Mit «feu sacré» für Respekt und eine starke Schweiz
Doris Leuthard im Gespräch mit Hans Strub in der Sebastianskapelle Baden.
Bild: © Marie-Christine Andres

Mit «feu sacré» für Respekt und eine starke Schweiz

Doris Leuthard eröffnete die Gesprächsreihe «DispuTALK» in Baden

Wo vor fünfhundert Jahren Reformierte und Katholiken über den rechten Glauben debattierten, sprechen bis im nächsten Mai Schweizer Persönlichkeiten über Frieden, Hoffnung, Zukunft und Liebe. Den Auftakt zur Gesprächsreihe «DispuTALK» machte am Dienstag, 28. Oktober, die ehemalige Bundesrätin Doris Leuthard.

Promi­nen­ter Besuch lock­te am Dien­stag, 28. Okto­ber, kurz nach Feier­abend eine grosse Zahl Men­schen in die Sebas­tian­skapelle in Baden. Im Vor­feld zum offiziellen Fes­takt «500 Jahre Baden­er Dis­pu­ta­tion», der für den 31. Mai 2026 geplant ist, find­en dort im Vierzehn­tage-Rhyth­mus Gespräche mit bekan­nten Schweiz­er Per­sön­lichkeit­en zu den vier grossen Leit­the­men Frieden, Hoff­nung, Zukun­ft und Liebe statt.

Zum Auf­takt der Gespräch­srei­he «Dis­puTALK» durfte der Mod­er­a­tor, The­ologe Hans Strub, die ehe­ma­lige Bun­desrätin Doris Leuthard emp­fan­gen. Sie bildet zusam­men mit Regierungsrätin Mar­ti­na Bircher und dem Baden­er Stad­tam­man Markus Schnei­der das Schir­m­gremi­um des Jubiläum­spro­jek­ts.

Prophetische Worte vor sieben Jahren

Hans Strub ver­wies zu Beginn des Gesprächs auf Leuthards Abschied­srede als Bun­desrätin, die sie am 5. Dezem­ber 2018 vor der vere­inigten Bun­desver­samm­lung hielt. Er hielt fest: «Die Rede dauerte 7 Minuten und 15 Sekun­den. In dieser Zeit hat Frau Leuthard mehr gesagt, als der Prophet Jere­mia in den ersten zehn Kapiteln.» Leuthards Worte, die sieben Jahre zurück­liegen, muten aus heutiger Sicht tat­säch­lich prophetisch an. Sie warnte davor, dass regel­basierte Abmachun­gen an Gewicht ver­lören und die Macht­poli­tik an Ruhm gewinne. Die Schweiz als kleines Land, das auf die Ein­hal­tung von Regeln angewiesen sei, müsse ihre Inter­essen inter­na­tion­al ein­brin­gen und die Zusam­me­nar­beit mit gle­ich­gesin­nten Staat­en suchen, betonte sie damals.

Aktivere Rolle des Bundesrats

Die heutige Welt­lage bestätigt diese Ein­schätzung: «Die Schweiz ist auf den Schutz durch Regelun­gen angewiesen. Wenn nicht mehr klar ist, was gilt, ist das für ein kleines Land sehr schwierig. Das bedeutet Unsicher­heit. Ich mache mir dur­chaus Sor­gen», sagte Doris Leuthard in Baden. Die Schweiz müsse aktiv in die andere Rich­tung steuern. Leuthard erk­lärte, dass sie sich dabei eine akti­vere Rolle des Bun­desrates wün­sche: «Es würde den Men­schen im Land helfen, wenn der Bun­desrat Stel­lung nähme zum Welt­geschehen, Ereignisse mit klaren Worten einord­nen, Prob­leme benen­nen und mögliche Lösun­gen zur Diskus­sion stellen würde – wir müssen disku­tieren, ‹dis­putare›, wie anno dazu­mal.»

Diskutieren heisst gemeinsam weiterkommen

Die ehe­ma­lige Bun­desrätin gilt als beg­nadete Kom­mu­nika­torin, und sie rief im Gespräch mit Hans Strub dazu auf, mehr miteinan­der zu sprechen. «Oft sind die Mei­n­un­gen schon gemacht, das ist schade. Wir soll­ten ver­suchen, gemein­sam weit­erzukom­men. Vielle­icht hat mein Gesprächspart­ner gute Argu­mente. Es geht nicht darum, die eigene Mei­n­ung zu hun­dert Prozent durchzuset­zen, son­dern sich zusam­men­zu­raufen.» So ver­ste­he sie auch den Begriff «kol­le­gial», der die bun­desrätliche Zusam­me­nar­beit beze­ichne: «Kol­le­gial bedeutet, einan­der respek­tvoll zuzuhören, auch mal nachzu­denken, sich zu hin­ter­fra­gen und manch­mal auch dem Anderen rechtzugeben.»

