Migranten sollen nicht länger eine «Parallelkirche» bilden

Migranten sollen nicht länger eine «Parallelkirche» bilden

  • Die Schweiz­er Bischof­skon­ferenz hat die Migranten­pas­toral zu dem gemacht, was sie heute ist: eine gut funk­tion­ierende und mit­glieder­starke Par­al­lelkirche neben den schweiz­erischen Kirchen­struk­turen. Doch damit soll nun Schluss sein.
  • Zusam­men mit der Römisch-Katholis­chen Zen­tralkon­ferenz hat die Schweiz­er Bischof­skon­ferenz im Dezem­ber 2017 das «Pro­jekt Gesamtkonzept Migranten­pas­toral» lanciert. Es soll ein «zukun­ftsweisendes gesamtschweiz­erisches pas­torales Konzept für die Migra­tionspas­toral» entwick­eln.
  • Die Römisch-Katholis­che Kirche im Aar­gau nimmt diesen Auf­trag ernst und hat darum ihr eigenes Pro­jekt «Zukun­ft der Migra­tionspas­toral im Aar­gau» am 25. Jan­u­ar mit ein­er offiziellen Auf­tak­tver­anstal­tung ges­tartet.
 Kaf­fee und Gipfe­li soll­ten den Ein­stieg in die Ver­anstal­tung, bei der es um nichts weniger ging als die «Zukun­ft der Migra­tionspas­toral im Aar­gau», erle­ichtern. Doch wie das Schw­ert des Damok­les schwang eine grosse Frage über den Häuptern der 45 Ver­samm­lung­steil­nehmer: «Was geschieht mit uns?» Vielle­icht war die Stim­mung deshalb nicht ganz so gelöst, wie sie es son­st ist, wenn die Vertreter der Migrantenseel­sorge zusam­menkom­men.In gewohnt sou­verän­er Weise begrüsste Kirchen­rat­spräsi­dent Luc Hum­bel die Gäste, die der Ein­ladung von Lan­deskirche und Bis­tum zum Kick­off im Aarauer Bullinger­haus gefol­gt waren. Er machte auch gle­ich klar, dass es beim angedacht­en Pro­jekt um weit mehr gehe als um die Zukun­ft der Migra­tionspas­toral: «Es geht um die Zukun­ft der Kirche.» Die katholis­che Kirche sehe sich von ihrem Grund­ver­ständ­nis her als eine Gemein­schaft. «Diese Hal­tung wird durch unsere Ein­drit­tel-Zwei­drit­tel-Kirche nicht abge­bildet.» Das Pro­jekt der Schweiz­er Bischof­skon­ferenz und der Römisch-Katholis­chen Zen­tralkon­ferenz der Schweiz (rkz) habe zwar bestätigt, dass dies­bezüglich Hand­lungs­be­darf beste­he, aber nation­al seien keine Rezepte gekom­men. «Wir woll­ten im Aar­gau nicht mehr länger warten. Wir wollen uns vom Nebeneinan­der in unser­er Kirche ver­ab­schieden und zum Miteinan­der kom­men.»

Befürchtungen und Ängste

Auf dem Weg zu diesem neuen Miteinan­der wird die Römisch-Katholis­che Kirche im Aar­gau begleit­et von der exter­nen Pro­jek­tlei­t­erin Reg­u­la Kuhn. Sie ist in Kirchen- und Sozialar­beit­skreisen keine Unbekan­nte. Bevor sie sich als Coach und Organ­i­sa­tions­ber­a­terin selb­st­ständig machte, war sie Co-Lei­t­erin der Car­i­tas Aar­gau und, wie Luc Hum­bel es aus­drück­te, «Mut­ter der Kirch­lich Regionalen Sozial­dien­ste». Die erste Auf­gabe von Reg­u­la Kuhn bestand an diesem Sam­stag­mor­gen darin, den Ver­samm­lung­steil­nehmern klar zu machen, dass noch nichts klar ist: «Wir ste­hen alle vor ein­er leeren Lein­wand.» Um diese Pro­jek­tlein­wand gle­ich­sam zu bemalen, set­zten sich die Anwe­senden in kleinen Grup­pen an sep­a­rate Tis­che und schrieben auf, worauf man bei der Weit­er­en­twick­lung des Pro­jek­ts beson­ders acht­en müsse.Bei der anschliessenden Zusam­men­fas­sung der Stich­worte auf der Pin­wand wurde schnell klar, wo die Befürch­tun­gen und Äng­ste, vor allem auf Seite der Migrantenseel­sorge, liegen. Stich­worte wie «Traditionen/Identität», «Sakra­menten­ver­ständ­nis», «Kinder, Jugend –Bil­dungsar­beit» oder «Sen­si­bil­isierung der CH-Pfar­reien» sowie «Begeg­nung und Kom­mu­nika­tion auf Augen­höhe» sprechen eine deut­liche Sprache. Für das weit­ere Vorge­hen ermah­nte die Pro­jek­tlei­t­erin alle Beteiligten, sich nicht an Defiziten zu ori­en­tieren, son­dern zielo­ri­en­tiert zu denken.

