Cooler Beton für heisse Tage
An heisÂsen SomÂmertaÂgen ist es im Inneren einÂer Kirche schön kühl. Darüber hinÂaus kann der Besuch in den fünf AarÂgauer Betonkirchen von Aarau, Buchs, EnnetÂbaden, Suhr und WetÂtinÂgen (Anton) für ArchitekÂturÂinÂterÂessierte zu einem richtig coolen ErlebÂnis werÂden. HorÂiÂzonte machte die Probe aufs ExemÂpel und liess sich die SchmuckÂstücke vom leiÂtÂenÂden Denkmalpfleger des KanÂtons AarÂgau, Reto NussÂbaumer, zeigen. Wir beginÂnen mit Aarau und EnnetÂbaden.Jubla-Jugendliche lagern im Hof zwisÂchen offenÂem PfarÂrhaus Aarau und der Kirche Peter und Paul. Es ist düpÂpig, der HimÂmel wolkenÂverÂhangen. Der erste EinÂdruck im Inneren von Peter und Paul ist: Weite. Nichts verÂstellt die Sicht zum Altar, das Auge darf frei umherÂschweifen und einzig der FarÂbÂverÂlauf der FenÂster lenkt den Blick ein wenig gen Altar. Ein Raum, wie ein leerÂer SchuhkarÂton.
Kühne Konstruktionen mit altem, neuem Werkstoff
Reto NussÂbaumer nimmt diesen EinÂdruck amüsiert zur KenÂntÂnis. Er zückt verÂschiedene, grossÂforÂmatige Bilder und AusÂdrucke. «Der InnenÂraum, so wie Sie ihn hier sehen, ist nicht immer so geweÂsen. Vorne gab es links und rechts schmale Wände vom Boden bis zur Decke, die den HaupÂtraum abtrenÂnten und einen ChorÂbereÂich schufen», erkÂlärt Reto NussÂbaumer, bevor er einen kurzen Abriss über die Geschichte des sakralen BetonÂbaus lenkt.Das MateÂrÂiÂal an sich hätÂten bereÂits die Römer gekanÂnt und verÂwenÂdet. Der Beton, wie wir ihn heute kenÂnten und verÂwenÂdeÂten, gehe auf das letÂzte DritÂtel des 19. JahrhunÂderts zurück. In FrankreÂich zu Beginn des 20. JahrhunÂderts wurde mutig mit Beton als Baustoff für Kirchen gearÂbeitÂet, unglaublich schlanke und hohe Säulen traÂgen das Gewicht der Decke. Man mag beim Blick auf die Fotos kaum glauben, dass es hält. Von FrankreÂich aus verÂbreÂitÂete sich der Trend über die NachÂbarÂlänÂder. HielÂten die konÂvenÂtionell gebautÂen KirchgeÂbäude durch Druck, also pure SchwÂerkraft, zusamÂmen, veränÂderte sich die HerangeÂhensweise und die ArchitekÂten beganÂnen die EigenÂschaften des Betons mit einÂgelegten ArmierungÂseisen zu verbessern. So konÂnte der Beton zusätÂzlich Zugkräfte aufnehmen, um alles staÂbil zu machen: OrtsÂbeÂton nenÂnt man das, Peter und Paul in Aarau wurde so gebaut.
Aarau: Sonderbaubewilligung in Kriegszeiten
Von 1938 bis 1940 – in einÂer Zeit, in der der droÂhende Weltkrieg kaum zu Neu-BautÂen motivierte – bautÂen die Aarauer KathoÂliken also eine neue Kirche. Die alte Kirche, deren StanÂdort jenÂseits des KaserÂnenareÂals an der KasiÂnosÂtrasse lag, war zu klein geworÂden. «Die PlanÂer der Kirche in Aarau hatÂten Glück. Wer während des 2. Weltkrieges in StahlbeÂton bauen wollte, brauchte eine bunÂdesrätliche BewilÂliÂgung, weil das MateÂrÂiÂal für den BunkerÂbau benötigt wurde», weiss Reto NussÂbaumer.Während die VerÂwenÂdung von Beton aufÂgrund der harten ZeitÂen sankÂtionÂiert wurde, erlaubten es die gleÂichen Umstände, dass die Kirche mehr sogeÂnanÂnten Bauschmuck erhielt. «Die sehr klare und konÂseÂquente EntwurfÂshalÂtung der ModÂerne hatÂte man schon hinÂter sich. Man stellte die Frage, ob man nicht ‚menÂschlichÂer‘ bauen könne. Die WeltÂlage war ja hart genug», erkÂlärt Reto NussÂbaumer. Was er mit Bauschmuck meint, zeigt er aussen: GeschwunÂgene schmiedeeisÂerne FenÂsterÂgitÂter an der SakrisÂtei, mit Kreuzen geschmückt. «In der strenÂgen Phase der ModÂerne hätte das strikÂter ausÂgeÂseÂhen», sagt Reto NussÂbaumer und zeichÂnet mit schnellen BeweÂgunÂgen ein schlichtÂes GitÂter in die Luft.
