«Vertrauensvoll vorwärtsgehen»
- Seit zehn Jahren leitet Bernhard Lindner Pilgerreisen im In- und Ausland.
- Das Pilgern erlebte in den vergangenen Jahren einen wahren Boom — im Jahr 2017 verzeichnete das Pilgerbüro in Santiago de Compostela mit 301’036 Pilgern einen neuen Rekord.
- Das aktuelle Pilger-Programm von Bildung und Propstei sucht die Wege abseits des grossen Rummels.
Bernhard Lindner, auf der Ausschreibung des diesjährigen Pilgerprogramms von Bildung und Propstei bezeichnen Sie sich selber als «Lebenspilger». Was bedeutet das?
Bernhard Lindner: Das optimistische, vertrauensvolle Vorwärtsgehen ist eine Lebenseinstellung, die mir gefällt. Pilgern ist für mich das beste Sinnbild fürs Leben: Beim Pilgern gehen wir jeden Tag und lernen den Moment, das Heute, schätzen. Jeder Tag ist kostbar. Auch im Leben kann man nicht zurückgehen. Und man kommt auch nie wieder an den gleichen Ort zurück, an dem man gestartet ist. Kehrt man nämlich zurück, hat sich der Ort verändert. Bei einer Pilgerreise stellt sich auch die Frage: was nehme ich mit? Was brauche ich wirklich?
Dann beginnt das Pilgern also schon beim Packen?
Ja, das gehört zu dieser Lebensschule. Es braucht ja eigentlich so wenig! Essen, Trinken, einen Schlafplatz, Gesellschaft, Natur. Immer wieder aufzubrechen, bewusst zu gehen, ist eine Einladung über das wirklich Notwendige im Leben nachzudenken.
Dieses Reduzierte, Einfache scheint immer mehr Menschen anzusprechen. Das Pilgerbüro in Santiago de Compostela verzeichnete im vergangenen Jahr mit über 300’000 ankommenden Pilgern einen neuen Rekord.
Ich bin insgesamt schon vier Mal in Santiago de Compostela angekommen. Und auch ich hatte das Gefühl, dass die Stadt letztes Jahr recht belebt war und die Pilgermesse sehr voll. Man konnte aber auch da seine ruhigen Momente finden, zum Beispiel frühmorgens in der leeren Kathedrale.
Wie ist es unterwegs auf dem Jakobsweg? Spürt man da den Pilgerboom?
In den letzten drei, vier Tagen vor Santiago wird es auch auf den Wegen voller. Ich finde es aber schwierig, mich über andere Pilger aufzuregen, weil ich ja selber mit einer Gruppe unterwegs bin. Mit den Unterkünften jedenfalls hatte ich noch nie nennenswerte Probleme, ausser am Start- und Zielort reserviere ich nie im Voraus.
Und das hat bis jetzt immer funktioniert?
Ja. Ich sehe das auch als Chance, das Vertrauen und Sich-Einlassen zu üben. Es gibt manchmal Leute in der Gruppe, die es nervös macht, am Mittag noch nicht zu wissen, wo sie übernachten. Aber ich finde das eine gute Übung.
Im aktuellen Pilgerprogramm von Bildung und Propstei kündigen Sie Pilgererlebnisse «fernab des Mainstreams» an. Ist das eine Reaktion auf die steigenden Pilgerzahlen?
In erster Linie habe ich für mich selber überlegt, was ich gerne Neues machen möchte. Ich erwarte aber schon, dass die Strecke einsamer sein könnte. Vielleicht ist das eine Reaktion auf den Pilger-Hype. Jedoch möchte ich diesen nicht verurteilen, es ist ja schön, wenn Menschen sich vom Jakobsweg ansprechen lassen.
Was erwartet die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf dem Jakobsweg durch Frankreich von Vezelay nach Saint-Jean-Pied-de-Port und auf dem spanischen Teilstück von Sevilla nach Cáceres?
Wir gehen über alte Wege in einer alten Kulturlandschaft. Vezelay, der Ausgangspunkt der Pilgerreise im Juli, liegt im Burgund, einer faszinierenden Landschaft mit grossartigen romanischen Kirchen. In Andalusien bin ich gespannt, wie sich die muslimischen, osmanischen Einflüsse bemerkbar machen.Und schliesslich erwartet die Teilnehmenden auch eine Gruppe, die mit ihnen auf dem Weg ist. Wählt man dieses Angebot, ist man nicht allein unterwegs. Bei einem Projekt wie dem aktuellen, das beabsichtigt, über vier Jahre immer wieder gemeinsam unterwegs zu sein, lernt man sich sehr gut kennen.
Seit zehn Jahren leiten Sie Pilgerreisen. Pilgern Sie heute anders?
Beim ersten Mal war ich sicher nervöser und aufgeregter. Heute bin ich routinierter, auch beim Packen. Trotzdem ist jede Reise wieder neu, weil ich immer wieder mit neu zusammengesetzten Gruppen unterwegs bin. Es ist also jedes Mal spannend.
Wie sieht Ihr typischer Pilger, Ihre Durchschnittspilgerin aus?
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer meiner Pilgerreisen sind zwischen 40 und 70 Jahre alt. Die meisten sind kirchlich orientiert, was aber überhaupt nicht zwingend ist. Viele unternehmen eine Pilgerreise, wenn eine Veränderung im Leben ansteht, wie zum Beispiel ein beruflicher Wechsel oder die Pensionierung.
Weshalb machen sich nicht religiös motivierte Pilgerinnen und Pilger auf den Jakobsweg?
Da kann ich nur Vermutungen anstellen. Mein Eindruck ist, dass relativ viele unterwegs sind, die nicht religiös sozialisiert sind. Ein Pilgerweg ist ja auch ein Weg zu sich selbst und zieht Menschen an, die nach Sinn suchen. Sie wollen nicht in erster Linie die sportliche Leistung, sondern lassen sich auf dieses Erlebnis wirklich ein.Dadurch, dass mehr Menschen unterwegs sind, ist der Jakobsweg zum Begegnungsweg geworden, auf dem man Leute aus verschiedensten Ländern trifft. Kanadier und sogar Japaner. Ich kann mir vorstellen, dass sie die Atmosphäre schätzen. Denn mit dem Jakobsweg-Gehen stellen wir uns in eine jahrhundertealte Tradition. Du musst nicht alles selber erfinden. Du wirst empfangen. Das spürst du unterwegs.
Im Oktober organisieren Sie in der Propstei Wislikofen ein Pilgertreffen. Was darf man sich darunter vorstellen?
Meine Idee ist, dass Menschen miteinander ins Gespräch kommen zum Thema, wie Pilgern das Leben verändert. Solche, die schon Pilger waren und solche, die vielleicht aufbrechen wollen. Und auch diejenigen, die sich mit dieser Erfahrung beschäftigen wollen. Ich bin gespannt, was daraus entsteht.
Zum Schluss: Was fehlt in Ihrem Rucksack nie?
Ein Pilgerbüchlein zum Beten und Singen, Pflaster und ein Taschenmesser.
Haben auch Sie Interesse zu erfahren, wie Pilgern das Leben verändert? Das aktuelle Pilgerprogramm von Bildung und Propstei finden Sie hier:Pilgern 2018 Alles über die einzelnen Pilgerreisen samt Vorbereitungstreffen finden Sie auf der Webseite kathaargau.ch