«Alles in der Schöpfung​antwortet aufeinander»
In ihrem Impuls spricht Beate Eckerlin unter anderem über die Natur- und Heilpflanzenkunde von
Hildegard von Bingen und der darin verankerten Verantwortung des Menschen für die Natur.
Bild: © Leo­nie Wollensack

«Alles in der Schöpfung​antwortet aufeinander»

Schöpfungsspiritualität auf den Spuren ​von Hildegard von Bingen erleben

«Gott in allen Dingen suchen und finden» – diesen Satz könnte man als das Motto der ­Schöpfungsspiritualität bezeichnen. Aus diesem Grundgedanken erwächst eine Spiritualität, die ein ökologisches Bewusstsein prägt. ​Ein Streifzug durch den Sommergarten des Hotels Odelya in Basel und ein Interview mit Beate Eckerlin, Betreuerin des Heilpflanzengartens Mariastein.

Der Som­mer hat sei­nen Zenit die­ses Jahr bereits über­schrit­ten. Das Licht fällt schrä­ger als noch im Früh­som­mer durch das schat­ten­spen­den­de Blät­ter­dach auf Tie­re, Men­schen und die vie­len ver­schie­de­nen Pflan­zen, die aus dem von der Son­ne über vie­le Wochen aus­ge­trock­ne­ten Erd­reich spries­sen. Es ist heiss, aber die Hit­ze riecht schon nach Ern­te­rei­fem. Im Jah­res­kreis befin­den wir uns in der Peri­ode, in der die Men­schen das ein­ho­len, was sie in den Mona­ten zuvor gesät und gepflegt haben. Der dem Ende ent­ge­gen­ge­hen­de Som­mer ist eine Zeit der Feste und Ritua­le rund um Korn­schnitt und Ernte.

«Es gibt für alles die rich­ti­ge Zeit», so sag­te es Hil­de­gard von Bin­gen. Gott in allem erken­nend, schau­te sie stets mit einem ganz­heit­li­chen Blick auf Aus­saat und Ern­te, Pflan­zen, Men­schen und die gesam­te Natur. Die­ser Ansatz bedeu­tet mit Respekt und Ach­tung ern­ten, nicht alles neh­men, einen Teil ste­hen las­sen, den Boden nicht aus­lau­gen. «Alles in der Schöp­fung ant­wor­tet auf­ein­an­der»; aus die­ser Per­spek­ti­ve her­aus ent­wickel­te Hil­de­gard von Bin­gen auch ihre Naturheilkunde.

Wie und wo erken­nen Sie die Schöp­fung Got­tes, wenn Sie in Gär­ten schauen?

Bea­te Ecker­lin: Zunächst ein­mal glau­be ich nicht an Gott als alten Mann mit Bart. Für mich ist Gott eine Kraft oder Ener­gie, die allem inne­wohnt. Ich suche und fin­de die­se Ener­gie in allen Din­gen, so auch in Gär­ten. Ich neh­me sie mit allen Sin­nen wahr: Sehen, Hören, Rie­chen, Schmecken, Füh­len. Im Gar­ten kom­me ich aus­ser­dem zur Ruhe, erde mich und kom­me in Kon­takt mit die­ser Ener­gie. Hil­de­gard von Bin­gen hat in die­sem Zusam­men­hang den Begriff «ver­i­di­tas», die «Grün­kraft» geprägt.

Es heisst oft: «Die Natur ist die Apo­the­ke ­Got­tes.» Haben Sie ein Bei­spiel für uns?

Pflan­zen sind nicht per se da, um uns zu hei­len. Sie pro­du­zie­ren bestimm­te Stof­fe, um sich selbst zu schüt­zen. Ein Bei­spiel sind äthe­ri­sche Öle, die die Pflan­zen pro­du­zie­ren, um Fress­fein­de abzu­hal­ten oder Insek­ten anzu­locken. Die Stof­fe sind aber oft nütz­lich für den Men­schen, weil wir ein Teil der Natur, mit ihr eins sind, weil wir zusam­men­ge­hö­ren. Die Pflan­zen sind die Grund­la­ge dafür, dass es uns Men­schen und Tie­re geben kann, und umge­kehrt sind wir auch für die Pflan­zen wich­tig, weil wir Stof­fe lie­fern, die die Pflan­zen für ihr Wach­sen und Gedei­hen brau­chen. Des­we­gen leben wir in einer Sym­bio­se. Pflan­zen kön­nen als Impuls­ge­ber für eige­ne gei­sti­ge und kör­per­li­che Pro­zes­se die­nen. Wir beob­ach­ten, was die Pflan­zen tun, und kön­nen dar­aus schlies­sen, wie sie gut für uns wir­ken können.

Wer war Hil­de­gard von Bin­gen und was waren ihre Errun­gen­schaf­ten im Zusam­men­hang mit Heilpflanzen?

Sie leb­te von 1089 bis 1179, also im Mit­tel­al­ter. Man täte ihr Unrecht, sie auf die Pflan­zen­heil­kun­de zu redu­zie­ren. Sie war Äbtis­sin zwei­er Klö­ster, Theo­lo­gin, Rat­ge­be­rin hoher Wür­den­trä­ger und künst­le­risch aktiv. Sie war in jeder Hin­sicht eine kun­di­ge Frau. In ihren inne­ren Schau­en, wie sie es nann­te, sah und begriff sie Din­ge, wie es ande­ren nicht mög­lich war. Sie erkann­te Zusam­men­hän­ge und Wir­kungs­wei­sen. Ich glau­be, Hil­de­gard war ein Mensch, der jeder und jedem hel­fen woll­te, einen eige­nen Weg mit Heil­pflan­zen zu fin­den. Sie war nie abso­lut. Es ging bei ihr immer um das rich­ti­ge Mass für jede ein­zel­ne Person.

Apro­pos Mass: Wie steht es um bewusst­seins­er­wei­tern­de Sub­stan­zen aus Pflan­zen, die spi­ri­tu­el­le Erfah­run­gen ermöglichen?

Auch da kommt es auf das rich­ti­ge Mass an. Sie kön­nen hel­fen, den Geist zu klä­ren, das Bewusst­sein zu erwei­tern und offen für Erfah­run­gen machen, die sonst nicht mög­lich wären. Men­schen kön­nen durch sie Ideen und Inspi­ra­tio­nen bekom­men. Auch Künst­ler haben das ein­ge­setzt und tun es noch immer.

Schöp­fungs­spi­ri­tua­li­tät in Som­mer­gär­ten erle­ben, beglei­tet von Impul­sen über die Universalgelehrte und Heil­pflan­zen­kund­le­rin Hil­de­gard von Bin­gen – das war, unter ande­rem, der Gegen­stand einer Ver­anstaltung orga­ni­siert vom Katho­li­schen Frau­en­bund Basel-Stadt. Als Impuls­ge­be­rin ein­ge­la­den war Bea­te Ecker­lin. Nach einer natur­heil­kund­li­chen Aus­bil­dung ist sie nun die ehren­amt­li­che Betreuerin des Heil­pflan­zen­gar­tens Mariastein.

Leonie Wollensack
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