Was Flüchtlinge erleben und sich wünschen

Was Flüchtlinge erleben und sich wünschen

Rund 250 Flüchtlinge trafen sich diesen Sam­stag, 5. Novem­ber 2016, auf Ein­ladung der Car­i­tas in der Aarauer Schachen­halle. Auf dem Pro­gramm standen mod­erierte Grup­penge­spräche über Inte­gra­tionser­fahrun­gen, die zusam­men mit indi­vidu­ellen Frage­bö­gen an der Fach­hochschule aus­gew­ertet wer­den.Tibeter, Afgha­nen, Soma­lier, Kur­den, Eritreer, Pak­istani – in Sprach­grup­pen zusam­menge­fasst sitzen Men­schen unter­schiedlich­er Herkun­ft an etwa zwanzig grossen Tis­chen und bericht­en von ihren Erfahrun­gen in der Schweiz. Die Grup­pen umfassen etwa zehn bis zwanzig Per­so­n­en. Je eine dreiköp­fige Gespräch­sleitung mod­eriert, über­set­zt und pro­tokol­liert.

Flüchtlinge zu Wort kommen lassen

Gekom­men sind sie aus allen Regio­nen des Kan­tons, erk­lärt Pro­jek­tleit­er Beat John von Car­i­tas Aar­gau. Am meis­ten aus der Region Aarau/Suhr, gefol­gt von Brugg/Baden. Es seien aber auch Leute aus Rekin­gen, Kaiser­stuhl oder Oftrin­gen anwe­send – also aus Periph­erie-Regio­nen.Das Ziel des Anlass­es? Man wolle gezielt etwas über die Erfahrun­gen im Zusam­men­hang mit Inte­gra­tion von Flüchtlin­gen in der Schweiz erfahren, so Pro­jek­tleit­er Beat John. «Welche pos­i­tiv­en und neg­a­tiv­en Erfahrun­gen gibt es? Wie stellen sich Flüchtlinge Par­tizipa­tion vor?» Man rede hierzu­lande viel über Flüchtlinge, so Kurt Brand, Co-Geschäfts­führer bei Car­i­tas Aar­gau. Doch hät­ten Flüchtlinge keine Möglichkeit, ihre Erfahrun­gen auszu­tauschen. Aus diesem Grund sei die Idee ent­standen, einen solchen Anlass auf die Beine zu stellen.

Schweizerinnen und Schweizer nicht immer hilfsbereit

«Die Atmo­sphäre bei meinem Arbeit­sein­satz war nicht gut. Es war kalt, Lohn gab es keinen», über­set­zt Eden zuhan­den der Pro­tokollführerin Karin von Arx die Rück­mel­dung eines Eritreers an einem der «Tigrinya-Tis­che». Ob es denn gle­ich­wohl etwas gegeben habe, was er pos­i­tiv erlebt habe, fragt Mod­er­a­tor Michael Egli zurück. Den Kon­takt mit anderen Men­schen, so die Antwort des Eritreers an die Über­set­zerin. Arbeit­en wolle er, aber respek­tvoll behan­delt und entlöh­nt wer­den.Die Teil­nehmenden am Tisch beteili­gen sich rege am knapp zweistündi­gen Aus­tausch. Auch Müt­ter kön­nen sich ein­brin­gen, für die Kinder gibt es ein Betreu­ungsange­bot. Am Eritreer­tisch von Michael Egli zeigt sich: Die meis­ten Hür­den bei der Inte­gra­tion ergeben sich auf­grund von Ver­ständi­gung­sprob­le­men. Darüber hin­aus bekla­gen Anwe­sende, dass Schweiz­erin­nen und Schweiz­er nicht immer nur hil­fs­bere­it seien und es schwierig sei, in einem Vere­in Fuss zu fassen.

