Umkeh­ren, ohne das Gesicht zu verlieren

Umkeh­ren, ohne das Gesicht zu verlieren

Jona 3, 1–5.10Das Wort des Herrn erging an Jona: Mach dich auf den Weg und geh nach Nini­ve, in die gros­se Stadt, und droh ihr all das an, was ich dir sagen wer­de. Jona mach­te sich auf den Weg und ging nach Nini­ve, wie der Herr es ihm befoh­len hat­te. Nini­ve war eine gros­se Stadt vor Gott; man brauch­te drei Tage, um sie zu durch­que­ren. Jona begann, in die Stadt hin­ein­zu­ge­hen; er ging einen Tag lang und rief: Noch vier­zig Tage und Nini­ve ist zer­stört! Und die Leu­te von Nini­ve glaub­ten Gott. Sie rie­fen ein Fasten aus und alle, Gross und Klein, zogen Buss­ge­wän­der an. Und Gott sah ihr Ver­hal­ten; er sah, dass sie umkehr­ten und sich von ihren bösen Taten abwand­ten. Da reu­te Gott das Unheil, das er ihnen ange­droht hat­te, und er führ­te die Dro­hung nicht aus.Ein­heits­über­set­zung 

Umkeh­ren, ohne das Gesicht zu verlieren

Wie oft mag uns ein Ent­schluss reu­en, den wir gefasst haben? Wie oft mag uns nicht wohl sein mit einer Ent­schei­dung, die wir getrof­fen haben? Und wie ver­hal­ten wir uns dann? Es mögen klei­ne, im Rück­blick unbe­deu­ten­de Ent­schei­dun­gen sein, mit denen wir kon­fron­tiert sind, es mögen gros­se Ent­schei­dun­gen von unab­seh­ba­rer Trag­wei­te sein, die wir gefasst haben und dann doch ­irgend­wo spü­ren: es ist nicht so gut, wie wir es zu Beginn ange­nom­men haben; die­se Ent­schei­dung wei­ter­zu­ver­fol­gen, kann auf Dau­er nicht gut gehen oder sogar gros­ses Unheil her­bei­füh­ren.Bei­spie­le gäbe es zahl­rei­che: Der Ver­ein, dem ich bei­tre­te, der mir gros­ses Enga­ge­ment abfor­dert und wo ich ziem­lich schnell mer­ke: Das über­steigt mei­ne Kraft und mei­ne Lei­stungs­fä­hig­keit – mag ich mich da wie­der aus­klin­ken, nach­dem ich zuge­sagt habe?Die Lehr­stel­le, die jemand annimmt, obwohl die Bega­bung und die Nei­gung ihn oder sie irgend­wo anders hin­zie­hen; allein, es ist ver­nünf­tig und der Ver­trag ist schon unter­schrie­ben – also zie­he ich es durch. Die Bezie­hung, die mit der Hoch­zeit öffent­lich und dau­er­haft besie­gelt wer­den soll, und dann ist sich der Part­ner oder die Part­ne­rin viel­leicht gar nicht mehr so sicher – aber das Ja ist gesagt, und wer will das wie­der zurück­zie­hen?Gros­se und klei­ne Ent­schei­dun­gen, bei denen wir uns nicht hun­dert­pro­zen­tig sicher sind oder sogar deut­lich spü­ren, dass es nicht gut gehen kann – wie ver­hal­ten wir uns da?Eine gros­se Angst, die uns doch umtreibt, ist die, das Gesicht zu ver­lie­ren. Als inkon­se­quent oder unzu­ver­läs­sig dazu­ste­hen. Lie­ber als das, beis­sen wir die Zäh­ne zusam­men und zie­hen die Sache durch, auf Bie­gen und Bre­chen.Das muss so nicht sein. Und der Schrift­text gibt uns da gute Hil­fen.Zum einen ist da die Bevöl­ke­rung von Nini­ve. Die Zer­stö­rung wird ihr ange­droht, die Zer­stö­rung einer gan­zen gros­sen Stadt. Doch die Leu­te von Nini­ve neh­men sich den Buss­aufruf des Pro­phe­ten Jona zu Her­zen. Sie hal­ten nicht dar­an fest, sich wei­ter­hin böse zu ver­hal­ten. Sie keh­ren um. Sie ändern sich alle mit­ein­an­der. Doch die über­ra­schend­ste Aus­sa­ge steht für mich im letz­ten Satz des Abschnitts: «Da reu­te Gott das Unheil, das er ihnen ange­droht hat­te, und er führ­te die Dro­hung nicht aus.»Da wird Gott genau die Ver­hal­tens­wei­se zuge­schrie­ben, die uns oft so schwer fällt: Ent­schei­dun­gen zu revi­die­ren, die Unheil nach sich zie­hen, und zu erken­nen, dass das Heil woan­ders liegt. Natür­lich ist es sehr mensch­lich vom Autor des Jona­bu­ches gedacht, Gott die­se Ver­hal­tens­wei­se zuzu­schrei­ben. Aber es ist denk­bar. Gott reu­te es. Er ver­liert nicht sein Gesicht. Er erkennt, dass im ande­ren Ver­hal­ten mehr Heil liegt als im Unheil, das er ange­droht hat. Und han­delt ent­spre­chend, indem er die Stadt ver­schont.Wenn wir immer wie­der dar­auf schau­en: Wie gross ist das Heil oder auch das Unheil, das von unse­ren Ent­schei­dun­gen aus­ge­hen kann, und unse­re Ent­schlüs­se immer wie­der dahin gehend neu anschau­en, dass das Heil grös­ser ist als das Unheil, dann müs­sen wir kei­ne Angst haben, unser Gesicht zu ver­lie­ren, auch wenn wir Ent­schei­dun­gen zurück­neh­men. Das ist Umkehr.Doro­thee Becker, Theo­lo­gin und Seel­sor­ge­rin in der Pfar­rei Hei­lig­geist, Basel
Redaktion Lichtblick
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