«Ich bin gar nicht verzweifelt»

«Ich bin gar nicht verzweifelt»

Herr Bogn­er, Sie haben in Ihrem Vor­trag anlässlich der GV des Vere­ins tagssatzung.ch kein Blatt vor den Mund genom­men. Auch in Ihrem Buch «Ihr macht uns die Kirche kaputt…» schreiben Sie deut­lich, woran unsere Kirche krankt. Spricht aus Ihnen der Mut der Verzwei­flung?
Daniel Bogn­er: Ich bin gar nicht verzweifelt, weil ich davon überzeugt bin, dass der christliche Glaube eine starke Botschaft enthält, die Men­schen immer faszinieren wird. Aber es ist mit den Hän­den zu greifen, dass viele Men­schen, die diesen Glauben leben wollen, die real existierende katholis­che Kirche als ein oft­mals unpassendes Gefäss für die bib­lis­che Botschaft betra­cht­en. Das macht mir zu schaf­fen und ist eine Her­aus­forderung, weil der Glaube nicht alleine gelebt wer­den kann. Er ist zutief­st darauf angewiesen, im Aus­tausch mit anderen erschlossen, gelebt, gefeiert und über­liefert zu wer­den. Diese Gemein­schaft mit anderen nen­nt man Kirche. Im Kern sind das diejeni­gen, die sich vom Wort Gottes getrof­fen fühlen und darauf antworten wollen.

Vor kurzem wurde in Luzern ein gross­es Kirchenkri­tik­er geehrt, dem wegen sein­er Kri­tik von der Kurie in Rom die Lehrerlaub­nis ent­zo­gen und der bis zu seinem Tod nicht mehr reha­bil­i­tiert wurde. Was tun Sie, um nicht so zu enden wie Hans Küng?
Ich habe den grössten Respekt vor Hans Küng. Der Lek­türe sein­er Büch­er habe ich viel zu ver­danken! Ich möchte auf keinen Fall mit ihm ver­glichen wer­den. Im übri­gen hat der Entzug der Lehrbefug­nis nicht ver­hin­dert, dass er weit­er­hin höchst pro­duk­tiv und auch inno­v­a­tiv gedacht und pub­liziert hat. Ger­ade seine Werke zum The­ma «Wel­tethos» sind bis heute weg­weisend. Deshalb sollte man Küng nicht nur auf seinen Stre­it mit Rom reduzieren.

Sie ver­gle­ichen den hier­ar­chis­chen Auf­bau der Kirche völ­lig zu Recht mit dem ein­er abso­lutis­tis­chen Monar­chie. Den­noch scheint unser Papst, auch wenn er den Rang des Königs in dieser Monar­chie ein­nimmt, her­zlich wenig sel­ber bes­tim­men zu kön­nen. Son­st hätte er doch sich­er schon viele Entschei­dun­gen zur Erneuerung der Kirche getrof­fen. Wer hat nun also wirk­lich das Sagen in der katholis­chen Kirche?
Papst Franziskus möchte Prozesse anstossen, nicht ein­same Entschei­dun­gen fällen. Eine Hoff­nung ist, dass diese Prozesse eine Eigen­dy­namik aus­lösen, die dann unumkehrbar wird und auch dazu führt, dass neu gewonnene Erken­nt­nisse oder Ver­fahrensweisen rechtlich verbindlich fest­geschrieben wer­den. Das ste­ht bis­lang noch aus und auch der Papst war bish­er zöger­lich, dafür die Ini­tia­tive zu ergreifen.

