«Kei­ne schla­fen­den Hun­de wecken»

«Kei­ne schla­fen­den Hun­de wecken»

Im Mai mach­te das Bis­tum Basel bekannt: Es gibt einen Arbeits­kreis (AK) Regen­bo­gen­pa­sto­ral.  Hori­zon­te frag­te gleich­ge­schlecht­lich Lie­ben­de nach ihren Erfah­run­gen in der Kir­che und erfuhr teils Unerwartetes.Maria ist 54, sie lebt in Basel. Kurz vor Redak­ti­ons­schluss mel­det sie sich noch – als ein­zi­ge der ange­schrie­be­nen Frau­en. In knap­pen Wor­ten erzählt sie ihre Bio­gra­phie: «Ich bin in einer nor­ma­len CVP-gepräg­ten Fami­lie auf­ge­wach­sen. Mei­ne Mut­ter war sehr katho­lisch, mein Vater mode­rat katho­lisch. Ich bin früh von zu Hau­se weg und für die Aus­bil­dung vom Land nach Basel gegan­gen». Sie erleb­te die klas­si­sche katho­li­sche Sakra­men­ten-Abfol­ge: Tau­fe, Erst­kom­mu­ni­on, Fir­mung.Mit­te ihrer Zwan­zi­ger-Jah­re hat sie ihr coming out, sie liebt Frau­en. «Aus der Kir­che aus­ge­tre­ten bin ich 2005», erin­nert sich Maria und setzt hin­zu: «Ich war schon kir­chen­fer­ner, doch im Vor­feld zur Abstim­mung über das Part­ner­schafts­ge­setz hat die Kir­che sich so welt­fremd und inhu­man posi­tio­niert, dass es mir gereicht hat».

Ent­halt­sam­keit oder Heimlichkeit

Die 49-jäh­ri­ge Susan­ne Andrea Bir­ke, Theo­lo­gin und Initi­an­tin des AK Regen­bo­gen­pa­sto­ral, sitzt an einem Café-Tisch im Zür­cher Nie­der­dorf. Um eine Ein­schät­zung zum gerin­gen Rück­lauf bei den ange­schrie­be­nen Gesprächs­part­ne­rin­nen gebe­ten, erklärt sie: «Es gibt wenig römisch-katho­li­sche Les­ben und die, die es gibt, äus­sern sich kaum öffent­lich. Wenn sie kämp­fe­risch sind, tre­ten sie oft aus der Kir­che aus und kirch­li­che Ange­stell­te hal­ten sich zu Recht zurück». Es sei als Frau schon grund­sätz­lich nicht ein­fach, Teil der katho­li­schen Kir­che zu sein und es wer­de nicht ein­fa­cher, wenn man les­bisch sei und lebe. «Mit der aktu­el­len Per­so­nal­po­li­tik müss­te ich wohl mit dem Ver­lust mei­ner Mis­sio rech­nen, wenn ich eine Bezie­hung leben wür­de – es sei denn, ich wür­de mich damit ver­stecken», sagt Susan­ne Andrea Bir­ke.Gleich­ge­schlecht­lich lie­ben­den Men­schen, die in der Kir­che arbei­ten wol­len, blei­ben Ent­halt­sam­keit oder Heim­lich­keit.

