Allein gegen den kirchlichen Mainstream

Allein gegen den kirchlichen Mainstream

Nahezu alle kirch­lichen Organ­i­sa­tio­nen unter­stützen die Atom­ausstiegsini­tia­tive, über die das Schweiz­er Stim­mvolk am 27. Novem­ber 2016 abstimmt. Einzig die Arbeits­gruppe Chris­ten und Energie (ACE) um den Wet­tinger Pfar­rer Ste­fan Burkhard emp­fiehlt ein Nein.Rund vierzig Organ­i­sa­tio­nen, darunter expliz­it «viele kirch­liche Kreise», unter­stützten die Ini­tia­tive, so Nation­al­rätin Reg­u­la Rytz von den Grü­nen, Co-Präsi­dentin der Allianz für einen geord­neten Atom­ausstieg, an ein­er Medi­enkon­ferenz in Bern.Promi­nent vertreten im Lager der Ini­tia­tivbe­für­worter ist die «Kli­ma-Allianz», zu der auch die «Alliance Sud» mit den Hil­f­swerken «Fas­tenopfer», «Brot für alle» und «Car­i­tas» gehört. Eben­falls im Lager der Atom­ausstiegswilli­gen find­et sich die bis­chöfliche Kom­mis­sion Justi­tia et Pax sowie der öku­menis­che Vere­in «oeku – Kirche und Umwelt», der dieses Jahr sein 30-jähriges Beste­hen feiert.

Mit päpstlicher Enzyklika für raschen Ausstieg

«Als Chris­ten sind wir dazu berufen, unser­er Umwelt Sorge zu tra­gen und weit­sichtig damit umzuge­hen» erk­lärt Vroni Peter­hans in ein­er Videobotschaft. Die Kat­e­chetin im aar­gauis­chen Kün­ten ist Mit­glied im Vor­stand von «oeku – Kirche und Umwelt» sowie im Schweiz­erischen Katholis­chen Frauen­bund (SFK): «Weil ich mit Kindern arbeite, ist mir wichtig, dass wir die Sicher­heit unser­er Zukun­ft nicht aufs Spiel set­zen und darum ver­mehrt risiko-ärmere und ökol­o­gis­chere Energiequellen fördern.»«Der geord­nete Ausstieg aus der Atom­en­ergie ist ethisch geboten, tech­nisch mach­bar und auch aus wirtschaftlichen Grün­den vernün­ftig, meint überdies der Vor­stand von «oeku – Kirche und Umwelt» in ein­er Medi­en­mit­teilung. Argu­men­tiert wird mit dem Risiko möglich­er Reak­torun­fälle und dem Fehlen eines Lösungsansatzes zur effek­tiv­en Besei­t­i­gung radioak­tiv­er Abfälle ein­er­seits, ander­er­seits mit dem Poten­zial der erneuer­baren Energien. Diese seien aus­gereift, konkur­ren­zfähig und weniger risikobe­haftet.Die bis­chöfliche Kom­mis­sion Justi­tia et Pax beruft sich auf Papst Franziskus und dessen Enzyk­li­ka «Lauda­to si»: Für die Kom­mis­sion ist die Bewahrung der Schöp­fung im Sinne des Pap­stes eine Grun­dauf­gabe aller Christin­nen und Chris­ten. Auch mahne das Prinzip der Sol­i­dar­ität zu sorgfältigem Han­deln im Bewusst­sein der Ver­ant­wor­tung für die kom­menden Gen­er­a­tio­nen.

