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Streiten, aber auf gemeinsamem Fundament
Der reformierte Aargauer Kirchenratspräsident sprach am dritten «DispuTALK» über Geld, Politik und die Kirche als Zukunftsmodell
Wo vor fünfhundert Jahren Reformierte und Katholiken über den rechten Glauben debattierten, sprechen bis im kommenden Mai Schweizer Persönlichkeiten über Frieden, Hoffnung, Zukunft und Liebe. Im dritten «DispuTALK» am 27. November war der reformierte Aargauer Kirchenratspräsident Christoph Weber-Berg zu Gast in Baden.
Christoph Weber-Berg steht vor seinem letzten Jahr als Kirchenratspräsident der reformierten Kirche im Aargau. Seit 2012 im Amt, hat er die Kirche im Aargau in den vergangenen Jahren mitgestaltet und die Entwicklung der Kirche insgesamt intensiv verfolgt. Deshalb überrascht ihn die Zahl nicht, die Hans Strub ihm vorlegt: Nur noch 25 Prozent der Kinder würden getauft, erklärt der Gesprächsleiter, und schliesst die Frage an: «Ist die Landeskirche ein Auslaufmodell?»
«Wenn wir Einfluss haben wollen, können wir das»
Weil alle Indikatoren nach unten zeigten, sei die Volkskirche im Sinne einer Kirche der breiten Bevölkerung wahrscheinlich tatsächlich ein Auslaufmodell, antwortete Christoph Weber-Berg. «Aber wenn wir jetzt jammern, weil wir weniger werden, sind wir nicht attraktiv für unser Umfeld. Ich bin überzeugt, unsere Kirche ist kein Auslaufmodell, sie ist ein Zukunftsmodell.»
Der Kirchenratspräsident führte aus, dass 130’000 Menschen im Aargau Mitglied einer Landeskirche seien. «Auch wenn diese Zahl auf einen Viertel schrumpft, sind wir – bei allen finanziellen und organisatorischen Schwierigkeiten, die das mit sich bringt – für eine Organisation noch immer gross. Wenn wir Einfluss haben wollen, dann können wir das. 26’000 Menschen, die wissen, warum sie in der Kirche dabei sind, haben eine grosse Ausstrahlung.» Die Kirche müsse als Gemeinschaft einladend, interessant und attraktiv sein.
Den Inhalt nicht neu erfinden
Reform bedeute, für etwas eine neue Form zu finden, erklärte der Kirchenratspräsident. Für die Kirche bedeute das, für vieles eine neue Form zu finden, von der Immobiliennutzung bis zur Art, wie wir Gottesdienste feiern. «Aber den Inhalt, das, wofür wir stehen, müssen wir nicht verändern», betonte Christoph Weber-Berg.
Hierarchie gebrochen
Die Organisationsform der Kirche, die mit den kantonalen Körperschaften, den Landeskirchen, in die demokratischen Strukturen eingebunden ist, habe die Macht der Kirchen gebändigt, was gut sei, erklärte Christoph Weber-Berg weiter: «Früher waren die Kirchen Brandbeschleuniger von Konflikten, sie schürten Hass und Streit. Daraus hat man nach dem Sonderbundskrieg gelernt und hat die Macht der Kirchen domestiziert, indem man sie zu öffentlich-rechtlichen Organisationen machte. Die Macht der Hierarchie wurde so gebrochen und die Kirche eingegliedert ins demokratische, bürgerliche Umfeld.»
«Ich bewegte Millionen»
Weber-Berg dissertierte an der Universität Zürich mit einer Arbeit zur Kulturbedeutung des Geldes. Hans Strub lotete mit seinem Gesprächspartner deshalb auch das Thema Kirche und Wirtschaft aus. Neben seinem Theologiestudium an der Uni Zürich hatte Weber-Berg am Paradeplatz bei der damaligen Schweizerischen Kreditanstalt einen Job, bei dem er Firmenkredite verwaltete. «Unter meiner Mitwirkung wurden Millionen von Franken bewegt – das hat mein Denken in Gang gesetzt», erinnert er sich. «Während wir an der Uni darüber diskutierten, wie böse der Kapitalismus sei, arbeitete ich einige hundert Meter weiter, ennet der Limmat, in exakt diesem Bereich.» Diese Erfahrung verschaffte ihm eine differenzierte Sicht auf den Kapitalismus: «Ich glaube Wirtschaft ist eine Herausforderung für religiöse Menschen. Das ist keine Frage von Planwirtschaft oder Kapitalismus oder einer anderen Form. Das Verhältnis der Menschen zu Besitz und Geld ist der Knackpunkt. Die Frage ist nicht, was macht der Mensch mit dem Geld, sondern: Was macht das Geld mit dem Menschen?»
Gedanklich über die Limmat gehen
Die Fähigkeit, zu einem Thema eine andere Sicht einzunehmen, ist Christoph Weber-Berg geblieben: «Seit dem Studium gehe ich immer wieder mal gedanklich über die Limmat und wechsle die Perspektive.»
Ist schon das Verhältnis von Kirche und Wirtschaft knifflig, so birgt das Verhältnis von Kirche und Politik noch mehr Zündstoff. Christoph Weber-Berg erinnerte an das Engagement der Kirchen für die Konzernverantwortungsinitiative und sagte: «Als Kirchenratspräsident finde ich, dass die Kirchen keine Transparente an Kirchtürme hängen sollte, sondern einen Saal mit Menschen füllen, die das Thema unterschiedlich sehen und zusammen diskutieren.» Der politische Gegner in der Schweiz solle kein Feind sein, sondern jemand, mit dem man streite, über den man sich aufrege, aber mit dem man trotzdem im Gespräch bleibe und nach Lösungen suche.
«We agree to disagree»
Genau hier habe die Kirche eine wichtige Vorbildfunktion: «Reformiert sein heisst, es gibt kein Lehramt, sondern man diskutiert über die Glaubenswahrheit miteinander. Wir diskutieren auf dem gleichen Fundament, auch wenn wir verschiedener Meinung sind.»
Dass der Frieden, auch in Europa, heute wieder so bedroht sei, beschäftige ihn, sagte Christoph Weber-Berg. Jedoch bedeute auch Frieden nicht, dass alles in Harmonie verlaufe. «Frieden kann auch ein fair ausgetragener Streit auf gemeinsamer Basis sein. Die Badener Disputation kann man als Versuch sehen, sich zu einigen – was nicht gelang. Aber man könnte sagen, sie sagten damals: ‹we agree to disagree›.»
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