«Menschen, nicht Katholiken beerdigen»

«Menschen, nicht Katholiken beerdigen»

Immer mehr Men­schen ste­hen der Kirche dis­tanziert gegenüber oder sind nicht mehr Kirchen­mit­glied. Doch gle­ich­wohl wollen Aus­ge­tretene ihre Kinder taufen lassen oder kirch­lich heirat­en. Und die Hin­terbliebe­nen von Aus­ge­trete­nen wollen ein kirch­lich­es Begräb­nis. Die Seel­sorg­er reagieren unter­schiedlich — von zurück­hal­tend bis ent­ge­genk­om­mend. Ueli Hess, Diakon in Brem­garten und Her­metschwil, ste­ht immer mal wieder für Beerdi­gun­gen ausser­halb seines Pas­toral­ge­bi­ets im Ein­satz. Unter vie­len hat sich herumge­sprochen, dass «der Ueli» keinen Unter­schied macht zwis­chen treuen Kirchen­mit­gliedern und solchen, die der Kirche fern ste­hen oder gar aus­ge­treten sind. «Du kannst doch Barmherzigkeit nicht ein­fach nur predi­gen, du musst sie auch leben» erk­lärt der Leit­er des Pas­toral­raums Brem­garten-Reusstal. Und er ergänzt: «In den sieben Werken der Barmherzigkeit ste­ht nichts davon, dass ich nur Katho­liken beerdi­gen soll, da ist von Men­schen die Rede.»Im April dieses Jahres hat­te das Kon­sumenten­magazin K‑Tipp für Auf­se­hen gesorgt, indem es behauptete, dass man auch nach einem Kirchenaus­tritt kirch­lich heirat­en oder eine Beerdi­gung durch einen katholis­chen Pfar­rer ver­lan­gen könne. Die Voren­thal­tung der­ar­tiger Leis­tun­gen sei «durch das Kirchen­recht nicht abgedeckt», erk­lärte das Kon­sumenten­magazin unter Beru­fung auf die Medi­en­sprech­er der Bistümer Basel und Chur. «Falsch», kon­terte demge­genüber die Römisch-Katholis­che Zen­tralkon­ferenz RKZ als Vertreterin der staatskirchen­rechtlichen Kör­per­schaften. Wer aus der Kirche aus­trete, habe keinen Anspruch auf kirch­liche Dien­stleis­tun­gen.