Unterschutzstellungsverfahren kurz vor Abschluss
Es sind einÂerÂseits Details, die Peter und Paul spanÂnend machen: So gibt es eine architekÂtonisch ausÂgestalÂtete HierÂarÂchie zwisÂchen dem eheÂmaÂliÂgen HaupteinÂgang, welchÂer einen aussen aufgeÂsetÂzten RahÂmen hat, und dem EinÂgang zu SakrisÂtei, der ein schlichtÂes, in die Wand einÂgeÂlassenes Türgewände besitzt. Die Griffe der beiÂden Türen sind EinzeÂlanÂferÂtiÂgunÂgen, nach dem Entwurf des zuständiÂgen ArchitekÂten WernÂer StudÂer. AnderÂerÂseits fasziniert die GesamÂtanÂlage. Die Passerelle, parÂalÂlel zur PostÂstrasse, verbindet mutig die neue, modÂerne Kirche mit der alten IndusÂtrielÂlenvilÂla, die heute das offene PfarÂrhaus beherbergt. Wieder im Inneren, wird die Vielfalt der verÂwenÂdeÂten MateÂriÂalien deutÂlich: VerÂschiedene HölzÂer, glänzenÂder schwarzÂer MarÂmor, grauer Stein, ChromÂleuchter, Bronze bei Altar, Ambo, TaberÂnakel und WeiÂhÂwasserÂbeckÂen.Zweimal erlebte der InnenÂraum von Peter und Paul VeränÂderunÂgen. Zunächst 1984. Der HaupteinÂgang wurde zum InnenÂhof zwisÂchen Kirche und PfarÂrhaus verÂlegt und – optisch ein grossÂer EinÂgriff – das wellenÂförÂmige Gewölbe wurde aus akustisÂchen GrünÂden teilÂweise mit einÂer abgeÂhängten Decke verseÂhen. Dann nochmals 2004, nachÂdem ein Brand den KirchenÂraum in MitleiÂdenÂschaft gezoÂgen hatÂte. Die beiÂden trenÂnenÂden WandÂscheiben zwisÂchen Altar- und HaupÂtraum wurÂden entÂferÂnt, der Boden einÂheitlich belegt, neues sakrales InvenÂtar gebaut. Der Raum erhielt seine heutige Weite und MateÂriÂalvielfalt. 2008 schliesslich stufte die kanÂtonale Denkmalpflege den KirchenÂbau als schützenswert ein. FakÂtisch steÂht die Betonkirche, die nur im TurÂminÂneren und im Dachgeschoss ihre wahre KonÂstrukÂtion ganz ungeschminkt zeigt, noch nicht unter Denkmalschutz. Doch ist das UnterÂschutzstelÂlungsverÂfahren ist kurz vor dem Abschluss, für eine weitÂere BetonkirchenÂperÂle im AarÂgau.
Ennetbaden: Der «Briefkasten Gottes»
LetÂzten August feierten die EnnetÂbadenÂer den 50. GeburtÂstag ihrer Kirche: Ein architekÂtonisÂches MeisÂterÂwÂerk, erschafÂfen im Aufwind des ZweitÂen Vatikanums. HisÂtorisch kühn provozierte der kubisÂche BetonÂbau mit seinÂer besonÂderen LichtÂführung im Inneren die Gemüter: «ObsthaÂrasse» oder «BriefkasÂten Gottes» — Die EnnetÂbadenÂer zeigten sich mit ÜberÂnaÂmen überÂaus findÂig, schlossen aber gleÂichÂwohl ihre neue Kirche alsÂbald ins Herz.Die PlaÂnungs- und Baugeschichte, an dessen Ende schliesslich am 14. August 1966 im BeiÂsein von Bischof Franziskus von Streng ein dreistündiÂger WeiÂheÂgottesÂdiÂenst stand, gestalÂtete sich jedoch schwierig. RenaÂta WetÂzel, 67-jährig, in EnnetÂbaden aufgewachÂsen und seit 50 Jahren im KirchenÂchor aktiv, erinÂnert sich: Seit den 1930er Jahren wurde in EnnetÂbaden Geld für einen KirchenÂneubau gesamÂmelt. Dieser sollte die alte Kapelle ersetÂzen, doch mochte man sich nicht auf einen StanÂdort einiÂgen.
