Sisyphus mit der Sägesse

Thomas Zehn­der schraubt am gel­ben Röhrchen und träufelt sich dann ein paar Tropfen Para­pic auf die Haut. Irgend­wo im Unter­holz muss ihm ein beson­ders giftiges Tierchen aufge­lauert haben, rot und geschwollen ist die Ein­stich­stelle am Hals. Kurz darauf marschiert er aber wieder durch das Wei­d­land Rich­tung Aareufer. Die Arbeit muss weit­er gehen, denn die Zeit läuft ihm und seinen jun­gen Mitar­beit­ern davon.

 

Zusam­men mit sechs Zivil­dien­stleis­ten­den befre­it Thomas Zehn­der die Wei­den im Brug­ger Schachen von so genan­nten «Neo­phyten». Kleinere Bestände von Gol­druten und Berufkraut wer­den mit samt den Wurzeln gezupft, grössere Gol­drutenbestände erledigt das Team mit seinen Sägessen. Gol­druten, Som­mer­flieder, Berufkraut und Robinien sind hier nicht heimisch und ver­hal­ten sich inva­siv. Sie wach­sen und wuch­ern unge­bremst, so dass sie ohne Gegen­wehr bald ein­mal die Wei­den am Aareufer ein­genom­men haben wür­den. Gebildet aus griechisch «neos» und «phy­tos» beze­ich­net der Begriff ursprünglich Pflanzen, die erst nach der Ent­deck­ung Amerikas bei uns heimisch wur­den. Die inva­siv­en Neo­phyten bre­it­en sich stark und schnell aus und ver­drän­gen dabei die ein­heimis­che Flo­ra und wertvollen Leben­sraum für Tiere.

 

Tüm­pel und Teiche gibt es über­all

Mit dem Feiern der «Schöp­fungsZeit» regt der öku­menis­che Vere­in «oeku Kirche und Umwelt» dazu an, solche wertvollen Leben­sräume zu ent­deck­en und zu schützen. Die vom 1. Sep­tem­ber bis 4. Okto­ber 2013 dauernde «Schöp­fungsZeit» ist mit dem Slo­gan «Tropfen, Pfützen, Gurgel­bäche» auf den Leben­sraum Gewäss­er gerichtet. In ihrem Aufruf zum Feiern der Schöp­fungsZeit 2013 weist oeku Kirche und Umwelt darauf hin, dass die Vielfalt des Lebens in den Schweiz­er Gewässern noch immer hoch ist. Sie erwäh­nt aber auch, dass die Kanal­isierung und die inten­sive Nutzung von Flüssen, Bächen, Seen und deren Ufer­zo­nen die Vielfalt des Lebens haben schrumpfen lassen. Nach Ansicht des Bun­de­samtes für Umwelt BAFU soll­ten in der Schweiz rund 10‘800 Kilo­me­ter Fliess­gewäss­er rena­turi­ert wer­den. «In jedem Dorf, in jed­er Stadt gibt es Pfützen, Tüm­pel, Teiche, Bäche, Flüsse und Seen, die ent­deckt wer­den wollen. Indem Kirchge­mein­den und Pfar­reien sich mit Umwelt- und Fis­chereior­gan­i­sa­tio­nen sowie Wasserver­sorg­ern ver­net­zen, kön­nen sie einen Beitrag leis­ten für lebendi­ge Wass­er, wie sie in der Bibel beschrieben wer­den.», regt der Vere­in oeku Kirchge­mein­den zu eige­nen Pro­jek­ten an.

 