Zurückhaltendes Wohlen, entgegenkommendes Bremgarten

Recherchen von Hor­i­zonte ergaben, dass in der seel­sorg­erischen Prax­is höchst unter­schiedliche Hal­tun­gen vertreten wer­den. Kurt Grüter, Domherr und Pfar­rer in Wohlen, erk­lärt gegenüber Hor­i­zonte: «Bei mir gibt es keine Dien­stleis­tun­gen für Aus­ge­tretene, auss­er bei Taufen, wenn ein Eltern­teil noch katholisch ist.» Dies mit Kon­se­quen­zen für die Sta­tis­tik: Unter den Beerdigten in der Pfar­rei Wohlen gab es 2015 keine einzige kon­fes­sion­slose, beziehungsweise aus­ge­tretene Per­son, die von einem katholis­chen Seel­sor­gen­den bestat­tet wurde. «Wir wollen die Aus­ge­trete­nen ernst nehmen, denn sie wollen mit der Kirche nichts mehr zu tun haben», präzisiert Kurt Grüter seine Hal­tung. «Wir sind als Kirche kein Dien­stleis­tungs­be­trieb. Wer von der Kirche etwas erwartet, soll auch sol­i­darisch dabei sein.» Auf das Sol­i­dar­ität­sprinzip, so der Pfar­rer, ver­weise er jew­eils auch im Gespräch mit den­jeni­gen, die aus­treten woll­ten. «Wer aus­ge­treten ist, hat im Grunde kein Anrecht mehr auf ein katholis­ches Begräb­nis oder das Sakra­ment der Kranken­sal­bung.» Und gle­ich­wohl: «Je nach Sit­u­a­tion wägen wir auch in solchen Fällen nochmals sorgfältig ab.»Ähn­lich die Hal­tung in Bad Zurzach. «Wir taufen keine Kinder, deren Eltern bei­de aus der Kirche aus­ge­treten sind», erk­lärt Pfar­rer Raimund Obrist. Man halte sich an die all­ge­mein gültige Regelung der Römisch-Katholis­chen Kirche gemäss Kirchen­recht. Bei der Beerdi­gung von Kon­fes­sion­slosen wird im Einzelfall auf­grund eines Gesprächs mit den Ange­höri­gen entsch­ieden. «Ein­er­seits gilt es, den Entscheid eines Men­schen ernst zu nehmen, nicht (mehr) Mit­glied der Kirche zu sein, ander­er­seits sind da manch­mal Ange­hörige, welche mit der Kirche ver­bun­den sind, und denen eine kirch­liche Feier etwas bedeutet.»Anders die Sit­u­a­tion in Brem­garten bei Ueli Hess: Von 30 Beerdigten im Pas­toral­raumge­bi­et Brem­garten-Reusstal  waren 2015 etwa fünf nicht mehr Kirchen­mit­glied. Hinzu kämen, so Ueli Hess, nochmals unge­fähr zehn weit­ere Begräb­n­is­feiern von Aus­ge­trete­nen ausser­halb des Pas­toral­raumge­bi­ets. Bei Hochzeit­en, so Ueli Hess, erfüll­ten im Grunde ein Drit­tel die Voraus­set­zun­gen nicht. Entwed­er sei jemand geschieden oder nicht mehr Kirchen­mit­glied.

Zum Seelsorger anstatt zum Therapeuten

Erstaunlich: Sog­ar diejeni­gen, welche den Brem­garter Diakon in seel­sorg­erischen Belan­gen anfragten, seien in der Regel Dis­tanzierte und Nicht­mit­glieder. «Im Jahr 2015 etwa ein Drit­tel Aus­ge­tretene», erk­lärt Ueli Hess. Diese Men­schen hät­ten ihn in Krisen­si­t­u­a­tio­nen aufge­sucht. Der Diakon ver­mutet vielfältige Gründe, warum Rat bei ihm und nicht bei einem Ther­a­peuten gesucht wurde. «Möglicher­weise geniesse ich beson­deres Ver­trauen», erk­lärt Ueli Hess schmun­zel­nd. Manche hät­ten wohl aber auch Angst, dass sie beim Ther­a­peuten krankgeschrieben wür­den. «Und dann sind da noch jene, die sich den Ther­a­peuten schlichtweg nicht leis­ten kön­nen. Die kom­men zu mir oder ich gehe zu ihnen, weil ich gratis bin.»Ueli Hess macht in diesen Begeg­nun­gen keinen Hehl aus sein­er Stel­lung als katholis­ch­er Seel­sorg­er: «Ich gehe auf die Anfra­gen ein, schlage aber sogle­ich für die Erst­begeg­nung das Tre­f­fen in der Kirche vor, wo ich dann oft eine Kerze anzünde und ein Gebet anbi­ete. Einige staunen dann, aber akzep­tieren es.»