Entwicklungsgruppe als Herzstück

Das erste konkrete Ziel ist nun die Bil­dung ein­er Entwick­lungs­gruppe, die sich aus je zwei Vertretern der Mis­sio­nen, der Mis­sion­sräte, der Pas­toral­räume und der Kirchge­mein­den zusam­menset­zen soll. Diese Gruppe ist das eigentliche Herzstück der Pro­jek­tor­gan­i­sa­tion. Sie erar­beit­et das Konzept zur Inte­gra­tion der Migra­tionspas­toral in beste­hende oder neu entste­hende Pas­toral­räume zuhan­den des Kirchen­rats und der Bis­tum­sre­gion­alleitung. Ihr vorge­set­zt ist die Steuer­gruppe, beste­hend aus Kirchen­rat­spräsi­dent Luc Hum­bel, Kirchen­rätin Maria-Pia Scholl, dem Region­alver­ant­wortlichen der Bis­tum­sre­gion St. Urs, Tobias Fontein, und Pro­jek­tlei­t­erin Reg­u­la Kuhn.Die Wahlvorschläge für die Vertreter der Mis­sio­nen und Mis­sion­sräte nimmt Maria-Pia Scholl bis 10. März ent­ge­gen. Daraus wählt die Kom­mis­sion für Ander­ssprachi­gen-Pas­toral am 17. März dann ihre vier Vertreter. Wahlvorschläge für die Vertreter der Pas­toral­räume nimmt Tobias Fontein, diejeni­gen für die Kirchge­mein­den Luc Hum­bel ent­ge­gen. Eingabeschluss ist der 1. April. Im Mai soll die Entwick­lungs­gruppe ihre Arbeit aufnehmen und bis im April 2021 ein Konzept vor­legen. Wenn dieses genehmigt ist, fol­gt die Pilot­phase.

«Nicht mit bekannten Bildern denken»

Nach der Startver­anstal­tung zeigte sich Luc Hum­bel sehr zuver­sichtlich: «Es war ein kon­struk­tiv­er, offen­er Aus­tausch. Es war wichtig, dass sich alle Beteiligten mit ihren Ansprüchen, Vorstel­lun­gen aber auch Äng­sten ein­brin­gen kon­nten. Dies ist gut gelun­gen.» Nach allfäl­li­gen Stolper­steinen auf dem weit­eren Weg befragt, antwortete der Kirchen­rat­spräsi­dent: «Es ist wichtig, dass alle real­isieren, dass sich mit einem solchen Schritt das Bild der gesamten Kirche im Aar­gau verän­dern wird. Entsprechend sind auch alle Engagierten aufge­fordert, sich einzubrin­gen. Wichtig ist, dass man nicht mit bekan­nten Bildern denkt es wird hof­fentlich ganz anders sein.»Ger­ade dieses «ganz anders sein» ist aber das, was bei Daniel Gasic, dem Präsi­den­ten der Kroaten­mis­sion, Stirn­run­zeln verur­sacht: «Wir sind eine funk­tion­ierende Gemein­schaft. Unsere Mis­sion gibt es seit 25 Jahren. Wir haben 9’000 aktive Mit­glieder. Pater Niko hat jeden Son­ntag eine volle Kirche. Das Durch­schnittsalter unser­er Gemeinde ist 37!» Das liege daran, dass in den Mis­sio­nen ein beson­deres Augen­merk auf die religiöse Bil­dung der Kinder und Jugendlichen gelegt werde, erk­lärt Daniel Gasic, der mit sein­er Frau und den bei­den Kindern jeden Son­ntag eine bis zwei Messen besucht. «Die Kinder inter­essieren sich für die Eucharistie und für das, was in der Kirche geschieht. Aber man muss es ihnen richtig beib­rin­gen und erk­lären. Im Schweiz­er Reli­gion­sun­ter­richt malen die Kinder Man­dalas aus. Kein Wun­der, dass sie dann kaum noch das Vaterunser mit­beten kön­nen.»

«Es ist überhaupt keine Sparübung»

Die Angst der Mis­sion­sange­höri­gen ist es, dass ihre Gemein­schaften durch eine Inte­gra­tion in die hiesi­gen Pas­toral­räume kaputt gehen, so for­muliert es Daniel Gasic. «Das haben mir auch viele Mit­glieder der ital­ienis­chen Mis­sion gesagt.» Sie befürcht­en, dass durch die neue Organ­i­sa­tion sowohl Sprache und Kul­tur der jew­eili­gen Mis­sio­nen als auch deren the­ol­o­gis­che und Glauben­saus­rich­tung gefährdet wür­den. Darauf ent­geg­net Luc Hum­bel: «Das entspricht nicht unser­er Absicht. Sie sind Part­ner im Prozess und auch in der Umset­zung. Sie müssen diese Bedenken kon­struk­tiv in den Prozess ein­brin­gen.» Genau das hat Daniel Gasic vor. Er will sich auf jeden Fall als Mit­glied der Entwick­lungs­gruppe zur Ver­fü­gung stellen.Nach dem Zweit­en Weltkrieg hat die Schweiz­er Bischof­skon­ferenz viel Geld in den Auf­bau ein­er eige­nen Migrantenseel­sorge gesteckt. 110 Mis­sio­nen in mehr als 20 ver­schiede­nen Sprachen kon­nten sich so in den ver­gan­genen 70 Jahren schweizweit etablieren. Nun steckt die Kirche wieder Geld in die Inte­gra­tion der Mis­sio­nen in die Pas­toral­raum­struk­turen der Schweiz. Zwei par­al­lele Kirchen­sys­teme aus der­sel­ben Kasse her­aus zu finanzieren, ist, rein ökonomisch betra­chtet, unsin­nig. Ist das Zukun­ft­spro­jekt Migranten­pas­toral also eine verkappte Sparübung? Luc Hum­bel verneint vehe­ment: «Es ist über­haupt keine Sparübung. Es ist eine Frage der Glaub­würdigkeit, ob wir ein Nebeneinan­der befür­worten und trotz­dem eine Kirche sein wollen. Für mich entspricht dies nicht meinem Bild von Kirche. Das ist die Moti­va­tion im Pro­jekt. Es ist kein Finanzgeschäft son­dern ein pas­torales.»
Christian Breitschmid
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