Ostern im Sommer

Im Gegen­satz zu früheren Auf­führun­gen wagt die zeit­genös­sis­che Adap­tion von Paul Stein­mann und Bar­bara Schlumpf einen ver­spiel­ten und muti­gen Umgang mit dem 700 Jahre alten Stück, das im 19. Jahrhun­dert als Hand­schrift in einem Bibelein­band ent­deckt wurde.

«Für all das Böse in der Welt sind wir sel­ber gut genug, da brauchen wir keinen Teufel für», meint eine der ble­ich geschmink­ten Fig­uren auf der einem Spiegel nachemp­fun­de­nen Bühne im Kloster­hof von Muri. «Es gin­ge den Leuten aber bess­er, wenn es den Teufel und eine Hölle gebe», ent­geg­net ihr eine andere. Es wird die Auf­führung des Oster­spiels geprobt. Assis­tentin Tina ver­sucht mit der Truppe einen Durch­lauf, weil der Regis­seur ein­mal mehr abwe­send ist. Immer wieder muss sie ihre Leute zusam­men­stauchen, weil diese nur allzu gern die Sache auf die leichte Schul­ter nehmen und selb­stiro­nisch ihre Rollen reflek­tieren. Eine ver­wirrte ältere Frau stört zudem immer wieder die Proben. Vor etlichen Jahren spielte sie selb­st bei ein­er Auf­führung des Oster­spiels mit. Das Treiben der Akteure auf der Bühne weckt in ihr Erin­nerun­gen an die nicht gelebte Liebe mit dem Jesus­darsteller sein­erzeit.

Far­bige Toten­tanz-Welt
Die tra­di­tionelle Auf­führung eines mit­te­lal­ter­lichen Erbau­ungsspiels mit seinen sal­bungsvollen, mit­tel­hochdeutschen Phrasen find­et heute kaum noch ein Pub­likum. Das scheint auch Autor Paul Stein­mann und Co-Regis­seurin Bar­bara Schlumpf bewusst gewe­sen zu sein. Im 21. Jahrhun­dert ist der Glaube Pri­vat­sache, eine Möglichkeit. Die Kirchen gel­ten als acht­bare Sozial­w­erke, die jedoch mit Miss­brauchsskan­dalen viel Kred­it ver­spielt haben. Jährlich wiederkehrende Sta­tis­tiken über Kirchenaus­tritte sprechen eine klare Sprache: Der kon­fes­sionell christliche Glaube ist im Ver­dun­sten begrif­f­en. Gott, Hölle, Fege­feuer und Aufer­ste­hung sind für die meis­ten Men­schen nur noch abstrak­te Begriffe. Dem muss sich auch das Oster­spiel stellen.«Für die Schule brauche ich keinen Gott», meint die Darstel­lerin der Maria von Mag­dala, eine junge Teenagerin. In Doc Martens-Schuhen beweint sie Jesus, der in einem Con­tain­er beige­set­zt wurde. Pila­tus, der von einem Knaben gespielt wird, ist froh darüber, dass er dank des The­ater­spiels länger auf bleiben kann. Seine Sol­dat­en «bewachen» mit Rechen und Harken das «Grab». Jesus fehlt genau­so wie der Regis­seur, eine «arme Seele» springt als Ersatz ein. Das skur­ril-unter­halt­same Proben­chaos, unter­malt von lüp­figer Klezmer­musik ein­er Live-Band, weiss zu unter­hal­ten und kon­trastiert die Welt der Erin­nerun­gen von Sophie, der alten Frau aus der «Pfle­gi». Ihre Erin­nerun­gen ans «eigene Oster­spiel», an die Liebe zu «ihrem Ernst» gewin­nen schliesslich die Ober­hand. Die Probe ver­wan­delt sich in eine far­bige Toten­tanz-Traumwelt, in welch­er Sophie als das erlebt, was sie gelebt und gerne gelebt hätte.

Gelun­gene Pre­miere
Nach­dem in den Tagen zuvor anhal­tende Nieder­schläge den Aar­gau mehr als gut durchtränkt hat­ten, zeigte Petrus für die Pre­miere des Oster­spiels Muri ein Ein­se­hen und bescherte den 41 Darstel­len­den und 120 frei­willi­gen Helfern vor der bis auf den let­zten Platz gefüll­ten Tribüne einen Traum­start. Die knapp 100-minütige Auf­führung ern­tete begeis­terten Applaus. Der ver­spielte Umgang im ersten Teil des Stück­es ver­mochte zu pack­en, unter­hielt mit Witz und gelun­genen Bildern. Dank dem Ein­satz von Mikro­fo­nen waren die Darstel­lerin­nen und Darsteller bestens zu ver­ste­hen. Der zweite Teil forderte die Zuschauer. Der rote Faden ver­lor sich in ein­er Traumwelt, bot dafür aber Raum für freie Inter­pre­ta­tion und zeigte mutig arrang­ierte Bilder unter Ein­bezug ver­schieden­er Fig­uren-Ensem­bles. Noch bis am 30. August wird das Oster­spiel in Muri jew­eils am Mittwoch, Fre­itag und Sam­stag aufge­führt. Hor­i­zonte begleit­et seine Leserin­nen und Leser am 30. Juli sowie am 6. August im Rah­men ein­er speziellen Leser­ak­tion.

Andreas C. Müller

Redaktion Lichtblick
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