Wo Bischö­fe zu Akten werden

  • Es gibt hier weder Hin­wei­se auf ver­nich­te­te Akten noch ver­schlos­se­ne Schrän­ke: Das Archiv des Bis­tums Basel erhält in der Miss­brauchs­stu­die gute Noten. 
  • Doch der Com­pu­ter macht das Archi­vie­ren immer anspruchsvoller.
  • Ein Besuch im Bis­tums­ar­chiv in Solothurn.

Als die Uni­ver­si­tät Zürich am 12. Sep­tem­ber die Pilot­stu­die zur Geschich­te des sexu­el­len Miss­brauchs im kirch­li­chen Umfeld ver­öf­fent­lich­te, rich­te­te sich der Blick auch auf die kirch­li­chen Archi­ve. Die bis heu­te gül­ti­gen Bestim­mun­gen zur Akten­ver­nich­tung behin­der­ten nicht nur die For­schung, heisst es in der Stu­die, son­dern könn­ten auch «dra­ma­ti­sche Aus­wir­kun­gen auf die Betrof­fe­nen» haben, die ihre Akten nicht mehr oder nur unvoll­stän­dig ein­se­hen könnten.

Kei­ne Dos­siers vernichtet

Tat­säch­lich hält Canon 489 des Kir­chen­rechts fest: «Jähr­lich sind die Akten der Straf­sa­chen in Sitt­lich­keits­ver­fah­ren, deren Ange­klag­te ver­stor­ben sind oder die seit einem Jahr­zehnt durch Ver­ur­tei­lung abge­schlos­sen sind, zu ver­nich­ten; ein kur­zer Tat­be­stands­be­richt mit dem Wort­laut des End­ur­teils ist auf­zu­be­wah­ren.» Das Kir­chen­recht ver­langt auch ein Geheim­ar­chiv, in dem die geheim­zu­hal­ten­den Doku­men­te «mit gröss­ter Sorg­falt» auf­zu­be­wah­ren sein. Rolf Fäs bedau­ert, dass es die­se Bestim­mun­gen noch gibt. Er, seit 2001 Archi­var des Bis­tums Basel in Solo­thurn, ver­si­chert, noch kein Dos­sier ver­nich­tet zu haben. Das sei auch unter sei­nen Vor­gän­gern nicht gesche­hen. [esf_wordpressimage id=47984 width=half float=right][/esf_wordpressimage]

Zudem hat der Begriff Geheim­ar­chiv für Fäs nichts mit Ver­ber­gen oder Ver­tu­schen zu tun. Er legt ihn so aus, dass es der Kir­che beim Erlass die­ser Bestim­mung vor­ab um Per­sön­lich­keits­rech­te ging. «Heik­le Unter­la­gen muss­ten schon immer vor unbe­fug­tem Zugriff geschützt wer­den.» Ob dies damals die Absicht war, ist heu­te einer­lei. Fäs erin­nert sich an einen ein­zi­gen Schrank, der bei sei­nem Stel­len­an­tritt als Geheim­ar­chiv bezeich­net wor­den sei. Die­sen gibt es längst nicht mehr, der Inhalt wur­de vor 20 Jah­ren in das regu­lä­re Archiv über­führt. Der «geson­der­te Bestand», von dem die Stu­die spricht – Akten von beschul­dig­ten und ver­ur­teil­ten Prie­stern – besteht aus fünf Kar­ton­schach­teln, die auf einem Regal neben Dut­zen­den wei­te­rer Schach­teln mit Per­so­nal­do­s­siers lagern. Um ein genaue­res Bild über die Miss­brauchs­fäl­le im Bis­tum Basel zu erhal­ten, müss­ten die­se alle noch durch­for­stet werden.

Schrank an Schrank

Rolf Fäs, der Histo­ri­ker, und sei­ne Mit­ar­bei­te­rin Alex­an­dra Mütel, die Kunst­ge­schich­te und Archiv­wis­sen­schaft stu­diert hat, sind gespannt, was die Fort­set­zung der Stu­die noch zuta­ge beför­dert. Das Bis­tums­ar­chiv erhält schon in der Pilot­stu­die gute Noten. Die Ver­fas­se­rin­nen und Ver­fas­ser rüh­men den «voll­stän­di­gen und unkom­pli­zier­ten Zugang». Die Archiv­räu­me ent­sprä­chen den höch­sten Stan­dards der Auf­be­wah­rung». Nach dem Um- und Neu­bau vor vier Jah­ren lagern die Bestän­de vor allem in zwei Kel­ler­räu­men. Hier ist es per­ma­nent 17 Grad kühl bei 43 Grad Luft­feuch­tig­keit, Roll­schrank reiht sich an Roll­schrank. Fäs und Mütel suchen die­sen Ort nur auf, wenn sie alte Unter­la­gen brau­chen, die noch nicht digi­ta­li­siert sind. [esf_wordpressimage id=47983 width=half float=left][/esf_wordpressimage]