Atomausstieg sowieso beschlossene Sache

«Unehrlich und schädlich ist die Atom­ausstiegsini­tia­tive», kon­sta­tiert demge­genüber der reformierte Pfar­rer Ste­fan Burkhard in Wet­tin­gen, Präsi­dent der Arbeits­gruppe Chris­ten und Energie (ACE). Diesem Vere­in gehören rund 60 mehrheitlich männliche Mit­glieder ver­schieden­er christlich­er Kon­fes­sio­nen an, die, wie es Ste­fan Burkhard for­muliert, «eine andere Sicht auf die Kernen­ergie haben.» Konkret ermögliche dies in vie­len Fällen eine «Innen­wahrnehmung zur Kernen­ergie, zumal ver­schiedene Mit­glieder aus tech­nis­chen Berufen stammten und teils auch expliz­it bei Schweiz­er Stromkonz­er­nen gear­beit­et hät­ten.Unnötig sei die Ini­tia­tive deshalb, weil auch beim Gege­nen­twurf zur Ausstiegsini­tia­tive – der Energies­trate­gie 2050 – der Ausstieg aus der Kernen­ergie beschlossene Sache sei, meint Ste­fan Burkhard. Hinzu komme, dass der zu kom­pen­sierende Ersatzstrom bei Annahme der Ini­tia­tive weit­er­hin aus Kernkraftwerken komme – dann halt ein­fach aus dem Aus­land. «Schädlich ist die Ini­tia­tive vor allem darum, weil der Strom dann auch aus Kohlekraftwerken stammt, was klimapoli­tisch ver­heerend ist», fährt der Wet­tinger Pfar­rer fort. Zudem sei auch mit Schadenser­satz­forderun­gen seit­ens der Kernkraftwerk­be­treiber zu rech­nen, was wirtschaftlich schädlich sei.

KKW-Betreiber könnten von der Initiative profitieren

In der Tat, so berichteten bere­its Jour­nal­is­ten, dürften Kernkraftwerk­be­treiber in gewiss­er Hin­sicht dur­chaus mit ein­er Annahme der Ini­tia­tive liebäugeln. Der Grund: Der Betrieb der Schweiz­er Kernkraftwerke ist der­art unrentabel gewor­den, dass der weit­ere Betrieb deut­lich teur­er kom­men kön­nte als der vorzeit­ige Ausstieg – nicht zulet­zt wegen berechtigter Ansprüche auf Schaden­er­satz in Mil­liar­den­höhe, wenn nun die geset­zlich vere­in­barte Laufzeit der Reak­toren auf poli­tis­chem Weg vorzeit­ig beschränkt wird.Die Arbeits­gruppe Chris­ten und Energie (ACE) fand mit ihren Argu­menten allerd­ings wed­er beim Schweiz­erischen Evan­ge­lis­chen Kirchen­bund (SEK), noch bei der Schweiz­er Bischof­skon­ferenz (SBK) Gehör. «Der energiepoli­tis­che kirch­liche Main­stream geht derzeit eben in eine andere Rich­tung», so Ste­fan Burkhard.

Chancen für Initiativbefürworter sind intakt

Die Vorze­ichen für einen Sieg der Atom­kraft­geg­n­er an der Urne sind intakt. Mitunter, weil zwei der vier Schweiz­er Kernkraftwerke wegen aus­gedehn­ter Sicher­heit­süber­prü­fun­gen keinen Strom pro­duzieren. Laut Web­seite des KKW Leib­stadt führten «Befunde am Hüll­rohr­ma­te­r­i­al von acht Bren­nele­menten im Kern des KKW Leib­stadt zu ein­er Verzögerung der Jahre­shaup­tre­vi­sion.» Die Wieder­in­be­trieb­nahme soll im Feb­ru­ar 2017 erfol­gen. Aber auch Bez­nau 1 ste­ht still: Im Okto­ber 2015 wurde bekan­nt, dass bei ein­er Über­prü­fung des Reak­tor­druck­be­häl­ters Schwach­stellen ent­deckt wur­den. Die Zukun­ft der Anlage ist zum gegen­wär­ti­gen Zeit­punkt ungewiss.Die Betreiberin hat ver­gan­gene Woche erst die Unter­la­gen zur Charak­ter­isierung und Bew­er­tung der Befunde im Grund­ma­te­r­i­al des Reak­tor­druck­be­häl­ters ein­gere­icht. Das Eid­genös­sis­che Nuk­lear­sicher­heitsin­spek­torat ENSI wird diese nun prüfen und anschliessend darüber entschei­den, ob das Kernkraftwerk Bez­nau 1 wieder anfahren darf.Die Stromkonz­erne sowie auch Bun­desrätin Doris Leuthard war­nen jeden­falls vor teur­eren Strompreisen und Ver­sorgungsen­g­pässen bei einem Atom­ausstieg bis 2029, wie ihn die Ini­tia­tive der Grü­nen vor­sieht. Gle­ich­wohl schloss Doris Leuthard an ein­er Ver­anstal­tung der Han­del­skam­mer bei­der Basel nicht aus, dass möglich­weise Bez­nau 1 nie wieder ans Netz geht. 
Andreas C. Müller
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