Kein Einzelfall: Getaufte Kinder von Ausgetretenen

Dass Aus­ge­tretene Ueli Hess darum bit­ten, ihr Kind zu taufen, komme eher sel­ten vor. Umso beein­druck­ender die jew­eili­gen Umstände. Der Brem­garter Diakon berichtet von einem Paar (bei­de aus­ge­treten), das bald ihr Kind in der Pfarr- und Klosterkirche Her­metschwil taufen lassen wird. «Im Grunde tief religiöse Men­schen», erk­lärt Ueli Hess. Bei­de hät­ten aus Ent­täuschung angesichts der vie­len Miss­brauchs­fälle den Aus­tritt gegeben. Ein Exem­pel habe man sta­tu­ieren wollen, so der Vater, erin­nert sich Ueli Hess. «Ich habe mir Zeit genom­men, dieses Paar in ihren Beweg­grün­den und Bedürfnis­sen zu ver­ste­hen und kon­nte bei­den Eltern­teilen das Ver­sprechen abrin­gen, dass ihr Kind später den kirch­lichen Reli­gion­sun­ter­richt besucht und die Erstkom­mu­nion machen darf – und einen Pat­en bringt, der katholisch ist.»Auch Beat Nieder­berg­er, Leit­er des Pas­toral­raums Region Aarau, hat im ver­gan­genen Jahr in der Pfar­rei Schöft­land ein Kind getauft, «bei dem bei­de Eltern­teile aus­ge­treten sind». Wenn eine aus­ge­tretene Per­son mit­be­trof­fen sei, spreche er das in der Vor­bere­itung bewusst an, erk­lärt Beat Nieder­berg­er. «Auch, um zu klären, ob die aus­ge­tretene Per­son zu dem ste­hen kann, was da gefeiert wird. Das gibt immer wieder sehr inten­sive, span­nende Gespräche.» Er pflege sehr bewusst die Hal­tung der Offen­heit und Barmherzigkeit, so der für Schöft­land zuständi­ge Gemein­deleit­er unter Ver­weis auf die Botschaft von Papst Franziskus: «Es ist eine Chance, mit den Leuten wieder in Kon­takt zu kom­men, neue Beziehun­gen zu knüpfen. — Ich habe das bish­er immer als sehr wertvoll erfahren und mich noch nie miss­braucht gefühlt.»

«Für Leistungen nicht zahlen, ist nicht katholisch»

Wie beurteilt man seit­ens der staatskirchen­rechtlichen Kör­per­schaften, wenn Seel­sor­gende keinen Unter­schied zwis­chen Mit­gliedern und Nicht­mit­gliedern machen? Immer­hin wird das Seel­sorgeper­son­al ja aus Kirchen­s­teuern an Kirchenge­mein­den und Lan­deskirchen bezahlt. «Wenn ein Seel­sorg­er die Chance sieht, den Bezug wieder­herzustellen oder im Einzelfall den Men­schen über alles stellt, dann ist das kein Prob­lem», erk­lärt Luc Hum­bel, Kirchen­rat­spräsi­dent der Römisch-Katholis­chen Lan­deskirche Aar­gau und Präsi­dent der Römisch-Katholis­chen Zen­tralkon­ferenz RKZ. Wenn Seel­sor­gende allerd­ings aus Überzeu­gung Leis­tun­gen gegenüber Nicht­mit­gliedern anböten, dann müsse das Gespräch gesucht wer­den, so Luc Hum­bel.Luc Hum­bel räumt allerd­ings ein: «Man kann einen par­tiellen Aus­tritt machen.» Das heisst, man tritt aus der Lan­deskirche aus, verpflichtet sich dann aber zu einem Sol­i­dar­itäts­beitrag an das Bis­tum. Das sei mit dem Bis­tum so vere­in­bart, erk­lärt Luc Hum­bel. Grund­sät­zlich gelte: «Man kann nicht Mit­glied der Römisch-Katholis­chen Kirche sein und nicht an der Sol­i­dar­ität par­tizip­ieren. Das geht nicht, das ist nicht katholisch.»