Hun­der­prozentig draussen im Ein­satz

«Beim Mähen der Gol­druten han­delt es sich um eine Not­mass­nahme», bemerkt Thomas Zehn­der und seine Helfer nick­en. «Eigentlich müssten wir die inva­siv­en Pflanzen mit samt der Wurzel aus­reis­sen, nur diese Meth­ode ist wirk­lich nach­haltig. Weil aber die Zeit drängt, wer­den sie gemäht, damit sie nicht zum Ver­samen kom­men.» Seit vie­len Jahren inter­essiert sich Thomas Zehn­der für Naturschutz und betreibt ihn in sein­er Wohnge­meinde Frick auch aktiv. «Ursprünglich komme ich beru­flich aus ein­er ganz anderen Ecke», erzählt er. «Nach der Han­delss­chule war ich über elf Jahre in ver­schiede­nen Posi­tio­nen für die Lan­di tätig, danach über 22 Jahre im Rech­nungswe­sen eines Chemie­un­ternehmens.» In den Lan­di-Zeit­en waren All­rounder-Qual­itäten und Impro­vi­sa­tion­stal­ent gefragt. «Genau diese Fähigkeit­en kann ich heute bei der cre­a­NATI­RA, ein­er Tochterge­sellschaft der Pro Natu­ra Aar­gau, voll ausleben. Ich schätze die Arbeit im Feld und komme dabei in wun­der­bare Schutzge­bi­ete im ganzen Aar­gau — auch in solche, die für andere ver­schlossen bleiben.» Das Rüstzeug um seinen Job gut zu machen hat sich Thomas Zehn­der über die Jahre durch Neugierde und ver­schiedene Kurse und Schu­lun­gen geholt. Die Zusam­me­nar­beit mit den Zivil­dien­stleis­ten­den, für die er admin­is­tra­tiv ver­ant­wortlich ist, hält ihn sel­ber jung: «Ich staune oft, wie motiviert die Jungs sind, auch wenn uns die Über­ma­cht der Neo­phyten manch­mal schi­er zu erschla­gen scheint.» Die cre­a­NATI­RA betreut die Schutzge­bi­ete der Pro Natu­ra Aar­gau, führt aber auch im ganzen Kan­ton Aufträge von Drit­ten aus. «Im Som­mer reichen 100 Prozent Ein­satz im Feld nicht, da müssen wir etwas mehr Gas geben», erzählt Thomas Zehn­der. Dass dann nach Feier­abend zu Hause noch einiges an Schreibar­beit erledigt wer­den muss, belastet ihn manch­mal etwas, wie er mit einem Augen­zwinkern zugibt.

 

Grasende und badende Mitar­beit­er

Auf ein­er anderen Wei­de etwas aare­ab­wärts liegen sechs weit­ere Mitar­beit­er von Thomas Zehn­der gemütlich im Gras und lassen sich die Sonne aufs Fell scheinen. Die Wasser­büf­fel wei­den hier und leis­ten damit eben­falls ihren Beitrag an den Unter­halt der Schutzge­bi­ete. «Warum nicht die Pflege der Wei­den denen über­lassen, die sich damit ausken­nen», witzelt Thomas Zehn­der. Die Wasser­büf­fel fressen nicht nur das Gras, son­dern sor­gen mit ihren regelmäs­si­gen Bädern in den Wasser­stellen auch dafür, dass diese nicht ver­schil­fen und so dem bedro­ht­en Laubfrosch und anderen Tieren Raum bieten. «Bio­di­ver­sität», sagt Thomas Zehn­der und deutet auf die Wei­den, «ist heute das Zauber­wort». Die Zusam­men­hänge, die das Gle­ichgewicht in der Tier- und Pflanzen­welt am Wass­er bes­tim­men, sind nicht immer auf den ersten Blick nachvol­lziehbar. So erk­lärt Thomas Zehn­der, warum es keinen Sinn hat, die Neo­phyten am Unter­lauf eines Flusses zu bekämpfen, wenn weit­er oben die Pflanzen ste­hen bleiben:«Wenn am Aareufer in Solothurn das drüsige Springkraut wächst und die Samen mit dem Wass­er bis zu uns gelan­gen, bei Hochwass­er über die Ufer geschwemmt wer­den und hier wach­sen, bringt unsere Arbeit hier wenig.»

 

Nach dem vor­ange­gan­genen Regen­tag haben sich auf dem Kies­platz zwis­chen den Wei­den Rinnsale und Pfützen gebildet. «Das sind Pio­niergewäss­er, in denen zum Beispiel die Gelb­bauchun­ke laicht», sagt der aus­ge­bildete Exkur­sion­sleit­er. Und kaum hat er fer­tig gesprochen, lässt sich tat­säch­lich eine Gelb­bauchun­ke vernehmen. Sie wird nach dem Laichen wieder in ihr Jagdge­bi­et auf­brechen. Die Lar­ven müssen sich schnell entwick­eln, weil die Pfützen, in denen sie geboren wer­den, oft bald aus­trock­nen. So kön­nen sich die Kaulquap­pen vor Fress­fein­den schützen, bevor diese ein Laichgewäss­er besiedeln», erk­lärt Thomas Zehn­der. Lei­der siedeln sich auch die inva­siv­en Neo­phyten gerne in Pio­nierge­bi­eten an. Mit ihrer Sisy­phus-Arbeit trägt die Crew von cre­a­NATI­RA dazu bei, dass die Bio­di­ver­sität — und damit pflan­zlich­es und tierisches Leben — in Fülle erhal­ten bleibt.

