Mit neuen Impulsen aus der Krise finden

Mit neuen Impulsen aus der Krise finden

  • Die finanziellen Ein­bussen für die Kirche scheinen nach zwei Coro­n­a­jahren weniger schlimm zu sein als erwartet.
  • Schw­er wiegen hinge­gen die Ein­flüsse der Coro­na­mass­nah­men auf das Pfar­reileben.
  • Doch mit Phan­tasie, dig­i­tal­en Hil­f­s­mit­teln und viel Engage­ment find­et christliche Gemein­schaft trotz­dem statt.

Kam­era läuft, Film ab! So oder ähn­lich tönte es vor Heili­ga­bend in der Pfar­rkirche Stein. Der Kinder- und Jugend­chor probte ein let­ztes Mal das Wei­h­nachtsmu­si­cal. Anschliessend tru­gen zwei ehre­namtliche Pfar­reiange­hörige und die Seel­sorg­er ver­schiedene besinnliche Texte vor. Stets mit dabei, das Filmteam Bjarne und Fridolin. Die bei­den Jugendlichen filmten alle Szenen, bis der ganze Wei­h­nachts­gottes­di­enst im Kas­ten war. Danach schnit­ten sie ihre Auf­nah­men am Com­put­er zu einem Film zusam­men, der am 24. Dezem­ber an alle Abon­nen­ten der What­sApp-Gruppe des Seel­sorge­ver­ban­des Eiken-Stein ver­schickt und zusät­zlich auf die Web­site des Seel­sorge­ver­ban­des hochge­laden wurde.

Video und WhatsApp

Spätestens mit der Coro­n­akrise hat die Videotech­nik im Seel­sorge­ver­band Eiken-Stein Einzug gehal­ten. Eben­falls aus der Coro­nan­ot geboren war zum Beispiel der Son­ntagsim­puls als Ersatz für die während des Lock­downs aus­ge­fal­l­enen Gottes­di­en­ste. Jedes Woch­enende wur­den über What­sApp Lesun­gen aus der Bibel, Gebete, Lieder und eine kurze Predigt an rund hun­dert Abon­nen­ten aus den vier Gemein­den Eiken, Münch­wilen, Sis­seln und Stein und dem weit­eren Umfeld ver­schickt.

In diesem Pro­jekt engagierten sich das Seel­sor­geteam, die Sekretärin­nen und die Kirchen­musik­erin gemein­sam. Auch die Erstkom­mu­nion­feiern wur­den auf Video fest­ge­hal­ten. Wegen des hohen Besucheran­drangs entschloss man sich dazu, die fes­tlichen Messen an zwei Ter­mi­nen je zweimal durchzuführen. Bei der Fir­mung entsch­ied man sich für vier Fir­m­gottes­di­en­ste am sel­ben Tag.

Digitale Kanäle für alle

Wie eine Onlineum­frage in der What­sApp-Gruppe des Seel­sorge­ver­ban­des Eiken-Stein ergeben hat, sind 22 Prozent der erre­icht­en Per­so­n­en unter 50 und 41 Prozent über 70 Jahre alt. «Dies zeigt, dass ein­er­seits ein für kirch­liche Begriffe ‹jün­geres› Pub­likum ange­sprochen wurde, ander­er­seits aber auch viele ältere Per­so­n­en über dig­i­tale Kanäle zu erre­ichen waren», sagt die Pfar­reiseel­sorg­erin Christi­na Kessler. Die meis­ten von ihnen haben sich den Impuls, gemäss Umfrage, an allen Sonn- und Feierta­gen angeschaut.

«Die spon­tane Ini­tia­tive der Son­ntagsim­pulse war während der Coro­n­azeit ein sehr wichtiger Kanal für die Seel­sorge und hat viele Men­schen erre­icht», zieht Kessler Bilanz und spricht von ein­er «inno­v­a­tiv­en Form zeit­gemäss­er Spir­i­tu­al­ität», für die es auch nach Coro­na einen Bedarf gebe. «Uns fehlen zwar die zeitlichen Kapaz­itäten, den Impuls in der bish­eri­gen Form weit­erzuführen, doch die Erfahrun­gen, die wir machen durften, gehen nicht ver­loren.»

Krise als Chance

Die Coro­n­akrise hat sich­er in allen Pas­toral­räu­men und Kirchge­mein­den dieses Lan­des ihre Spuren hin­ter­lassen. Sie hat aber auch Neues ins Leben gerufen, das vorher in dieser Form vielle­icht nicht denkbar gewe­sen wäre. Im Pas­toral­raum am Mutschellen etwa wur­den die Gottes­di­en­ste während des Lock­downs eben­falls gestreamt und auf dem eige­nen Youtubekanal veröf­fentlicht, wie Pas­toral­raum­leit­er Robert Wein­buch berichtet.

Auf der Web­site des Pas­toral­raumes kon­nte im ver­gan­genen Advent jeden Tag ein neues Türchen geöffnet wer­den. Dahin­ter ver­bar­gen sich Kochrezepte, Lieder, Gebete und viele weit­ere Impulse, die das Seel­sor­geteam vor­bere­it­et hat­te. Alles andere als alltäglich war auch die Aktion «Rent a Priest»: Wer wollte, kon­nte einen Seel­sorg­er für einen Wei­h­nachts­gottes­di­enst im Fam­i­lien- und Fre­un­deskreis «mieten».

