Von der Sehn­sucht, erkannt zu werden

Von der Sehn­sucht, erkannt zu werden

Johan­nes 1,45–49Phil­ip­pus traf Natanaël und sag­te zu ihm: Wir haben den gefun­den, über den Mose im Gesetz und auch die Pro­phe­ten geschrie­ben haben: Jesus, den Sohn Josefs, aus Naza­ret. Da sag­te Natanaël zu ihm: Kann aus Naza­ret etwas Gutes kom­men? Phil­ip­pus sag­te zu ihm: Komm und sieh! Jesus sah Natanaël auf sich zukom­men und sag­te über ihn: Sieh, ein ech­ter Israe­lit, an dem kein Falsch ist. Natanaël sag­te zu ihm: Woher kennst du mich? Jesus ant­wor­te­te ihm: Schon bevor dich Phil­ip­pus rief, habe ich dich unter dem Fei­gen­baum gese­hen. Natanaël ant­wor­te­te ihm: Rab­bi, du bist der Sohn Got­tes, du bist der König von Israel! Ein­heits­über­set­zung 2016 

Von der Sehn­sucht, erkannt zu werden

Wenn mich jemand fragt, was die gröss­te Sehn­sucht des Men­schen ist, so wür­de ich aus mei­ner Erfah­rung als Sozi­al­ar­bei­ter sagen: Die Sehn­sucht, in sei­nem inner­sten Wesen und in sei­nem Kern der Per­sön­lich­keit «erkannt zu wer­den».In den unzäh­li­gen Bera­tungs­ge­sprä­chen, die ich über zehn Jah­re lang mit Men­schen in unter­schied­li­chen Lebens­si­tua­tio­nen füh­ren durf­te, ging es stets um Fra­gen wie «Wer bin ich?», «Was kann ich?», «Was will ich?». Wenn es mir gelang, als Bera­ter die­se Dimen­sio­nen der Per­sön­lich­keit zu erfas­sen, dann waren die Gesprä­che mei­stens gewinn­brin­gend und lösungs­ori­en­tiert.Mein bester Freund hat­te ein Erleb­nis in sei­ner Berufs­leh­re, wel­ches auf den Punkt bringt, was ich mei­ne. Er merk­te schon am ersten Tag sei­ner Leh­re, dass der gewähl­te Beruf nicht die rich­ti­ge Wahl für ihn gewe­sen war. Trotz­dem schloss er die vier­jäh­ri­ge Leh­re mit besten Noten ab. Sein Lehr­mei­ster mein­te am Schluss zu ihm: «Ich wer­de mich dafür ein­set­zen, dass du im Waren­la­ger eine Anstel­lung bekom­men wirst.» Damit ver­kann­te er das gros­se Poten­zi­al, das in sei­nem Berufs­ler­nen­den schlum­mer­te. Er erkann­te nicht, was die Per­sön­lich­keit die­ses jun­gen Man­nes aus­mach­te, und er hät­te wohl nicht im Traum dar­an gedacht, dass aus sei­nem Lehr­ling ein begab­ter Jurist und Rhe­to­ri­ker wer­den wür­de.Die Bibel kennt zahl­rei­che Bege­ben­hei­ten, oft sind es Beru­fungs­ge­schich­ten, in denen zum Aus­druck gebracht wird, dass Gott den Men­schen in sei­nem inner­sten Wesen erkennt. Ich war stets von Psalm 139,1–3 ange­tan: «Herr, du hast mich erforscht und kennst mich. Ob ich sit­ze oder ste­he, du kennst es. Du durch­schaust mei­ne Gedan­ken von fern. Ob ich gehe oder ruhe, du hast es gemes­sen. Du bist ver­traut mit all mei­nen Wegen.» Als eine Stu­di­en­kol­le­gin mein­te, sie kön­ne mit so einem Gott, der den Men­schen der­mas­sen über­wa­che und kon­trol­lie­re, nichts anfan­gen, war ich per­plex. Ich mei­ne, dass sie die Grund­aus­sa­ge nicht ver­stan­den hat. Den Psalm lese ich auch heu­te noch wohl­wol­lend und erfah­re dar­in einen Gott, der zu mir als Men­schen eine ganz nahe, ver­trau­ens­vol­le und inti­me Bezie­hung pflegt. Er hat mich erkannt und ist mir nahe, weil er mein Schöp­fer ist.So ergeht es auch Bar­tho­lo­mä­us. Zunächst noch mit Vor­ur­tei­len Jesus gegen­über behaf­tet, macht er die Erfah­rung, dass er von ihm im Kern sei­ner Per­sön­lich­keit erkannt wor­den ist. Die­se Erfah­rung führt ihn zum Bekennt­nis, und so wird er zum Apo­stel, zum Boten für Jesus. Nichts steht mehr zwi­schen ihm und Jesus, er lässt sich ganz auf die Bezie­hung zu Jesus ein.Was bedeu­tet es, zu wis­sen, dass Gott uns im Kern unse­rer Per­sön­lich­keit erkennt und ruft? Ich kann dar­auf bau­en, dass Gott, mein Schöp­fer, mich kennt, und aus die­ser Über­zeu­gung eine per­sön­li­che und selbst­be­wuss­te Ant­wort geben auf die Fra­gen des Lebens: Wer bin ich? Was kann ich? Was will ich?Mathi­as Jäg­gi, Theo­lo­ge und Sozi­al­ar­bei­ter, arbei­tet als Berufsschullehrer   
Christian von Arx
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