Auf «Zedaka» kann sich keiner etwas einbilden

  • Der hebräis­che Begriff «Zeda­ka» bedeutet «Spende». 
  • Das Juden­tum hat eine andere Tra­di­tion als das Chris­ten­tum im Bezug auf das Geben und die Wohltätigkeit.
  • Während Chris­ten Almosen geben, um ein gutes Werk zu tun, ist es für Jüdin­nen und Juden eine Pflicht, zu teilen und so zur Heilung der Welt beizu­tra­gen.

Das Juden­tum fol­gt im Bezug auf das Geben und die Wohltätigkeit ein­er gän­zlich anderen Tra­di­tion als es das Chris­ten­tum tut. Chris­ten geben Almosen, sie sind mildtätig, und sie tun damit ein gutes Werk. Bei Juden und Jüdin­nen ist das etwas anders: Sie sind zum Teilen verpflichtet. Das, was wir Spende nen­nen, heisst im Hebräis­chen «Zeda­ka». Das Wort wird von «Gerechtigkeit» abgeleit­et. Denn Juden und Jüdin­nen sind verpflichtet, zu teilen und so zur Heilung und Heili­gung der Welt beizu­tra­gen. Reiche und Arme geben ihren Anteil, jede und jed­er nach seinen Möglichkeit­en. Selb­st die Ärm­sten geben. Und was sie geben, gilt nicht als Geschenk. Die Emp­fan­gen­den haben das Recht auf diese Gabe.

Im Tal­mud ste­ht eine wun­der­bare Geschichte: Eine Gemeinde fragt beim ober­sten Gericht an, wie sie mit einem Mit­glied ver­fahren solle, das seine Zeda­ka nicht bezahlen will. Er sei Geschäfts­mann und reise oft. Die Gelehrten empfehlen, dass die Gemein­deäl­testen in sein­er Abwe­sen­heit einen Teil seines Mobil­iars verkaufen sollen. Denn man müsse den Mann von sein­er krankmachen­den Geldgi­er befreien und ihn so heilen.

Die acht Stufen des Gebens

Die Zeda­ka hat ver­schiedene Stufen, die der berühmte Gelehrte Mai­monides aus­for­muliert hat. Sie ste­hen für eine abnehmende Qual­ität der Pflichter­fül­lung: 1. Höch­ste Stufe: Dem Bedürfti­gen die Möglichkeit zu geben, sich selb­ständig zu ernähren (Hil­fe zur Selb­sthil­fe). 2. Wohltätig sein in ein­er Weise, dass der Spender und der Bedürftige nicht voneinan­der wis­sen. 3. Der Wohltäter weiss, wem er gibt, aber der Arme erfährt nicht von der Iden­tität des Spenders. 4. Der Gebende ken­nt nicht die Iden­tität des Bedürfti­gen, aber dieser ken­nt den Spender. 5. Geben, bevor man gebeten wird. 6. Geben, nach­dem man gebeten wor­den ist. 7. Zwar nicht aus­re­ichend, aber mit Fre­undlichkeit geben. 8. Mit Unfre­undlichkeit geben.

Gott gibt ohne Ansehen

Auf Zeda­ka kann sich nie­mand etwas ein­bilden. Die Emp­fan­gen­den ste­hen nicht unter den Geben­den. Denn auch Gott gibt reich­lich und ohne Anse­hen, und die Men­schen sollen eben­so geben wie Er. Sie sollen auf diese Weise die Gräben zwis­chen Reich und Arm über­brück­en, Gerechtigkeit schaf­fen und Aus­gle­ich. Deshalb müssen auch die ärm­sten jüdis­chen Erwach­se­nen von dem, was sie bekom­men und besitzen, ein Weniges abgeben. Lediglich Nothil­fen und Hil­fen für die Abwehr von Tod und Krankheit sind davon ausgenom­men. Nach dem Grund­satz «Mass für Mass» sind Juden und Jüdin­nen verpflichtet, dem Mit­men­schen zu geben, dem sie nichts schuldig sind, wie sie von Gott ihr Gut anver­traut bekom­men haben, obwohl Gott ihnen nichts schuldet.

Geben verbessert den Charakter

Zeda­ka liegt in der Ver­ant­wor­tung jedes Juden und jed­er Jüdin. Sie ist das Resul­tat des Bun­des mit Gott. Zeda­ka ist Pflicht, recht und bil­lig. Grosszügigkeit und Wohltätigkeit dage­gen zeich­nen einen Men­schen aus, sie gel­ten als Tugen­den. Doch wenn jemand Zeda­ka tut, dann gibt er nicht nur, er empfängt auch. Die Weisen erk­lären, dass die Armen den Spenderin­nen und Spendern mehr geben, als sie sel­ber erhal­ten. Denn die Geben­den ziehen durch ihre Tat Gottes Segen auf sich. Das Geben verbessert ihren Charak­ter und ihre Per­sön­lichkeit. Und das gilt für alle Men­schen, unab­hängig von ihrer finanziellen Lage.

Geld muss dem Leben dienen

Darum ist es auch wichtig, oft und immer wieder zu geben, im Train­ing zu bleiben. Im Buch Kohelet heisst es: «Ein schlimmes Übel habe ich gese­hen… Reich­tum, den sein Besitzer für sich behal­ten hat, zu seinem Unheil» (5,12).

Geld ist ein Lebens­mit­tel, es muss dem Leben dienen. Juden­tum ist in unserem Sinne kein Glaube, son­dern eher eine Art des Umgangs miteinan­der nach dem göt­tlichen Gebot; das bein­hal­tet auch, Zeda­ka zu tun – nicht zu geben. Der berühmte jüdis­che Reli­gion­sphilosoph­Martin Buber sagte darum, Juden­tum sei Ortho­prax­ie, Chri-​sten­tum aber Ortho­dox­ie. Dort spiel­ten die Glaubenssätze eine wichtige Rolle, im Juden­tum die Prax­is.


Weit­ere Beiträge der Serie «Hebräis­che Grund­be­griffe»

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https://www.horizonte-aargau.ch/glauben-heisst-vertrauen-leben/

Marie-Christine Andres Schürch
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