Über­ra­schen­de Antwort

Die­se «Wahl­mög­lich­keit» fin­den Alber­to,  47, und Ivo, 53 trau­rig. Die zwei Män­ner sit­zen an einem Stu­ben­tisch im Basel­land. Alber­to hat lan­ge Zeit im Aar­gau als Sakri­stan gear­bei­tet, war Mit­glied und zwei Jah­re Prä­si­dent des Aar­gau­er Sakri­stanen­ver­ban­des. Ivo ist seit sei­ner Mini­stran­ten­zeit im Pfar­rei­le­ben aktiv und enga­gier­te sich bei Ada­mim, dem Ver­ein schwu­ler Seel­sor­ger in der Schweiz, einem Aus­tausch­fo­rum für schwu­le Män­ner im kirch­li­chen Dienst. «Das Leid, wel­ches exi­stiert, weil Män­ner im Kir­chen­dienst ihre Lie­be zum eige­nen Geschlecht nicht leben oder nicht mal offen sagen dür­fen, ist gross», erklärt Ivo.Er sel­ber und auch Alber­to gehen trans­pa­rent mit ihrer sexu­el­len Ori­en­tie­rung um. «Wenn mich jemand fragt, strei­te ich es nicht ab», sagen bei­de. Die Ant­wort auf die Fra­ge, ob sie in ihren Kirch­ge­mein­den je Dis­kri­mi­nie­rung auf­grund der sexu­el­len Ori­en­tie­rung erfah­ren hät­ten, über­rascht. Sie über­le­gen einen Moment und schüt­teln dann den Kopf. «Nein. Ich habe nie etwas erlebt, wo ich mich wegen mei­ner sexu­el­len Ori­en­tie­rung dis­kri­mi­niert fühl­te. Im Gegen­teil, ich habe erlebt, dass Men­schen zu mir kamen und sag­ten, dass sie sich infor­miert hät­ten und jetzt bes­ser Bescheid wüss­ten», erin­nert sich Ivo.«Als die Fra­ge im Vor­stand dis­ku­tiert wur­de, ob ich Prä­si­dent wer­den woll­te, gab es ein­mal eine Dis­kus­si­on dar­über. Ich hat­te alle Kar­ten auf den Tisch gelegt, damit sie wis­sen, wen sie anfra­gen. Ein Vor­stands­mit­glied äus­ser­te Beden­ken und dass es ja nicht natür­lich sei. Ande­re aus dem Vor­stand haben dann für mich gespro­chen und erklärt, dass die­se Hal­tung sozu­sa­gen ins Archiv gehört», erzählt Alber­to.

Leh­re hat mit Leben wenig zu tun

In die­ser For­mu­lie­rung wird ein Gra­ben deut­lich, mit dem sich Katho­li­ken kon­fron­tiert sehen: Einer­seits gibt es die offi­zi­el­le Posi­ti­on der katho­li­schen Kir­che, die als Norm den hete­ro­se­xu­el­len Men­schen im Blick hat. Ande­rer­seits stellt für immer mehr Men­schen in der Gesell­schaft (auch im römisch-katho­li­schen Milieu) das The­ma Homo­se­xua­li­tät ein immer gerin­ge­res Pro­blem dar. Homo­se­xua­li­tät wird als eine Spiel­art der mensch­li­chen Sexua­li­tät ver­stan­den. Eine reprä­sen­ta­ti­ve Umfra­ge von Pink Cross zu LGBT-The­men (LGBT steht für Les­bisch, Gay (schwul), Bise­xu­ell, Trans­se­xu­ell) im Jahr 2016 zeigt zum Bei­spiel, dass rund zwei Drit­tel der Befrag­ten die Öff­nung der Zivil­ehe auch für gleich­ge­schlecht­li­che Paa­re mit «Ja» oder «eher Ja» befür­wor­ten.Der Gra­ben zwi­schen Lebens­rea­li­tät und Leh­re ist ein Grund, war­um auch kir­chen­in­tern kri­ti­sche Anfra­gen an den AK Regen­bo­gen­pa­sto­ral her­an­ge­tra­gen wer­den. «Wir wur­den gefragt, ob die Ein­rich­tung des AKs nicht eine posi­ti­ve Stig­ma­ti­sie­rung dar­stel­le», erklärt Susan­ne Andrea Bir­ke. Die Theo­lo­gin kann die­se Fra­ge nach­voll­zie­hen und ver­tritt gleich­zei­tig eine ande­re Posi­ti­on: «Natür­lich soll­te das Ziel sein, dass alle Men­schen als Geschöp­fe Got­tes die glei­che Pasto­ral emp­fan­gen. Doch von dem Ide­al, dass tat­säch­lich alle Men­schen in der Kir­che unab­hän­gig von ihrer sexu­el­len Ori­en­tie­rung wert­schät­zend und gerecht behan­delt wer­den, sind wir noch weit ent­fernt. Dass das The­ma Homo­se­xua­li­tät in den Pfar­rei­en vor Ort kein The­ma ist, heisst nicht auto­ma­tisch, dass alles gut ist».