Ein paar Lauf­me­ter Röschenz

Das Bis­tums­ar­chiv ist für die Über­lie­fe­rung des Schrift­guts der bischöf­li­chen Ver­wal­tung seit 1828 zustän­dig. In jenem Jahr wur­de das Bis­tum Basel neu umschrie­ben und der Bischofs­sitz nach Solo­thurn ver­legt. Es gibt zum Bei­spiel vie­le Rega­le zur «Kir­chen­ge­schich­te Schweiz», es fin­den sich ein paar Lauf­me­ter «Rös­chenz» und ein Schrank ist mit «Bestand Dom­ka­pi­tel» ange­schrie­ben. An der Beton­wand hän­gen die gemal­ten Por­träts der Bischö­fe von Streng, Häng­gi und Wüst. Wie viel das alles aus­macht? Fäs weiss es nicht. Nur noch, dass beim Neu­bau von drei bis vier Kilo­me­tern Rega­len die Rede gewe­sen sei. Ziel­si­cher greift  er dann die Schach­tel mit der Urkun­de her­aus, mit der Papst Leo XII. am 7. Mai 1828 die Wie­der­her­stel­lung und Neu­um­schrei­bung des Bis­tums Basel bestä­tig­te. [esf_wordpressimage id=47981 width=half float=right][/esf_wordpressimage]

Der­weil zeigt Mütel aus einem Kar­ton mit neue­ren Bestän­den ein Schrei­ben besorg­ter Katho­li­kin­nen und Katho­li­ken aus einer Ber­ner Dia­spo­ra-Pfar­rei von 1966, in der die­se beim dama­li­gen Bischof Fran­zis­kus von Streng den Weg­gang ihres «hoch­ver­dien­ten Herrn Pfar­rers» beklag­ten. Das eine Doku­ment ist ein gesie­gel­tes Per­ga­ment, das ande­re ein getipp­ter Brief auf dün­nem Papier. «Bei­de sind gleich wert­voll», betont Mütel. Man­che Leu­te däch­ten beim Stich­wort Archiv nur an alte Ver­trä­ge und der­glei­chen. Doch ein Gesche­hen der­einst nach­voll­zieh­bar zu machen, hängt nicht von der Form ab, son­dern von der Auf­be­wah­rung selbst und der Ordnung.

Was digi­tal archivieren?

In die­ser Hin­sicht wird es frei­lich immer anspruchs­vol­ler. «Je näher wir der Gegen­wart sind, desto mehr», sagt Mütel. Will heis­sen: «Wir kämp­fen mit der Mas­se», erklärt Fäs. Seit das Bis­tum vor gut fünf Jah­ren begon­nen hat, die lau­fen­de Abla­ge nur noch elek­tro­nisch zu füh­ren, stellt sich die Fra­ge täg­lich: Wel­che E‑Mail muss gespei­chert, wel­ches Doku­ment wo abge­legt und mit wel­chem Schlag­wort ver­se­hen wer­den? Das ist ent­schei­dend, wenn nach zehn Jah­ren ein Dos­sier aus der lau­fen­den Abla­ge ins neue digi­ta­le Archiv über­führt wer­den soll.

Das Bewusst­sein schärfen

2028 wird dies erst­mals der Fall sein. Weil bis dahin die Tech­nik noch Fort­schrit­te machen wird, wis­sen sie noch nicht, wie sie dann vor­ge­hen wer­den. Sicher ist bloss: Der Com­pu­ter nimmt Arbeit ab, aber kei­ne Ent­schei­de. Die Mit­ar­bei­ten­den blei­ben selbst ver­an­wort­lich dafür, was abge­legt wird – und der­einst archi­viert. Fäs muss das Bewusst­sein dafür immer wie­der schär­fen. «Wir stüt­zen uns heu­te auf die alten Unter­la­gen. Sol­len unse­re Nach­kom­men sich der­einst auf die Unter­la­gen von heu­te stüt­zen kön­nen, müs­sen die­se von Beginn weg rich­tig abge­legt werden.»

Marie-Christine Andres Schürch
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