Um etwas zu bewe­gen in dieser schein­bar ver­fahre­nen Sit­u­a­tion der Kirche, rufen Sie auf zum «pas­toralen Unge­hor­sam». Was genau ver­ste­hen Sie darunter – eine Revolte der Seel­sorg­er? Kön­nen Sie diesen «Unge­hor­sam» konkretisieren?
Es ist der «Aus­fallschritt», ein Schritt zur Seite, aus den tra­di­tionell in der Kirche zugewiese­nen Rollen her­aus. Das ist zunächst ein sym­bol­is­ch­er Schritt, aber es kann ein Zeichen sein, das Wirkung hat. Es geschieht zum Beispiel, wenn Priester ihren Gehor­sam gegenüber der Hier­ar­chie an ihr the­ol­o­gisch geschultes Gewis­sen binden, wenn Frauen die dienende und zuar­bei­t­ende Rolle zurück­geben, wenn Laien in den kirch­lichen Räten ihr Mitwirken davon abhängig machen, ob ihre Beschlüsse auch verbindlich geachtet wer­den… Der Grundgedanke lautet: Für das Schick­sal der Kirche sind nicht nur deren amtlichen Vertreter ver­ant­wortlich. Auch das Kirchen­volk hat ein beträchtlich­es Gewicht, das es klug ein­set­zen sollte. Man muss her­auskom­men aus dem Schäfchen-Gehor­sam, der oft­mals tief eingeprägt ist durch die katholis­che Sozial­i­sa­tion.

Frage an den Moralthe­olo­gen und Ethik­er: Welche moralis­chen oder ethis­chen Gründe gibt es, Frauen nicht als Pries­terin­nen zu wei­hen?
Es gibt keine ethis­chen Gründe im eigentlichen Sinne. Aber die Frage ist damit noch nicht aus­re­ichend beant­wortet, denn es kann the­ol­o­gis­che Gesicht­spunk­te geben, die zu berück­sichti­gen sind.

Und wenn es wed­er moralis­che noch ethis­che Gründe sind, wie begrün­det die Kirche dann diese völ­lig unzeit­gemässe Ungle­ich­be­hand­lung von Frauen, die eine priester­liche Beru­fung in sich spüren?
Das Argu­ment der Tra­di­tion lautet, dass Jesus auss­chliesslich Män­ner zu seinen Jüngern berufen hat. Das priester­liche Amt hat zur tief­sten Auf­gabe, eine per­son­ale «Repräsen­ta­tion» Christi zu leis­ten und dazu gehört auch das Mann­sein Jesu. Dage­gen machen sich aber zunehmend Über­legun­gen vernehm­bar, die darauf drin­gen, weit­ere Aspek­te zu berück­sichti­gen: Wie genau ist diese Chris­tus-Repräsen­ta­tion zu ver­ste­hen? Liegt denn das Entschei­dende an Jesu Gottes­sohn­schaft vielle­icht gar nicht in seinem Mann­sein, son­dern in seinem Men­sch­sein? Män­ner berief er zu seinen Apos­teln, weil die dama­lige Welt eine patri­ar­chal geprägte war. Hätte Jesus nicht in einem anderen Kon­text selb­stver­ständlich auch Frauen zu Apos­tolin­nen berufen? Gerne wird auch überse­hen, dass mit der neutes­ta­mentlich erwäh­n­ten Junia bere­its eine Frau apos­tolis­chen Charak­ter trägt!

Wenn die Bedin­gun­gen, die Sie in Ihrem Buch auflis­ten, erfüllt sind und die Kirche, unter anderem, wieder eine «echte Heimat» ist, inter­essieren sich dann automa­tisch auch junge Men­schen wieder dafür oder braucht es dazu noch mehr und ein ganz anderes Engage­ment?
Dass die Kirche für Men­schen zur Heimat wird, ist eine niemals endende Auf­gabe. Dazu gehört es nicht nur, diese Kirche nach bes­timmten ethisch-moralis­chen Grundüberzeu­gun­gen zu gestal­ten, für die das Chris­ten­tum ste­ht, son­dern viel mehr. Kirche muss auch den Zun­gen­schlag ein­er bes­timmten Zeit ken­nen und auf eine Weise sprechen ler­nen, dass eben in ihm die christliche Botschaft vernehm­bar wird. Das ist eine hohe Kun­st, die alle in der Kirche immer wieder neu und demütig ler­nen müssen und für die es kein pauschales Rezept gibt. Auch sollte man fra­gen, was «Heimat» denn genau bedeutet! Es kann nicht meinen, dass man sich halt in der Kirche so daheim zu fühlen hat, wie auf der Wohnz­im­mer­couch am Fre­itagabend… Kirche muss zweier­lei leis­ten: Sie soll Men­schen emp­fan­gend annehmen und sie dann wieder hin­aussenden, in ein­er ständi­gen Wech­sel­be­we­gung…

