Wenn man von der Arbeit nicht leben kann

Wenn man von der Arbeit nicht leben kann

  • Am 24. Jan­u­ar ist wieder der Son­ntag von Car­i­tas Aar­gau – Gele­gen­heit für das renom­mierte kirch­liche Hil­f­swerk, sich als Stimme der Armen und Benachteiligten Gehör zu ver­schaf­fen.
  • In diesem Jahr richtet Car­i­tas Aar­gau das Augen­merk auf schlechte Arbeits­be­din­gun­gen in  der Schweiz. In immer mehr Branchen gebe es keine fairen Verträge. Und die Entlöh­nung sei so schlecht, dass man davon nicht leben könne.

So hilft die Caritas

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Nothil­fe: Mit­tels finanzieller Soforthil­fe für ausste­hende Krankenkassen­prämien oder Miet­zin­srech­nun­gen half die Car­i­tas vie­len Men­schen in prekären Lagen durch die ärg­ste Not.
Beratung: Car­i­tas Aar­gau begleit­et Men­schen und Fam­i­lien, die armuts­be­trof­fen oder armutsge­fährdet sind. Ger­ade in aus­sicht­s­los erscheinen­den Sit­u­a­tio­nen kann es ent­las­tend sein, pro­fes­sionelle Hil­fe in Anspruch zu nehmen. Die Beratungsange­bote sind frei­willig und kosten­los.
Vergün­s­ti­gun­gen: Mit der Kul­turLe­gi ermöglicht die Car­i­tas Per­so­n­en mit wenig Geld Zugang zu stark vergün­stigten Bildungs‑, Kul­tur- und Sportange­boten. Die Rabat­te betra­gen 30–70% auf Ange­bote wie Musikun­ter­richt, Jahresabo ein­er Tageszeitung oder die Jahreskarte ein­er Bib­lio­thek.

Für Unter­stützung von Armuts­be­trof­fe­nen ist Car­i­tas Aar­gau auf Spenden angewiesen

Car­i­tas Aar­gau schlägt Alarm: Immer mehr Men­schen arbeit­en unter prekären Bedin­gen. Der bezahlte Lohn sichert die Exis­tenz nicht, oft­mals kommt er zudem ver­spätet oder man wird nur noch im Stun­den­lohn beschäftigt. «Die Betrof­fe­nen sind meist auch nur man­gel­haft abgesichert gegen Job­ver­lust und haben stark eingeschränk­te Zukun­ftsper­spek­tiv­en», heisst es bei Car­i­tas Aar­gau. Infolge der Coro­na-Pan­demie hät­ten zudem viele ihren Job ver­loren.

Mit falschen Versprechungen geködert

So auch Nemeth (Name von der Redak­tion geän­dert). Der zweifache Fam­i­lien­vater ist seit August arbeit­s­los. In seinem let­zten Job arbeit­ete er im Aussen­di­enst und ver­trieb Haarkos­metik. «Mir sind falsche Ver­sprechun­gen gemacht wor­den», erin­nert er sich. Zu einem Fix­um von 3’000 Franken hätte er, in Abhängigkeit zum erziel­ten Umsatz, monatlich einen Bonus erhal­ten sollen: 2’000 Franken bei 20’000 Franken Umsatz. «Das war beim besten Willen nicht zu schaf­fen», erin­nert er sich und sagt: «Ich erhielt auch nicht wie ver­sprochen den Raum Zürich als Arbeits­ge­bi­et.»

Nach einiger Zeit kam der Lohn nicht mehr pünk­tlich. Und Lohnabrech­nun­gen habe er auch keine mehr gese­hen, so Nemeth. «Ich kon­nte ich meine Miete nicht mehr pünk­tlich bezahlen, und mit den Krankenkassen­prämien sind wir auch in Rück­stand ger­at­en.» Obwohl Nemeths Frau im Einzel­han­del arbeit­et und gute Arbeits­be­din­gun­gen hat, reichte es nicht mehr, als Nemeth gekündigt wurde. Der Arbeit­ge­ber machte wirtschaftliche Gründe gel­tend. Die Fam­i­lie lan­dete schliesslich bei der Car­i­tas, weil sie ihre Rech­nun­gen nicht mehr bezahlen kon­nte.

Von heute auf morgen entlassen

Ali (Name von der Redak­tion geän­dert) arbeit­ete für die bekan­nte Schweiz­er Hotelkette Sorell, als «Night Audi­tor» im Stun­den­lohn, in zwei ver­schiede­nen Häusern. «Ich durfte arbeit­en, wenn die Fes­tangestell­ten ihre Fre­itage hat­ten oder Ferien nah­men. Als Coro­na kam, war plöt­zlich fer­tig – von einem Tag auf den anderen. Für Ali, eben­falls Vater, bedeutete das eine Katas­tro­phe. Seine Frau hat keine bezahlte Arbeitsstelle, sie küm­mert sich um die Kinder. Als die ersten Betrei­bun­gen kamen, suchte die Fam­i­lie Hil­fe bei der Car­i­tas.

