht pas­siert, sagt sie. Inso­fern stün­den die Chan­cen gut, pünkt­lich Fei­er­abend machen zu kön­nen.

«Eine Geburt ist emo­tio­nal — erst recht an Weihnachten»

Hei­lig­abend und Weih­nach­ten ist ein The­ma – sowohl bei den Heb­am­men als auch bei den Frau­en, die gebä­ren. «Man spricht dar­über, dass es ein Christ­kind gibt», meint Sabri­na Neu­haus. Auch im Team sind die Weih­nachts­ta­ge kei­ne gewöhn­li­chen Arbeits­ta­ge. «Mor­gen, am Weih­nachts­tag, brin­gen wir alle etwas mit und hof­fen, dass Zeit bleibt, zusam­men zu essen und ein wenig zu fei­ern».Wün­schen sich Eltern eigent­lich ein Christ­kind? «Nein, die den­ken eher dar­an, dass es für das Kind nicht so gün­stig ist», weiss Monya Todes­co Ber­nas­co­ni. Die gebür­ti­ge Tes­si­ne­rin und Katho­li­kin ist Chef­ärz­tin an der Frau­en­kli­nik am KSA und hat­te schon regel­mäs­sig über Weih­nach­ten Dienst. Es sei schon etwas Spe­zi­el­les und mit einer beson­de­ren Bedeu­tung behaf­tet, wenn an Hei­lig­abend ein Kind zur Welt kom­me, sagt sie. «Eine Geburt ist ohne­hin etwas sehr Emo­tio­na­les. Erst recht, wenn es an Weih­nach­ten ist».

An Weih­nach­ten gibt’s eher schwie­ri­ge­re Verläufe

Inter­es­sant sei, dass man gera­de um Weih­nach­ten her­um immer wie­der auch schwie­ri­ge Ver­läu­fe habe: «Frau­en, die ihr Kind ver­lie­ren. Ehr­lich gesagt, weiss ich nicht genau, ob es tat­säch­lich häu­fi­ger pas­siert oder ob wir ein­fach sen­si­bler reagie­ren», meint die Ärz­tin, selbst Mut­ter zwei­er Kin­der. «Wahr­schein­lich hat das damit zu tun, dass wir alle glau­ben, jetzt müss­te doch die Zeit sein, in der alles gut kommt».Wer aber glaubt, dass es bei vie­len Gebur­ten Kom­pli­ka­ti­on gibt, liegt falsch. «Die mei­sten Gebur­ten ver­lau­fen unkom­pli­ziert», so Monya Todes­co Ber­nas­co­ni. Zudem kün­dig­ten sich Kom­pli­ka­tio­nen häu­fig  im Ver­lauf der Schwan­ger­schaft an.

Nicht mehr Gebur­ten als an ande­ren Tagen

An den Weih­nachts­ta­gen gibt es auch nicht mehr Gebur­ten als an ande­ren Tagen, auch wenn man das viel­leicht glau­ben könn­te. «In der Regel sind es sechs Gebur­ten am Tag – eine davon ist ein geplan­ter Kai­ser­schnitt», so die Chef­ärz­tin. Der Per­so­nal­be­stand an Fei­er­ta­gen sei genau­so wie immer: «Im Dienst sind immer min­de­stens vier Heb­am­men, ein Assi­stenz­arzt und ein Ober­arzt».«Wenn eine Frau Wehen spürt, ruft sie bei uns an. Die Heb­am­me fragt dann nach, wie stark und wie häu­fig die Wehen auf­tre­ten», erklärt die Chef­ärz­tin das Pro­ze­de­re. «Auf­grund die­ser Infor­ma­tio­nen kann sie abschät­zen, wie weit es ist. Kom­men die Wehen regel­mäs­sig, emp­fiehlt die Heb­am­me, auf Sta­ti­on zu kom­men. Dort unter­sucht die Heb­am­me und hört auch die Herz­tö­ne des Kin­des ab». Dann wer­de ent­schie­den, ob’s schon ins Geb­är­zim­mer geht. «Wir Ärz­te hal­ten uns im Hin­ter­grund», erklärt Monya Todes­co Ber­nas­co­ni. «Wir kom­men für medi­zi­ni­sche Unter­su­chun­gen dazu, bei­spiels­wei­se für einen Ultra­schall. Und spä­ter dann, bei der Geburt,  um all­fäl­li­ge Geburts­ver­let­zun­gen zu behan­deln, oder wenn beson­de­re Situa­tio­nen wie eine Steiss­la­ge gege­ben sind».Um 16 Uhr kann das Per­so­nal der Früh­schicht gehen und sich auf Hei­lig­abend ein­stim­men. Vor dem Ein­gang zur Gebur­ten­ab­tei­lung war­ten der­weil immer noch Men­schen – im wahr­sten Sin­ne des Wor­tes aufs Christ­kind. Eines kommt noch um 19.34 Uhr auf die Welt. Das vier­te an jenem Heiligabend.
Andreas C. Müller
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