Zu wenig Deutschkurse für Flüchtlinge

An einem anderen Tisch tauscht sich Car­i­tas Aar­gau Co-Geschäfts­führerin Reg­u­la Kuhn mit syrischen Flüchtlin­gen aus. «Die meis­ten waren in Syrien Anwälte, Ärzte und Lehrer. Sie wollen jet­zt so rasch und so gut als möglich Deutsch ler­nen», resümiert Reg­u­la Kuhn gegenüber Hor­i­zonte. «Und um dieses Ziel erre­ichen zu kön­nen« so Reg­u­la Kuhn weit­er, gibt es für die Flüchtlinge zu wenig Ange­bote, das wurde auch entsprechend beklagt.»Auf die Frage, welchen Stel­len­wert für die Anwe­senden denn Par­tizipa­tion habe und wie das zum Aus­druck gekom­men sei, ent­geg­net die Car­i­tas Co-Geschäfts­führerin: «Diese Frage war für die meis­ten Anwe­senden eine Über­forderung.» Klar, die Teil­nahme mit Kindern an einem Räbe­liächtli-Umzug oder das Mit­machen in einem Vere­in seien schon The­ma gewe­sen, aber für die meis­ten sei noch nicht ein­mal klar, was denn über­haupt ein Vere­in sei und wie dieser funk­tion­iere.

 Wenn alle sich eine Stunde Zeit nehmen würden…

Der Anlass wurde mass­ge­blich mit­ge­tra­gen von Frei­willi­gen, die Getränke und Essen bere­it­stell­ten oder sich in ver­schiede­nen Gesprächs­grup­pen beim Pro­tokol­lieren engagierten. So auch Paula Blöch­linger, die am Syrien-Tisch von Reg­u­la Kuhn pro­tokol­lierte. «Wenn sich nur jed­er, der Zeit hat, mal eine Stunde nähme, um sich mit einem Flüchtling zu unter­hal­ten, würde das enorm viel brin­gen», glaubt sie.Olivia Con­rad und Joëlle Senn wer­den bis Jan­u­ar 2017 die Gespräch­spro­tokolle zusam­men mit indi­vidu­ellen Frage­bo­gen auswerten. Es han­delt sich hier­bei um ein Pro­jekt, das die bei­den Studieren­den der Fachrich­tung Soziale Arbeit im Rah­men ihres oblig­a­torischen Forschungss­chw­er­punk­ts an der Fach­hochschule Nord­westschweiz in Zusam­me­nar­beit mit Car­i­tas Aar­gau aufge­gleist haben.

Auswertung durch Fachhochschulstudierende bis im Januar

«Ich bin ges­pan­nt, wie wichtig den Flüchtlin­gen Par­tizipa­tion ist», erk­lärt Olivia Con­rad mit Blick auf die bevorste­hende Auswer­tungsar­beit. Auf erste Ein­drücke ange­sprochen erk­lärt die Stu­dentin: «Es wird bes­timmt ganz Ver­schiedenes zusam­menkom­men – genau­so, wie sich die Diskus­sio­nen an den Tis­chen unter­schiedlich entwick­elt haben, teils mit Ver­ständi­gung­sprob­le­men zu kämpfen hat­ten oder bei einzel­nen Punk­ten länger verblieben sind.» «Flüchtlings­grup­pen wie beispiel­sweise die Tibeter, die bere­its länger in der Schweiz sind», so glaubt Car­i­tas Aar­gau Co-Geschäfts­führer Kurt Brand, «wer­den bes­timmt dif­feren­ziert­ere Rück­mel­dun­gen geben kön­nen als Kontin­gents­flüchtlinge.»Nach Abschluss der Gespräch­srun­den präsen­tieren ver­schiedene For­ma­tio­nen kul­turelle Dar­bi­etun­gen. Tamilis­che, eritreis­che, per­sis­che und kur­dis­che Klänge erfüll­ten die Halle, ver­schiedene Tanz­for­ma­tio­nen zeigen ihr Kön­nen und das Pub­likum lässt sich rasch von der Begeis­terung der Kul­turschaf­fend­en ansteck­en. Alle Anwe­senden wer­den zudem auf Kosten von Car­i­tas Aar­gau verköstigt. Auf den tanzen­den Reigen durch die Halle fol­gt bald eine lange Schlange vor den leck­eren Häh­nchen mit Gemüse­burg­ern, Salat und Brot. Die Hin­dernisse aus dem All­t­ag sind weit weg, das Leben ist schön. Dass den Flüchtlin­gen zuge­hört wird, man sie in ihren Bedürfnis­sen ernst nimmt, ist Bal­sam auf so manche Seele.
Andreas C. Müller
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