Marie-Chris­tine Andres

 

Anlässe zur Feier der Schöp­fungszeit 2013

Zur Feier der Schöp­fungsZeit 2013 lädt die Öku­menis­che Kom­mis­sion «Bewahrung der Schöp­fung» der drei Aar­gauer Lan­deskirchen zu zwei Anlässen ein:

 

Fam­i­lien­gottes­di­enst «Wass­er-Erleben»

Son­ntag, 29. Sep­tem­ber 2013, 9.30 Uhr in der reformierten Kirche in Rein. 

Zum sinnlichen Erleben von Wass­er in Klang, Wort und Nass sind alle her­zlich ein­ge­laden, beson­ders auch die Kinder. Im Anschluss

an die öku­menis­che Son­ntags­feier ste­ht ein Apéro bere­it.

Mitwirk­ende:  Pfr. Urs Klin­gler, reformierte Kirchge­meinde Rein, Pfrn. Bet­ti­na Rahn-Meier, Öku­men. Kom­mis­sion Bewahrung

der Schöp­fung der drei Aar­gauer Lan­deskirchen, Flo­ra Dietik­er, Harfe.

 

Anreise: ÖV: mit Bus 374, Bahn­hof Brugg, Abfahrt 8.06 Uhr, Ankun­ft in Rüfe­nach, Vorder­rein: 8.16 Uhr.

Per Auto: Im Kreisel Lauf­fohr Rich­tung Rüfe­nach, Vorder­rein.

 

Exkur­sion in Kleindöt­tin­gen, Weerd-Auen

Sam­stag, 21. Sep­tem­ber 2013

 

Tre­ff­punkt: Bahn­hof Döt­tin­gen, 13.45 Uhr. Rück­kehr beim Bahn­hof Döt­tin­gen: ca. 17.10 Uhr. 

Führung durch Paul Abt, gross­er Ken­ner und Fotograf der Tier und Pflanzen­welt am Aare Lauf und Kling­nauer Stausee. Auf der Aare-Brücke erhal­ten wir Infor­ma­tio­nen über die Geschichte und die ökol­o­gis­chen Fol­gen des Stausees. Wir bestaunen aareaufwärts in den geschützten Auen und Pfützen im  Weerd die vielfältige Pflanzen- und Tier­welt. Zum abschliessenden Zvieri in Eien sind alle her­zlich ein­ge­laden. Auch für Kinder ein Erleb­nis. Der Anlass find­et ohne Anmel­dung und bei jed­er Wit­terung statt.

 

Auskun­ft: Pfr. Urs Klin­gler, Ref. Pfar­ramt Vil­li­gen, Tel. 056 284 24 25, Pfrn. Bet­ti­na Rahn-Meier, Buchs, Tel. 062 825 01 44

 

 

Vere­in oeku Kirche und Umwelt

Rund 600 Kirchge­mein­den, kirch­liche Organ­i­sa­tio­nen und Einzelper­so­n­en sind Mit­glieder des Vere­ins «oeku Kirche und Umwelt», der 1986 gegrün­det wurde. Heute ist die oeku von der Schweiz­er Bischof­skon­ferenz (SBK) und dem Schweiz­erischen Evan­ge­lis­chen Kirchen­bund (SEK) als Beratung­sor­gan für ökol­o­gis­che Fra­gen anerkan­nt. Der öku­menis­che Vere­in wird von einem ehre­namtlichen Vor­stand geführt und ver­fügt über eine Arbeitsstelle in Bern. Mit dem Leben­sraum Gewäss­er führt die oeku die The­men­rei­he zu den Leben­sräu­men weit­er, die sie 2011 mit dem Wald begonnen und 2012 mit dem Kul­tur­land fort­ge­set­zt hat. Weit­ere vorge­se­hene Leben­sräume sind das Sied­lungs­ge­bi­et (2014) und die Berge (2015). Die Schweiz­er Kirchen empfehlen, dass der Zeitraum zwis­chen dem 1. Sep­tem­ber und 4. Okto­ber dem Gebet für den Schutz der Schöp­fung und der Förderung eines nach­halti­gen Lebensstils gewid­met wird.

 

 

 

 

 

Redaktion Lichtblick
mehr zum Autor
nach
soben