Kunstraub im Dreissigjährigen Krieg: Die Schweden plündern Prag

Kunstraub im Dreissigjährigen Krieg: Die Schweden plündern Prag

Eine weitgereiste Bibel

Kunstraub im Dreissigjährigen Krieg: Die Schweden plündern Prag

Die schwedis­chen Trup­pen, die in der End­phase des Dreis­sigjähri­gen Kriegs 1648 in Prag Kun­stschätze erbeuteten, han­del­ten in königlichem Auf­trag. Zu den für Köni­gin Christi­na ger­aubten Kost­barkeit­en gehörten auch die Frag­mente ein­er Abschrift der gotis­chen Bibelüber­set­zung von Bischof Wul­fi­la.Als das unter dem Namen «Sil­ber­bibel» bekan­nte Manuskript 1648 als Kriegs­beute in schwedis­che Hände kam, hat­te es bere­its ­einen län­geren Weg hin­ter sich. Ent­standen ist die Abschrift der gotis­chen Über­set­zung der vier Evan­gelien ver­mut­lich im frühen 6. Jahrhun­dert in Raven­na zur Zeit des ost­go­tis­chen Königs Theoderich des Grossen. Die Schreib­w­erk­statt ver­wen­dete für das Manuskript pur­purrot einge­färbtes Perga­ment und gold­ene und sil­berne Schrift­far­ben. Der Name «Sil­ber­codex» bezieht sich nicht auf den erst im 17. Jahrhun­dert hinzuge­fügten Sil­bere­in­band, son­dern auf die Schrift­farbe.

Luxusausgabe für den König?

Die Qual­ität der Tinte und der hochste­hende kün­st­lerische Stil der Aus­führung deuten an, dass das Manuskript für eine hochrangige Per­son im ost­go­tis­chen Kön­i­gre­ich ange­fer­tigt wurde. Dies meint Tönnes Kle­berg in «Codex Argen­teus: The Sil­ver Bible at Upp­sala» (Upp­sala Uni­ver­si­ty Library). Die Pur­pur­farbe führt ihn zur Annahme, dass das Manuskript möglicher­weise für König Theoderich selb­st bes­timmt war. Theoderich, der sich König der Goten und der Römer nan­nte, ver­wen­dete das dem Kaiser vor­be­hal­tene Pur­pur mit Erlaub­nis des oströmis­chen Kaisers.Nach Theoderichs Tod war es mit der Herrschaft der in Raven­na, Verona und weit­eren Städten resi­dieren­den Ost­goten bald vor­bei. Ver­mut­lich gehörte der «Codex Argen­teus» zu den Schätzen, die vor den byzan­ti­nis­chen Trup­pen in Sicher­heit gebracht wur­den. Möglicher­weise lan­dete das kost­bare Manuskript im Kloster Monte Cassi­no. Mitte des 16. Jahrhun­derts tauchte es im Benedik­tin­erk­loster Wer­den im heuti­gen Ruhrge­bi­et auf. Details über seinen Verbleib in den rund tausend Jahren zwis­chen Raven­na und Wer­den sind nicht bekan­nt. Eine mögliche Erk­lärung besagt, dass der heilige Ludger, der das Kloster Wer­den Ende des 8. Jahrhun­derts grün­dete, das Buch aus Monte Cassi­no mit­ge­bracht hat. Gemäss ein­er anderen These lag das Manuskript vom frühen 9. Jahrhun­dert bis 1547 in der Abtei St. Ludgeri in Helm­st­edt. Als dort im Kon­fes­sion­skon­flikt während Jahren bürg­erkriegsähn­liche Zustände herrscht­en, wurde die Sil­ber­bibel aus Sicher­heits­grün­den erneut gezügelt – ins Kloster Wer­den.Wer­den ist die erste mit Sicher­heit bekan­nte Sta­tion der Abschrift. Spätestens 1600 kam das Manuskript in den Besitz von Kaiser Rudolf II. aus dem Hause Hab­s­burg. Der in Prag resi­dierende Rudolf war ein fanatis­ch­er Samm­ler von Kunst­werken und Büch­ern. Er starb 1612, sechs Jahre bevor mit dem Prager Fen­ster­sturz der Dreis­sigjährige Krieg begann.

Damals kein Verbrechen

Als Köni­gin Christi­na Anfang August 1648 von der Eroberung Prags erfuhr, gab sie Gen­er­al Königs­mar­ck den Auf­trag, ihr die Bib­lio­thek und die Rar­itäten, die sich in Prag befind­en, zu schick­en. Kun­straub galt damals nicht als Kriegsver­brechen. Hugo Grotius, ein­er der Grün­derväter des Völk­er­rechts und schwedis­ch­er Botschafter in Frankre­ich (1634–1645), ver­trat die Auf­fas­sung, dass das göt­tliche Gesetz den Erober­ern das Recht gab, Kriegs­beute zu nehmen, wenn die belagerte Stadt nicht das Ange­bot der Kapit­u­la­tion annahm. Die Schwe­den leis­teten ganze Arbeit und räumten den Hrad­schin, die Prager Burg, aber auch Palais und Klöster leer. Im Früh­ling 1649 erre­icht­en die Kun­stschätze Stock­holm.Damit war die Reise des Manuskripts noch nicht zu Ende. Als Köni­gin Christi­na 1654 zum Katholizis­mus kon­vertierte, über­gab sie die Hand­schrift ihrem Bib­lio­thekar Isaac Vos­sius, nicht als Geschenk, son­dern um Schulden zu begle­ichen. Vos­sius nahm den Codex in seine Heimat Hol­land mit. Dort kaufte ihn 1662 Graf Mag­nus Gabriel De la Gardie, schwedis­ch­er Reich­skan­zler und Kan­zler der Uni­ver­sität Upp­sala. 1669 schenk­te De la Gardie den mit einem prächti­gen sil­ber­nen Ein­band verse­henen Codex der Uni­ver­sität Upp­sala.Reg­u­la Vogt-Kohler1618–1648 (Teil 2) Unter­schiedliche Aspek­te der kom­plex­en Geschichte des Dreis­sigjähri­gen Kriegs sind das The­ma ein­er losen Serie von Beiträ­gen. Bere­its erschienen ist: Der Sturz in die europäis­che ­Katas­tro­phe (23/2018).

Uppsala: Silberbibel und ein mächtiger Dom

Die Sil­ber­bibel ist zurzeit nicht zu besichti­gen: Wegen Umbauar­beit­en ist die Ausstel­lung in der Car­oli­na Redi­vi­va, dem Haupt­ge­bäude der Uni­ver­sitäts­bib­lio­thek (UB) von Upp­sala, bis Mitte 2019 geschlossen. Via Home­page der UB ist sie jedoch dig­i­tal zugänglich (alvin-portal.org; Such­be­griff Sil­ver Bible). Ein Besuch von Upp­sala lohnt sich nicht nur der kost­baren Sil­ber­bibel wegen. Zu den Sehenswürdigkeit­en der rund 70 Kilo­me­ter nördlich von Stock­holm gele­ge­nen Stadt gehören der mächtige Dom St. Erik, die grösste Kirche Skan­di­naviens, und der von Carl von Lin­né, dem Schöpfer der mod­er­nen Namensge­bung für Pflanzen und Tiere, gestal­tete botanis­che Garten. Von Stock­holm aus lässt sich Upp­sala bequem mit dem Zug erre­ichen. rv
Redaktion Lichtblick
mehr zum Autor
nach
soben