Keine Schnellschüsse, aber doch Satire

Der Präsi­dent der Schweiz­er Bischof­skon­ferenz, Markus Büchel, warnt vor vor­eili­gen poli­tis­chen Entschei­den nach dem Atten­tat auf «Char­lie Heb­do». Die Anschläge in Paris dürften nicht dazu führen, dass in der Schweiz ganze Grup­pen oder Reli­gion­s­ge­mein­schaften stig­ma­tisiert wer­den. Gle­ichzeit­ig stellt sich erneut die Frage nach den Gren­zen der Satire im Umgang mit Reli­gion.Ver­schiedene Schweiz­er Poli­tik­er fordern nach dem Ter­ro­ran­schlag auf die Redak­tion der franzö­sis­chen Satirezeitschrift «Char­lie Heb­do» eine Ver­schär­fung der Geset­zge­bung im Asyl­bere­ich und bei der Überwachung von verdächti­gen Per­so­n­en. Diese Woche berät die Staat­spoli­tis­che Kom­mis­sion des Nation­al­rats auf Antrag der SVP, ob Jihad-Rück­kehrern kün­ftig das Bürg­er­recht ent­zo­gen wer­den kann. SVP-Nation­al­rat Wal­ter Wob­mann vom Egerkinger Komi­tee ver­langte bere­its unmit­tel­bar nach dem Mas­sak­er in Paris, dass die Schweiz ab sofort keine mus­lim­is­chen Flüchtlinge aus Irak und Syrien mehr aufnehmen soll. Selb­st der Grüne Stän­der­at Luc Recor­don fordert jet­zt mehr Mit­tel für die Überwachung verdächtiger Ter­ror­is­ten. Poli­tis­che Reak­tio­nen wollen gut über­legt sein und soll­ten nicht vorschnell als Reak­tion auf dieses tragis­che Ereig­nis fall­en, warnt der Präsi­dent der Schweiz­er Bischof­skon­ferenz. Grund­sät­zlich dürfe es nicht sein, dass «auf­grund der abscheulichen Ver­brechen in Paris ganze Grup­pen oder eine ganze Reli­gion­s­ge­mein­schaft diskri­m­iniert wer­den». Damit wür­den die Werte von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nochmals ver­rat­en.Poli­tis­ch­er Aktion­is­mus bringt nichts Der Chefredak­tor der schweiz­erischen jüdis­chen Zeitschrift «tach­les», Yves Kugel­mann, warnt vor einem «leeren und dum­men Aktion­is­mus». In der Schweiz biete sich die Sit­u­a­tion anders als in Paris an. Sein­er Ansicht nach zeige es die Unbe­darftheit Schweiz­er Poli­tik­er, wenn sie mit ein­er solchen Sit­u­a­tion wie dem Atten­tat in Paris kon­fron­tiert sind. Kugel­mann regt an, die Resul­tate der Unter­suchun­gen durch die franzö­sis­chen Behör­den abzuwarten und sich erst dann in der Schweiz in eine sach­lich fundierte Diskus­sion einzu­lassen. Im Namen des Schweiz­erischen Rates der Reli­gio­nen hat sich dessen Vor­sitzen­der, Hisham Maizar, bere­its zutief­st schock­iert über den mörderischen Anschlag auf die Redak­tion der Satirezeitschrift «Char­lie Heb­do» vom ver­gan­genen Mittwoch in Paris geäussert. Der Rat ste­he voll und ganz hin­ter der Presse‑, Kun­st- und Mei­n­ungsäusserungs­frei­heit und verurteile den Anschlag aufs Schärf­ste, so Hisham Maizar. Der Rat hofft, dass der Reli­gions­frieden in der Schweiz und auf der Welt mit diesem feigen Anschlag nicht gefährdet werde. Er bit­tet «alle besonnenen Kräfte sich dafür einzuset­zen, dass durch dieses Ereig­nis kein Keil zwis­chen die Reli­gio­nen getrieben wer­den kann».Gren­zen der Satire Doch was darf Satire und was nicht? «Satire darf jedes The­ma auf­greifen, auch die Reli­gion», sagt Urban Fed­er­er, Abt des Klosters Ein­siedeln. Denn Satire mache auf wunde Punk­te und Missstände aufmerk­sam. «Diese wun­den Punk­te gibt es auch bei Kirchen und Reli­gion­s­ge­mein­schaften». Den­noch müssten gute Satirik­erin­nen und Satirik­er merken, so Fed­er­er, «wann die Gren­ze zur Geschmack­losigkeit über­schrit­ten wird» – beispiel­sweise, wenn Satire Men­schen ver­höhne, nur weil sie gläu­big seien oder eine andere Haut­farbe hät­ten. Auch für den Kapuzin­er Willi Ander­au muss Satire nicht vor religiösen Gefühlen Halt machen. Diese näm­lich seien «sehr sub­jek­tiv: Irgend­je­mand ist immer irgend­wo ver­let­zt». Willi Ander­au appel­liert deshalb an die Ver­ant­wor­tung des Autors, der sich fra­gen müsse, was er mit sein­er Satire aus­lösen wolle: «Richtet er sein satirisches Ver­grösserungs­glas auf Missstände oder macht er sich über humane oder religiöse Werte lustig?»Sich in religiöse Men­schen hinein­denkenFür Ingrid Grave, Dominikaner­in, hat Satire Gren­zen. «Wenn man Satire macht, soll man sich auch in religiöse Men­schen hinein­denken und sich fra­gen: Was kön­nte sie ver­let­zen?». Ingrid Grave selb­st ken­nt das Gefühl, in ihren religiösen Gefühlen ver­let­zt zu wer­den: «Wenn ich spüre, dass jemand sich über meinen Glauben amüsiert und diesen lächer­lich macht, ver­let­zt mich das». Als Beispiel nen­nt sie einen Artikel, den sie kür­zlich gele­sen hat, in welchem es um die Entste­hung der Welt ging. «Die Wis­senschaft sagt, dass die Welt ganz anders ent­standen ist, als es in der bib­lis­chen Schöp­fungs­geschichte ste­ht. Der Artikel stellte die Chris­ten pauschal als naive Men­schen dar, die nun ein Prob­lem hät­ten. Da wird man als gläu­bige Christin für dumm verkauft.» Auch Willi Ander­au und Urban Fed­er­er wis­sen um die Ver­let­zlichkeit der eige­nen religiösen Gefüh­le. Satire könne seine religiösen Gefüh­le dann ver­let­zten, wenn sie bil­lig sei und der Hin­ter­grund zu wenig recher­chiert wurde, weil die Satirik­er «mit der Meute heul­ten», sagt Willi Ander­au, und Urban Fed­er­er dop­pelt nach: «Wenn Satire meinen Glauben lächer­lich macht, ohne auf Missstände hinzuweisen, ein­fach belei­digt um der Effek­thascherei willen, dann kann sie mich ver­let­zen.»Georges Scher­rer und Sylvia Stam/acm 
Andreas C. Müller
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