Diana Auer erlitt während des Lock­downs einen Ner­ven­zusam­men­bruch. Die allein­erziehende Mut­ter arbeit­ete als Tages­mut­ter für den Vere­in «Tages­fam­i­lien Brugg und Umge­bung» und betreute vier Kinder in Ergänzung zu ihren eige­nen bei­den Sprösslin­gen. «Auf diese Art und Weise kon­nte ich Arbeit und Kinder­be­treu­ung unter einen Hut brin­gen», sagt sie. Der Lohn betrug Fr. 6.50 pro Kind und Stunde. Sie habe gefühlt mehr gear­beit­et als die vere­in­barten 70 Prozent. Zudem habe Sie vom Vere­in «Tages­fam­i­lien Brugg und Umge­bung» zu wenig Unter­stützung erhal­ten in der schwieri­gen Coro­na-Zeit und auch im Umgang mit den Ansprüchen der Eltern.


Zu liberale Arbeitsgesetzgebung?

Drei Schick­sale von vie­len. Die Car­i­tas ortet das Prob­lem in der lib­eralen Schweiz­er Arbeits­ge­set­zge­bung, die nur einen schwachen Kündi­gungss­chutz bietet und keine oblig­a­torische Kranken­taggeld­ver­sicherung bein­hal­tet. Ausser­dem seien ganze Sek­toren, wie die Land­wirtschaft oder Hauswirtschaft, nicht dem Arbeits­ge­setz unter­stellt. Das gelte auch für Arbeits­for­men, die über Online-Plat­tfor­men organ­isiert wür­den. Das sind beispiel­sweise Reini­gungs- und Kuri­er­ar­beit­en. Auch Diana Auer kam zu ihren Betreu­ungsauf­gaben über eine Plat­tform.

Prob­lema­tisch sind, laut Car­i­tas, Arbeit­en auf Abruf, der schlechte Lohn und die man­gel­hafte Absicherung gewiss­er Risiken wie Arbeit­slosigkeit, Krankheit oder Alter­sar­mut. Laut Bun­de­samt für Sta­tis­tik, find­et sich prekäre Arbeit über­durch­schnit­tlich häu­fig in den klas­sis­chen Tieflohn­branchen, beispiel­sweise im Gast­gewerbe, in der Reini­gung, aber auch in der Dien­stleis­tungs­branche oder im Kun­st­be­trieb. Betrof­fen sind oft­mals Frauen, jün­gere Arbeit­nehmende, Per­so­n­en mit tiefem Bil­dungs­stand und Men­schen ohne Schweiz­er Pass. Nemeth, Ali, aber auch Diana haben im Zuge der Coro­n­akrise ihre Arbeit ver­loren. Die Chan­cen ste­hen schlecht, dass sie bald einen neuen Job find­en.

Was sagen die Arbeitgeber?

Bei der schweizweit bekan­nten Hotelkette Sorell, einem ZFV-Unternehmen (ent­standen aus der Zürcher Frauen­be­we­gung), sollen auch für kom­plexere Auf­gaben über län­gere Zeit keine fes­ten Arbeitsverträge aus­gestellt wer­den (siehe Bericht). Die ZFV-Unternehmungen lassen, damit kon­fron­tiert, aus­richt­en: «Seine Rolle als ver­ant­wor­tungsvoller Arbeit­ge­ber nimmt der ZFV sehr ernst. So ermöglichen wir mit Teilzeit­stellen und reg­ulären Arbeit­szeit­en vielerorts die Vere­in­barkeit von Beruf und Fam­i­lie. Und unsere Mitar­bei­t­en­den sind in viel­er­lei Hin­sicht gegenüber dem Gesam­tar­beitsver­trag im Gast­gewerbe L‑GAV bess­er gestellt. Was die konkreten Anstel­lungs­be­din­gun­gen einzel­ner Mitar­bei­t­en­den anbe­langt, richt­en sich diese nach Auf­gabe, Funk­tion und Betrieb­sart. So beschäfti­gen wir sowohl Mitar­bei­t­ende mit einem fix­en Arbeit­spen­sum, wie auch im Stun­den­lohn. Dies wird von den Mitar­bei­t­en­den sehr geschätzt und passiert immer im gegen­seit­i­gen Ein­ver­ständ­nis zwis­chen Mitar­beit­er und ZFV.»

Müssen Tages­müt­ter als Angestellte des Vere­ins «Tages­fam­i­lien Brugg und Umge­bung» mehr als vere­in­bart arbeit­en und erhal­ten diese zu wenig Unter­stützung bei her­aus­fordern­den Arbeitssi­t­u­a­tio­nen, etwa im Umgang mit den Ansprüchen der Eltern? Eine entsprechende Anfrage beim Vere­in blieb unbeant­wortet.

Andreas C. Müller
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