Interview mit dem Samichlaus

[esf_wordpressimage id=36293 width=half float=right][/esf_wordpressimage]Im Advent 2021 wur­den auf dem Vor­platz der Kirche, auf dem Schul­weg und in anderen öffentlichen Räu­men Plakate mit QR-Codes ange­bracht. Wer diese öffnete, erhielt Bastelvorschläge, ein Inter­view mit dem heili­gen Niko­laus oder andere Impulse zum Advent. «Auch wenn die Nutzerzahlen nicht so hoch waren, erhiel­ten wir doch einige sehr pos­i­tive Rück­mel­dun­gen», freut sich der Pas­toral­raum­leit­er.

Über hun­dert Inter­essierte erhal­ten immer noch regelmäs­sig Impulse in der What­sApp-Gebets­gruppe. Auch ausser­halb von Liturgie und Spir­i­tu­al­ität set­zt die Kirche am Mutschellen neue Impulse: «Wir haben während des Lock­downs dabei mit­ge­holfen, einen Einkaufs­di­enst aufzubauen, und unser kirch­lich­er regionaler Sozial­dienst unter­stützt ger­ade auch in dieser Krisen­zeit viele Men­schen in Not», ergänzt Wein­buch.

Neue Kompetenzen entwickeln

Für Han­srue­di Huber, Medi­en­sprech­er des Bis­tums Basel, hat die Coro­n­akrise gezeigt, «dass wir ver­let­zlich sind und unsere gewohnte ‹Nor­mal­ität auf hohem Niveau› keine Selb­stver­ständlichkeit ist». Zum einen wur­den neue Kom­pe­ten­zen entwick­elt, ins­beson­dere in der dig­i­tal­en Kom­mu­nika­tion oder bei Liveüber­tra­gun­gen, zum andern sehen sich Seel­sorge und Sozialar­beit der Kirche stärk­er mit Armut, famil­iären Kon­flik­ten und Men­schen kon­fron­tiert, die unter Äng­sten lei­den. «Wir haben in den let­zten zwei Jahren gel­ernt, unsere Ange­bote flex­i­bler und sit­u­a­tion­s­gerechter zu gestal­ten», sagt Huber.

Spezialseelsorge versärkt

Als grössten Ver­lust, der durch die Coro­n­akrise aus­gelöst wurde, beze­ich­net Luc Hum­bel, Präsi­dent des Kirchen­rates der Römisch-Katholis­chen Kirche im Aar­gau, die eingeschränk­ten Kon­tak­t­möglichkeit­en. Die Lan­deskirche habe sich stets bemüht, Ange­bote nicht zu stre­ichen und den Kon­takt zu den Gläu­bi­gen aufrechtzuer­hal­ten. Dies habe sich bewährt: «Der zusät­zliche Aufwand lohnt sich für alle Beteiligten. Bei der Spezialseel­sorge mussten die Ange­bote sog­ar ver­stärkt wer­den», erk­lärt Hum­bel. So habe zum Beispiel die Nach­frage nach Seel­sorge in den Spitälern stark zugenom­men.

Für Robert Wein­buch ist die Präsenz der Kirche ger­ade wegen der Coro­n­akrise vielfältiger gewor­den: «Wir ste­hen mit den Men­schen über andere Kanäle mehr in Kon­takt, dazu gehören unter anderem län­gere Tele­fonge­spräche, in denen die Men­schen über ihre Äng­ste und Sor­gen sprechen.»

Mehr Einnahmen bei Opferkerzen

Welche Spuren hat die Coro­n­akrise in finanzieller Hin­sicht bish­er hin­ter­lassen? «Die Kollek­ten sind eher zurück­ge­gan­gen, dafür wur­den mehr Kerzen angezün­det, weil wegen der Krise offen­bar mehr Men­schen indi­vidu­ell für eine Med­i­ta­tion oder ein Gebet in die Kirche kom­men», berichtet Han­srue­di Huber.

Im Pas­toral­raum am Mutschellen sind die Ein­nah­men aus Kollek­ten laut Robert Wein­buch «mas­siv» zurück­ge­gan­gen; vielle­icht auch deswe­gen, weil die Kör­bchen nicht mehr herumgere­icht wer­den. Auf Ebene Lan­deskirche geht Luc Hum­bel nicht davon aus, dass mehr Leute auf­grund der Coro­n­a­sit­u­a­tion aus der Kirche aus­treten, denn: «Unsere Ange­bote wer­den in schwieri­gen Zeit­en eher stärk­er geschätzt. Zudem sind die Kirchen­s­teuern ja einkom­mens­ab­hängig.»

Ste­ht der Kirche jet­zt das gefürchtete Jan­u­ar­loch bevor? «Nein», betont Robert Wein­buch mit Blick auf die anste­hen­den Arbeit­en, «wir laufen alle am Lim­it, denn allein die Coro­naschutzkonzepte stellen uns vor grosse Her­aus­forderun­gen.» Und auch wenn sich Seel­sorg­er und Gläu­bige nach den gewohn­ten Abläufen von früher sehn­ten, so wolle man am Mutschellen kün­ftig doch die eine oder andere «Coro­n­ain­no­va­tion» ins nor­male Pas­toral­pro­gramm aufnehmen.

Christian Breitschmid
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