Glaubensgemeinschaft und Landeskirche «nicht identisch»

Bei den Bistümern ver­weist man gern auf ein Bun­des­gericht­surteil, das zum The­ma «par­tieller Kirchenaus­tritt» im Jahre 2012 von sich reden gemacht hat­te. «Wir hal­ten uns an dieses Bun­des­gericht­surteil», erk­lärt Giuseppe Gra­cia, Medi­en­beauf­tragter beim Bis­tum Chur, auf Anfrage. «Darin heisst es: Die Mit­glied­schaft zu staatskirchen­rechtlichen Kör­per­schaften ist nicht iden­tisch mit der Zuge­hörigkeit zur Römisch-Katholis­chen Kirche als Glaubens­ge­mein­schaft. Das Bun­des­gericht unter­schei­det diese bei­den Ebe­nen.» Das Kirchen­recht kenne keine Steuerpflicht, son­dern lasse offen, wie jemand Sol­i­dar­ität übe, etwa durch frei­willige Spenden. Seel­sor­gende soll­ten an die Sol­i­dar­ität­spflicht erin­nern, aber nicht das Steuer­sys­tem dog­ma­tisieren, so Giuseppe Gra­cia.«Kirchen­s­teuern oder Sol­i­dar­itäts­beiträge sind nicht Teil eines Geschäftsmod­ells», meint auch Han­srue­di Huber, Medi­en­sprech­er beim Bis­tum Basel, fügt dann aber an: «Es geht um die Sol­i­dar­ität inner­halb der katholis­chen Glaubens­ge­mein­schaft. Jemand, der nicht bere­it ist, an diesem christlichen Grund­prinzip teilzuhaben, muss ver­mut­lich seine Glauben­süberzeu­gung hin­ter­fra­gen.»

Unterschiedliche Haltungen sorgen für Verstimmung

«Klar ist die seel­sorg­erische Prax­is auch im Kirchen­recht geregelt», erk­lärt Diakon Ueli Hess. «Wir müssen uns aber als Seel­sorg­er immer über­legen, wie wir mit dem Gesetz umge­hen. Das Gesetz ist für den Men­schen da. Mir ist wichtig, dass Men­schen zu ihren religiösen Wurzeln zurück­kehren.» Und nach ein­er kurzen Denkpause ergänzt Ueli Hess: «Es stimmt, dass ich mich gegenüber den Kirchge­mein­den und gegenüber der Lan­deskirche mit mein­er pas­toralen Hal­tung nicht sol­i­darisch ver­halte.»Seel­sorg­er wie Ueli Hess eck­en an. Raimund Obrist, Pfar­rer in Bad Zurzach bekun­det expliz­it Mühe «mit Kol­le­gen und Kol­legin­nen, die ohne Rück­sprache mit dem zuständi­gen Ortsseel­sorg­er eine Taufe in ihrer Pfar­rei vornehmen, bei der die Eltern bei­de aus der Kirche aus­ge­treten sind.» So geschehen bei einem Paar (bei­de aus der Kirche aus­ge­treten), das nach Bad Zurzach gezo­gen sei und dort wegen der Taufe ihres Kindes ange­fragt habe. Nach abschlägigem Bescheid, so Raimund Obrist, hät­ten die Eltern die Taufe in ihrer vor­ma­li­gen Wohnp­far­rei real­isieren kön­nen.Recherchen von Hor­i­zonte ergaben, dass sich die meis­ten Seel­sorg­er gegenüber Aus­ge­trete­nen oder Kon­fes­sion­slosen nicht grund­sät­zlich ver­weigern. Wichtig sind aber zwei Aspek­te: Zunächst ein­mal, so Daniel Kyburz, Gemein­deleit­er in Döt­tin­gen, «sollte min­destens ein Eltern­teil bei Taufen, beziehungsweise ein Part­ner bei Eheschlies­sun­gen, katholisch sein». Darüber hin­aus, so Christoph Cohen, Diakon und Gemein­deleit­er in Rohrdorf, soll­ten Aus­ge­tretene und Kon­fes­sion­slose «glaub­haft dar­legen, dass sie sich der sakra­men­tal­en Hand­lun­gen pos­i­tiv gegenüber­stellen».
Andreas C. Müller
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