Vom Basler Stararchitekten Hermann Baur erbaut…
«Wo kommt sie hin? Was ist der beste Platz? Das war ein RiesenÂstreÂit», erkÂlärt RenaÂta WetÂzel. EntscheiÂdend sei aber geweÂsen, «dass es gelang und wir eine eigenÂständiÂge PfarÂrei mit einem eigeÂnen PfarÂrer wurÂden.» In den komÂmenden Jahren, so RenaÂta WetÂzel, sei es dann darum geganÂgen, für die Frauen den Platz in der Kirche zu erkämpfen. «Es gab lange Zeit ein starkes konÂserÂvÂaÂtives Lager. Für die war nur die traÂdiÂtionelle Euchariste-Feier etwas wert.» Entsprechend brauchte es Zeit, bis Frauen sich als LekÂtorinÂnen einÂbrinÂgen und MädÂchen minÂistriÂeren konÂnten. Dass EnnetÂbaden mit SilÂvia GuerÂra von 1998 bis 2010 endlich eine PasÂtoralasÂsisÂtentin bekam, erfüllt RenaÂta WetÂzel noch heute mit grossÂer GenugÂtuÂung.Am heuten StanÂdort, dem HoldÂenÂer-Platz, gab es beim Bau auch topografisÂche HerÂausÂforderunÂgen, die das BauÂvorhaben verzögerten und verÂteuerten. Dass als SiegerproÂjekt der Vorschlag des schweizweit bekanÂnten modÂerÂnen SakralarÂchitekÂten HerÂmann Baur reüssierte, sorgte ebenÂfalls für DiskusÂsioÂnen, doch die VerÂantÂwortlichen in BaukomÂmisÂsion und Kirchenpflege – allen voran der Zuger KirchenarÂchitekt Hanns A. Brütsch (u. a. Erbauer der Kirchen in Suhr und Buchs) – verÂmochtÂen für das ProÂjekt bei den Leuten mit viel FinÂgerÂspitzengeÂfühl BegeisÂterung zu weckÂen.
…und vom umstrittenen Maler Ferdinand Gehr geschmückt
Auch bei der GestalÂtung des Inneren liessen sich die EnnetÂbadenÂer vom modÂerÂnen ZeitÂgeist des ZweitÂen VatikanisÂchen Konzils (1962 — 1965) leitÂen. AugenÂfälÂlig wird dies beispielÂsweise anhand des von FerÂdiÂnand Gehr gestalÂteten WandtepÂpichs, der JakobÂsleitÂer. Noch in den 1950er Jahren provozierte die GestalÂtung eines AltarÂbildes durch FerÂdiÂnand Gehr in WetÂtinÂgen die Weigerung des damaÂliÂgen Bischofs (übriÂgens ebenÂfalls Franziskus von Streng), die dorÂtige Kirche zu weiÂhen, weshalb das Werk überÂmalt werÂden musste. In den 1960er Jahren hatÂte das Zweite Vatikanum den unverÂsöhnÂlichen Kampf der katholisÂchen Kirche gegen die ModÂerne jedoch beenÂdet, weshalb FerÂnÂdiand Gehrs KunÂst in EnnetÂbaden willkomÂmen war.
Horizonte-Sommerserie 2017: Wie geht’s weiter?
Betonkirchen sind umstritÂten. Fünf entsprechende Gebäude stellen wir in der diesjähriÂgen SomÂmerserie vor. In der komÂmenden Print-AusÂgabe von HorÂiÂzonte gibt es einen Beitrag zur Kirche in Buchs, die selbÂstverÂständlich auch online geleÂsen werÂden kann. Auf unserem WebÂporÂtal stellen wir darüber hinÂaus in den nächÂsten Wochen die Kirchen in Suhr und WetÂtinÂgen (Anton) vor. EinÂfach immer mal wieder bei uns vorÂbeisÂchauen.