Sie haben in Ihrem Vor­trag an die Schweiz­er Katho­liken appel­liert, ihre «Son­der­tra­di­tio­nen» in die Weltkirche einzubrin­gen. Welche Son­der­tra­di­tio­nen meinen Sie und sind Sie sich­er, dass die katholis­che Welt und ganz beson­ders die Kurie in Rom auf Vorschläge aus einem Land wartet, das nur ger­ade mal 8,7 Mil­lio­nen Ein­wohn­er hat, von denen nur noch 3,02 Mil­lio­nen Katho­liken sind – Ten­denz sink­end?
Ich erin­nere an die Diöze­san­ver­fas­sun­gen, etwa von Basel und St. Gallen, die den Ort­skirchen eine ganz beson­ders aus­geprägte Mit­sprachemöglichkeit bei Bischof­swahlen und auch der Aus­gestal­tung des pfar­reilichen Lebens vor Ort ermöglichen. Zwar ist dieser Schweiz­er Weg «nur» eine einzelne ort­skirch­liche Spur. Aber er hat eine lange kirchengeschichtliche Tra­di­tion und hat sich vielfach bewährt. Insofern kann er ein Muster sein, das man in das weltkirch­liche Gespräch selb­st­be­wusst ein­brin­gen sollte. Und der Papst ruft ja dazu auf, dass gemein­sam nach den besten Wegen gesucht wird und viele einzelne Erfahrun­gen einge­bracht wer­den sollen.

Sie sehen im syn­odalen Weg eine Möglichkeit, die struk­turellen Defizite unser­er Kirche zu über­winden. Wie sähe dieser Prozess ganz konkret aus? Man darf ja Syn­odal­ität keines­falls mit Demokratie gle­ich­set­zen, was viele Anhänger der syn­odalen Bewe­gung schein­bar tun…
Ich bin eher zurück­hal­tend in mein­er Ein­schätzung der gegen­wär­tig lancierten «syn­odalen Wege» in den Kirchen der Schweiz und Deutsch­lands. Die grundle­gende Her­aus­forderung lautet: Wie kann es möglich sein, Syn­odal­ität als verbindlich­es Kri­teri­um ein­er gle­ichen Teil­habe aller Kirchenglieder im Rah­men ein­er hier­ar­chis­chen Kirchen­ver­fas­sung zu etablieren, die unhin­ter­fragt als gegeben geset­zt ist? Funk­tion­iert Syn­odal­ität unter dieser Hypothek? Das jüng­ste Doku­ment des Vatikans spricht von ein­er «kon­sti­tu­tiv­en Syn­odal­ität» der Kirche. Damit ist an Hal­tung und Ein­stel­lung appel­liert, und das ist natür­lich von grossem Wert. Aber genügt das schon? Man kön­nte auch darüber nach­denken, sich auf den Weg zu ein­er «kon­sti­tu­tionellen Syn­odal­ität» zu machen, welche Teil­habe und Mit­gestal­tung nicht nur im Modus der Beratung und Kon­sul­ta­tion, son­dern auch im Modus des Entschei­dens verbindlich macht.

Ger­ade weil es so scheint, als wäre dieser Weg noch ein sehr langer, fra­gen wir Sie als kämpferischen Rufer an Bord des arg schwank­endes Kirchen­schiffes bewusst: Was lässt Sie an dieser Kirche so unbeir­rt fes­thal­ten?
Für mich ist entschei­dend, dass man den Glauben nicht alleine leben kann, son­dern ein­er Gemein­schaft bedarf, in der er gemein­schaftlich erzählt, gefeiert und über­liefert wird. Das ist die Kirche und ihre zen­trale Daseins­berech­ti­gung, an der sie sich aus­richt­en muss. An der Kirche in ihrer heuti­gen Gestalt halte ich nicht unbeir­rt fest. Viele Men­schen in der Ver­gan­gen­heit haben das mit der Kirche ihrer Zeit auch nicht getan – und deshalb kon­nte sich die Kirche erneuern und weit­er­en­twick­eln.

Christian Breitschmid
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