«Wenn Traditionen der Tradition im Wege stehen, müssen sie aufgegeben werden»
«Wenn AmtÂsträger bereÂits vor der SynÂode erkÂlären, dass es keine VeränÂderunÂgen geben werde, schliessen sie das Wirken des HeiliÂgen Geistes zum VornÂhereÂin aus.» Eine StanÂdortbesÂtimÂmung für die römisch-katholisÂche Kirche.Angesichts der bevorsteÂhenÂden BischofÂssynÂode haben die einen Angst vor VeränÂderunÂgen, die anderen Angst vor dem AusÂbleiben der VeränÂderunÂgen. Oft ist von TraÂdiÂtion und von ZeitÂgeist die Rede. Es lohnt sich, diese beiÂden Begriffe näher anzuschauen. Unter TraÂdiÂtion verÂsteÂht die Kirche die Treue zu Jesus ChrisÂtus durch den wechÂselÂhaften Lauf der Geschichte. «Diese lebendiÂge WeitÂerÂgabe, die im HeiliÂgen Geist geschieht, wird – als von der HeiliÂgen Schrift verÂschieden, aber doch eng mit ihr verÂbunÂden – ‹ÜberÂlieferÂung› [TraÂdiÂtion] genanÂnt» (KKK, Nr. 78). TraÂdiÂtionÂalÂisÂten machen deutÂlich, dass man unter TraÂdiÂtion auch in der Kirche noch anderes verÂsteÂhen kann. Eine UnterÂscheiÂdung des grossen franzöÂsisÂchen TheÂoloÂgen Yves ConÂgar kann hier hilÂfreÂich sein. Er spricht von der TraÂdiÂtion und von den TraÂdiÂtioÂnen. Zur lebendiÂgen TraÂdiÂtion gehört, dass darauf geachtet wird, was die Zeit von uns verÂlangt
Traditionen loslassen
TraÂdiÂtioÂnen könÂnen losÂgeÂlassen oder veränÂdert werÂden, ohne WesentlichÂes des Glaubens zu verÂlieren. Sie mussten im Lauf der Kirchengeschichte immer wieder losÂgeÂlassen werÂden, um die TraÂdiÂtion nicht zu gefährden, also die WeitÂerÂgabe des Glaubens in der jewÂeiliÂgen Zeit. Ein genauerÂer Blick auf TraÂdiÂtioÂnen der Kirche überÂrascht in mancherÂlei HinÂsicht. Er zeigt uns LiebgeÂwonnenes und VerÂtrautes; er führt uns grösste HinÂdernisse der Kirche auf dem Weg durch die Zeit vor Augen; er offenÂbart uns SpielÂraum für drinÂgend nötige ReforÂmen; er stellt die Rede vom ZeitÂgeist in ein ganz anderes Licht. Der ZeitÂgeist ist es sogÂar, der uns TraÂdiÂtioÂnen verÂständlich macht. «Der ZeitÂgeist ist die Denk- und Fühlweise (MenÂtalÂität) eines ZeitalÂters. Der Begriff bezeÂichÂnet die EigeÂnart einÂer besÂtimmten Epoche beziehungsweise den VerÂsuch, uns diese zu vergeÂgenÂwärÂtiÂgen» (Wikipedia). Der ZeitÂgeist ist wichtig – gerÂade auch für die VerkündiÂgung des EvanÂgeliÂums. Wer den ZeitÂgeist nicht kenÂnt, redet ins Leere, an den MenÂschen vorÂbei. Dabei ist klar: In der Kirche muss nichts geänÂdert werÂden, um vom ZeitÂgeist anerkanÂnt zu werÂden, wohl aber um in der jewÂeiliÂgen Zeit glaubÂwürdig das EvanÂgeliÂum zu leben und zu verkünÂden.
Kirche stellt sich dem Zeitgeist
Auch in der HeiliÂgen Schrift begegÂnen wir dem ZeitÂgeist. So nimmt zum Beispiel Jesus ErfahrunÂgen der MenÂschen auf und knüpft seine Reden daran an. Er war offenÂsichtlich mit dem ZeitÂgeist verÂtraut. GerÂade auch das machte seine UnterÂweisunÂgen so ganz anders als die der SchriftÂgelehrten und PharÂisäer. Weil die Kirche es immer wieder verÂstand, in der GegenÂwart zu leben, hat sie sich – nicht einÂfach ablehnend – dem ZeitÂgeist gestellt und vieles davon aufgenomÂmen. Vom ZeitÂgeist geprägte TraÂdiÂtioÂnen sind nicht wertÂlos oder beliebig wanÂdelÂbar. Auch die Kirche braucht – wie jede andere GemeinÂschaft – Regeln des ZusamÂmenÂlebens und eine gemeinÂsame KulÂtur, die Heimat schenkt. TraÂdiÂtioÂnen dürÂfen nicht nach GutÂdünken und Belieben veränÂdert werÂden. Aber sie könÂnen und müssen miteinanÂder veränÂdert werÂden, wenn sie der TraÂdiÂtion im Wege steÂhen. Wenn das Einzelne tun, kann grossÂer Schaden entsteÂhen; wenn es die GemeinÂschaft als Ganze tut, trägt es zum AufÂbau bei. EinÂsame EntscheiÂdunÂgen sind nicht selÂten Folge der unterbliebeÂnen gemeinÂsamen EntscheiÂdunÂgen der Kirche, die schon lange ansteÂhen.