Seel­sor­gen­de als Vorbild

Die Aus­sa­gen zwei­er Seel­sor­ger aus ver­schie­de­nen Regio­nen im Aar­gau, die nicht nament­lich genannt wer­den wol­len, ver­deut­li­chen die Bar­rie­ren, die beim The­ma exi­stie­ren.«Kol­le­gen und Kol­le­gin­nen über­le­gen je nach Kon­text sehr genau, ob sie sach­li­che Kri­tik am AK Regen­bo­gen­pa­sto­ral äus­sern. Sie haben Beden­ken, weil sie Gefahr lau­fen, durch Kol­le­gin­nen oder Kol­le­gen oder auch Pfarr­ge­mein­de­mit­glie­der schnell in eine kon­ser­va­ti­ve oder homo­pho­be Ecke gestellt zu wer­den, in der sie gar nicht sind», sagt der eine Gesprächs­part­ner.Der ande­re for­mu­liert mit Blick auf die Pfarr­ge­mein­de: «Das The­ma spre­che ich nicht an, wenn es nicht sein muss, da ich nicht weiss, ob ich schla­fen­de Hun­de wecke. Wich­tig ist, dass ich vor­le­be, dass homo­se­xu­el­le Kirch­ge­mein­de­mit­glie­der gleich­will­kom­men und gleich­ge­schätzt sind wie alle ande­ren. Dass es kei­nen Unter­schied macht. Die­se Hal­tung des Seel­sor­gers strahlt in die Pfarr­ge­mein­de aus.»Die Hal­tung des Prie­sters, der Seel­sor­ge­rin oder des Seel­sor­gers vor Ort macht viel aus. Das bestä­ti­gen Ivo und Alber­to aus eige­ner Erfah­rung. «Wenn der Prie­ster oder Gemein­de­lei­ter deut­lich macht, dass er eine offe­ne Hal­tung ver­tritt, hat das Vor­bild­funk­ti­on für die Mit­glie­der der Pfar­rei. Es ent­steht ein offe­nes Kli­ma, in dem Fra­gen und eine unbe­fan­ge­ne Beschäf­ti­gung mit dem The­ma mög­lich wer­den», sind die bei­den Män­ner über­zeugt.

Coming out führ­te zum Rauswurf

Den­noch stellt sich die Fra­ge, was mit Men­schen ist, die aus ver­schie­de­nen Grün­den Mühe haben mit dem The­ma Homo­se­xua­li­tät. Dome­ni­ca Prio­re, Trans­frau und eben­falls Teil des AK Regen­bo­gen­pa­sto­ral, for­mu­lier­te 2016 in einem Inter­view mit Hori­zon­te ein­drück­lich: «Unver­ständ­nis kann ich akzep­tie­ren, Demü­ti­gung nicht»!Wie eine sol­che Demü­ti­gung in einer christ­li­chen Glau­bens­ge­mein­schaft aus­se­hen kann, macht das Bei­spiel von Tho­mas Fin­ger­lin deut­lich. Der 65-Jäh­ri­ge oute­te sich nach einem lan­gen Pro­zess gegen­über sei­ner Frau und sei­nen Kin­dern und auch gegen­über sei­ner Gemein­de, einer Frei­kir­che im Raum Basel. «Sonn­tags hat­te ich noch die Kin­der der Mit­gläu­bi­gen heim­ge­fah­ren. Dann habe ich mich geoutet und flog sofort raus. Ich muss­te alle Schlüs­sel abge­ben. Kei­ne Dis­kus­si­on, kei­ne Gna­de, ein­fach Ende. Für die Gemein­de­mit­glie­der war ich mit mei­nem Outing auto­ma­tisch auch ein Pädo­phi­ler. Die­se Ver­bin­dung ist in den Köp­fen vie­ler Men­schen fest ver­an­kert und das ist fürch­ter­lich», erzählt Tho­mas Fin­ger­lin an sei­nem Ess­tisch.