Mit einem «feu sacré» für seine Anliegen kämpfen

Dem Leit­satz des ehe­ma­li­gen Bun­desrats Willi Ritschard «Regieren heisst erk­lären», stimmte Doris Leuthard zu. Eine Bun­desrätin oder ein Bun­desrat müsse aber vor allem auch Entschei­dun­gen tre­f­fen kön­nen, oft unter Zeit­druck und ohne die let­zten Details abschätzen zu kön­nen, denn: «Unsicher­heit ist Gift.» Und wenn eine Sache entsch­ieden sei, heisse es, dafür zu kämpfen: «Ich plädiere dafür, mit dem Herz zu operieren, mit einem feu sacré. Wenn Sie ver­liebt sind, müssen sie auch kämpfen. Und Poli­tik hat mit Liebe zum Vater­land zu tun.»

Sich der Gefahr bewusst werden

Für die eige­nen Werte und die eigene Sicher­heit einzuste­hen, sei in der jet­zi­gen Lage wichtig, betonte Leuthard. «Die Sit­u­a­tion in Europa ist so gefährlich wie schon lange nicht mehr. In der Schweiz scheint man das nicht wahrzunehmen. Ich möchte nicht Angst machen, aber wir müssen uns gut über­legen, wie wir uns sicher­heit­spoli­tisch auf­stellen. Die Welt­lage wird uns noch länger beschäfti­gen. Es ist wichtig, dass das The­ma Sicher­heit wieder auf der Agen­da ste­ht.»

«Auch der Papst könnte etwas sagen»

Putin, Netan­jahu und Co. wer­den nicht so rasch aufgeben, ist sich Doris Leuthard sich­er. Und noch etwas musste sie loswer­den: Die selb­s­ther­rlichen Anführer seien ja lei­der meis­tens Män­ner: «Deshalb bin ich für mehr Frauen als Staat­spräsi­dentin­nen!». Kaum gesagt, fiel Leuthard ein weit­er­er mächtiger Mann ein: «Und der Papst kön­nte auch etwas sagen, er ist im Moment noch sehr diskret.»

Die Gesellschaft muss Verantwortung übernehmen

Her­zlich lachen musste die ehe­ma­lige Bun­desrätin auf die Frage, ob sie im Amt mit ungerecht­fer­tigter neg­a­tiv­er Kri­tik kon­fron­tiert gewe­sen sei. «Ja! Als Mit­glied des Bun­desrats, beson­ders als Frau, war ich immer wieder neg­a­tiv­er Kri­tik aus­ge­set­zt. Damit lernt man zum Glück ein Stück weit umzuge­hen.» Der ver­ant­wor­tungsvolle Umgang mit dig­i­tal­en Medi­en und das Vor­leben von Respekt und Anstand seien eine Auf­gabe unser­er Gesellschaft. Sie finde es super, dass der Aar­gau mit einem Handyver­bot an Schulen vor­ange­he, sagte Doris Leuthard. Sie sprach sich dezi­diert dafür aus, gegen Has­skom­mentare in Online­foren und auf Social Media vorzuge­hen. Es sei zu über­legen, ob und wie die Regeln des Per­sön­lichkeitss­chutzes auch auf die sozialen Medi­en angewen­det wer­den kön­nen – über die Schweiz hin­aus. Per­sön­lichkeitsver­let­zende Aus­sagen in sozialen Medi­en sollen sank­tion­iert wer­den kön­nen, denn es nütze nichts, nur darüber zu sprechen: «Ethik muss man leben.»

Die Baden­er Dis­pu­ta­tion im Jahr 1526 war ein his­torisch­er Meilen­stein für den Dia­log zwis­chen den Kon­fes­sio­nen in der Schweiz. Die Gespräche über die the­ol­o­gis­chen Wahrheit­en und Glaubens­grund­la­gen fan­den während drei Wochen im Mai und Juni 1526 in der Baden­er Stadtkirche statt, Teil­nehmer waren Vertreter der 13 Alten Orte der Eidgenossen­schaft sowie The­olo­gen aus dem In- und Aus­land. Zur 500-Jahr-Feier der Baden­er Dis­pu­ta­tion organ­isieren die Reformierte Kirche Baden plus und die Katholis­che Kirchge­meinde Baden-Ennet­baden ein umfan­gre­ich­es Jubiläum­spro­gramm unter dem Titel «Disput(N)ation». Das Pro­jekt will Geschichte lebendig machen, den Dia­log in der Gesellschaft stärken und ver­schieden­ste Men­schen ein­binden.

Marie-Christine Andres Schürch
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