Mangelnder Glaube
Um die BeruÂfung immer neu zu entÂdeckÂen und zu leben, müssen die TraÂdiÂtioÂnen hinÂterÂfragt werÂden. Das gilt auch für die SynÂode über die FamÂiÂlie. Wenn AmtÂsträger bereÂits vor der SynÂode erkÂlären, dass es keine VeränÂderunÂgen geben werde, schliessen sie das Wirken des HeiliÂgen Geistes zum VornÂhereÂin aus. FolÂgerichtig müsste seine NenÂnung auch im GlaubensÂbekenÂntÂnis gestrichen werÂden. Diese HalÂtung manÂgelÂnden Glaubens zeigt sich auch im Umgang mit den ansteÂhenÂden FrauenÂfraÂgen in der Kirche. Auch hier ist die TenÂdenz gross, TraÂdiÂtioÂnen als TraÂdiÂtion zu verkaufen. Aber: Die TraÂdiÂtioÂnen in der FrauenÂfrage sind – wie alle TraÂdiÂtioÂnen – vom ZeitÂgeist geprägt. Und der ZeitÂgeist ist wiederum stark geprägt von der jahrhunÂdertealÂten DomÂiÂnanz der MänÂnerÂwelt.
Wo bleiben die Frauen?
Das Vergessen der Frau ist bereÂits in den AuferÂsteÂhungsÂberichtÂen im Neuen TesÂtaÂment aufÂfälÂlig. In Mt 28,8–10 heisst es: «NachÂdem die Frauen die Botschaft der Engel verÂnomÂmen hatÂten, verÂliessen sie sogleÂich das Grab und eilÂten voll Furcht und grossÂer Freude zu seinen Jüngern, um ihnen die Botschaft zu verkünÂden. PlötÂzlich kam ihnen Jesus entÂgeÂgen und sagte: Seid gegrüsst! Sie ginÂgen auf ihn zu, warÂfen sich vor ihm nieder und umfassten seine Füsse. Da sagte Jesus zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Geht und sagt meinen Brüdern, sie sollen nach Galiläa gehen, und dort werÂden sie mich sehen.» Und Paulus schreibt an die Korinther: «Er ist am dritÂten Tag auferÂweckt worÂden, gemäss der Schrift, und erschien dem Kephas, dann den Zwölf. Danach erschien er mehr als fünfhunÂdert Brüdern zugleÂich; die meisÂten von ihnen sind noch am Leben, einige sind entschlafen. Danach erschien er dem Jakobus, dann allen AposÂteln. Als LetÂztem von allen erschien er auch mir, dem UnerÂwarteten, der MissÂgeÂburt» (1 Kor 15,4–8). Bei Paulus ist keine Rede von den Frauen, denen der AuferÂstandene zudem noch zuerst erschienen ist. Das grosse ProbÂlem ist auch hier, dass diese evanÂgeÂlisÂche TraÂdiÂtion über JahrhunÂderte nicht mitÂgeÂhört und eine der mänÂnerÂdoÂminierten TraÂdiÂtioÂnen immer wieder zur TraÂdiÂtion erkÂlärt wurde und wird.Wenn TraÂdiÂtioÂnen der TraÂdiÂtion im Wege steÂhen, müssen sie aufgegeben werÂden – selbÂst wenn sie liebgeÂwonÂnen und verÂtraut sind. Das gehört zur immer wieder nötiÂgen Entweltlichung, die Papst Benedikt XVI. angemahÂnt hat. (mw)
KurzÂfasÂsung eines Essays von P. MarÂtin Werlen OSB in der neuen AusÂgabe der Herder KorÂreÂsponÂdenz: «Angesichts der TraÂdiÂtioÂnen die TraÂdiÂtion nicht vergessen. Die katholisÂche Kirche und die HerÂausÂforderung des ZeitÂgeistes».