Weni­ger Provokation 

Heu­te lebt Tho­mas Fin­ger­lin sei­nen Glau­ben in einer frei­kirch­li­chen Gemein­de, die gleich­ge­schlecht­lich Lie­ben­de aner­kennt und kein Auf­he­bens um die sexu­el­le Ori­en­tie­rung macht. Weil Tho­mas Fin­ger­lin die­se Aner­ken­nung wich­tig ist, akzep­tiert er, dass beken­nen­de Homo­se­xu­el­le kei­ne Ämter in der Gemein­de beklei­den sol­len.Tho­mas Fin­ger­lin kann nach­voll­zie­hen, dass Mit­men­schen dem The­ma Homo­se­xua­li­tät skep­tisch gegen­über­ste­hen. «Ich den­ke, da soll­te sich die Com­mu­ni­ty auch ein biss­chen sel­ber an der Nase neh­men – es ist sicher nicht not­wen­dig, immer und immer wie­der zu pro­vo­zie­ren», sagt Tho­mas Fin­ger­lin.

Medi­en in der Pflicht

Ein State­ment von Ivo sieht auch die Medi­en in der Pflicht: «Die Gay Pri­de in Zürich ist so ein tol­les Fest mit so viel­fäl­ti­gen Bei­spie­len für geleb­te Homo­se­xua­li­tät und die Medi­en zei­gen am Schluss immer die­sel­ben Bil­der von schrill geklei­de­ten Schwu­len und bestä­ti­gen damit Kli­schees, die nur für einen klei­nen Teil der Sze­ne gel­ten und dem Rest auf die Dau­er das Leben nicht ein­fa­cher machen».

Das Toma­ten­bei­spiel

Susan­ne Andrea Bir­ke hat auf die Fra­ge nach den Mit­men­schen, die Mühe mit dem The­ma Homo­se­xua­li­tät haben, ein grif­fi­ges Bei­spiel parat: «Ich mag kei­ne Toma­ten. Ich fin­de sie eklig. Doch ich käme nie auf die Idee, ande­ren Men­schen zu ver­bie­ten, Toma­ten zu kau­fen oder zu essen».Als Auf­ga­be des AK Regen­bo­gen­pa­sto­ral nennt sie als einen Bereich die Sen­si­bi­li­sie­rung pasto­ra­ler Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter für das The­ma. «Wir wol­len an den Deka­nats­fort­bil­dun­gen 2018 unse­re Arbeit vor­stel­len, an der Vor­be­rei­tung einer öku­me­ni­schen Wei­ter­bil­dung für Jugend­seel­sor­ge und Kate­che­se im Aar­gau ist der Arbeits­kreis schon betei­ligt. Dann kön­nen Kate­che­tin­nen oder Kate­che­ten vor Ort sel­ber Auf­klä­rungs­ar­beit lei­sten», beschreibt Susan­ne Andrea Bir­ke eine Idee des Arbeits­krei­ses.Es sei wich­tig, das The­ma unbe­fan­gen und offen zu bespre­chen, um Äng­ste und Unwis­sen auf allen Sei­ten abzu­bau­en. «Der Arbeits­kreis ist ein erster Schritt und den soll­te man nicht dafür ver­ur­tei­len, dass er noch nicht das Ziel ist», fasst Susan­ne Andrea Bir­ke zusam­men. Ver­an­stal­tungs­hin­weisDer AK Regen­bo­gen­pa­sto­ral bie­tet am 15. Okto­ber einen Pil­ger­tag im Basel­biet an: Wun­der­bar geschaffen
Anne Burgmer
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