«Helvetia predigt!» am 1. August

«Helvetia predigt!» am 1. August

  • Vor 50 Jahren, am 7. Feb­ru­ar 1971, erhiel­ten die Frauen in der Schweiz, nach mehr als 100 Jahren Kampf der Frauen­be­we­gung, das Stimm- und Wahlrecht.
  • Grund genug für den SKF, den Schweiz­erischen Katholis­chen Frauen­bund, am Geburt­stag der Schweiz, dem 1. August, dieses Jahr in allen Kirchen die Frauen predi­gen zu lassen.
  • Auch wenn per Gesetz bei­de Geschlechter gle­ichgestellt sind, so sind sie es im Staat, in der Kirche und in den Köpfen der Patri­archen noch lange nicht.


Ein Titel spricht Bände: Hel­ve­tia predigt! Unter diesem Mot­to ruft der Schweiz­erische Katholis­che Frauen­bund (SKF) alle Kirchen der Schweiz dazu auf, am Son­ntag, dem 1. August 2021, ihre Ambos, Kanzeln und Altäre frei zu machen, damit Frauen predi­gen kön­nen. Es wäre kein Son­ntag in diesem Jahr bess­er für diese öku­menis­che Aktion geeignet als eben dieser, an dem die Schweiz ihre Bun­des­feier zele­bri­ert. Die Eidgenossen­schaft feiert an diesem Tag ihre alle­gorische Lan­desmut­ter Hel­ve­tia, und diese hin­wiederum, als Frau, die sie ist, feiert bes­timmt mit allen Frauen dieses Lan­des den Umstand, dass sie seit nun­mehr 50 Jahren das Recht haben, an Abstim­mungen teilzunehmen, zu wählen und sel­ber auch gewählt zu wer­den.

Ziel: Frauen sichtbar machen

[esf_wordpressimage id=“33187” width=“half” float=“left”][/esf_wordpressimage]Silvia Huber, Beauf­tragte für The­olo­gie beim SKF und vie­len Radio­hör­ern bekan­nt als regelmäs­sige Predi­gerin bei Radio SRF in der Radio­predigt, gehört zu ein­er Gruppe von The­ologin­nen, die 2019 zusam­men­fan­den, als sie den Frauenkirchen­streik unter dem Mot­to  «Gle­ich­berech­ti­gung. Punkt. Amen.» aus­riefen. Sei­ther tre­f­fen sie sich in los­er Folge, aber immer dann, wenn eine neue Aktion zur Förderung der Gle­ich­berech­ti­gung ange­sagt ist. «Dies­mal ist es aber keine Protes­tak­tion», betont Huber. «Bei ‹Hel­ve­tia predigt!› geht es darum, uns Frauen sicht­bar zu machen in der Kirche. Genau wie in den poli­tis­chen Gemein­den, wo ja auch Frauen dazu ein­ge­laden sind, die 1. August-Reden zu hal­ten. Es ist halt schon so: Wir haben das Stimm­recht und offiziell alle poli­tis­chen Rechte, aber Frauen sind trotz­dem weniger sicht­bar.»

Die Forderung des SKF, Frauen am 1. August in den Kirchen predi­gen zu lassen, dürfte nicht über­all auf offene Ohren stossen. Wer das gel­tende Kirchen­recht streng auslegt, wird wed­er den 1. August noch die Feier von 50 Jahren Frauen­stimm­recht im Sinne von Canon 766 als Aus­nahme gel­ten lassen. Da ste­ht näm­lich: «Zur Predigt in ein­er Kirche oder ein­er Kapelle kön­nen, nach Mass­gabe der Vorschriften der Bischof­skon­ferenz und vor­be­haltlich von can. 767, § 1, Laien zuge­lassen wer­den, wenn das unter bes­timmten Umstän­den notwendig oder in Einzelfällen als nüt­zlich anger­at­en ist.»

Aufgeschlossene Bischöfe

Und auf genau jenen Canon 767, § 1, wer­den sich all jene berufen, die keinem Laien und schon gar nicht ein­er Frau das Predigt­wort über­lassen wollen, denn: «Unter den For­men der Predigt ragt die Hom­i­lie her­vor, die Teil der Liturgie selb­st ist und dem Priester oder dem Diakon vor­be­hal­ten wird;…» Der Bischof unser­er Diözese und Präsi­dent der Schweiz­er Bischof­skon­ferenz, Felix Gmür, gehört zu den aufgeschlosse­nen Kirchen­fürsten. Eben­so der Bischof von St. Gallen, Markus Büchel. Bei­de haben unlängst öffentlich kund­getan, dass in ihren Bistümern die soge­nan­nte Laien­predigt nicht nur toleriert, son­dern erwün­scht ist. In den Bistümern Basel und St. Gallen, aber auch in vie­len Kirchge­mein­den ander­er Bistümer, leg­en Frauen seit Jahrzehn­ten die Bibel aus. Frauen sind nicht nur in dieser Hin­sicht aus dem kirch­lichen All­t­agsleben gar nicht mehr wegzu­denken.

Was würde Hel­ve­tia wohl sagen, wenn sie am 1. August zu den Men­schen sprechen kön­nte? | Foto: Wern­er Rol­li

Den­noch müssen sich Frauen, auch 50 Jahre nach Anerken­nung ihrer poli­tis­chen Rechte, noch immer recht­fer­ti­gen, wenn Sie das Wort erheben wollen: «Es ist immer noch nicht erlaubt, dass wir Frauen Forderun­gen stellen», sagt Sil­via Huber. «Es ist nach wie vor eine Diskus­sion wert, ob man über­haupt auf diese Idee von ‹Hel­ve­tia predigt!› ein­steigen will oder nicht.» Sie sel­ber wurde von einem Pas­toral­raum­leit­er ange­fragt, ob sie die Predigt am 1. August hal­ten würde. Sie hat mit Freude zuge­sagt. Doch dann habe der lei­t­ende Priester jenes Pas­toral­raums entsch­ieden, er wolle doch lieber gle­ich selb­st predi­gen, dafür müsse man nie­man­den von aussen holen. «An solchen Fein­heit­en merkt man, dass diese Aktion nach wie vor nötig ist.»

Auch französische Schweiz erwacht

[esf_wordpressimage id=“33189” width=“half” float=“right”][/esf_wordpressimage]Wieviele Frauen sich in der ganzen Schweiz als Gast­predi­gerin­nen zur Ver­fü­gung stellen oder als solche schon von Kirchge­mein­den gebucht wor­den sind, kann Huber nicht sagen. Um diese Sta­tis­tik zu erfassen und zu ver­wal­ten, fehlen der Aktion­s­gruppe des SKF die Ressourcen. Aber auf der Web­site des SKF kann man einen Ein­druck davon gewin­nen, wie vielfältig das Predi­gerin­nenange­bot ist. Ausser­dem kön­nen sich nun­mehr Ermutigte auch gle­ich sel­ber über dieselbe Web­site als Predi­gerin zur Ver­fü­gung stellen.

Nach dem 1. August werde sich die SKF-Gruppe dann wieder tre­f­fen, um auszuw­erten, was die Frauen mit «Hel­ve­tia predigt!» gese­hen, gehört und erlebt haben. «Wir wer­den uns darüber freuen, was alles gelaufen ist und worüber die Medi­en berichtet haben», sagt die erfahrene Radio­predi­gerin und fügt an: «Dann gehen wir als Gruppe in den Win­ter­schlaf und schauen danach wieder, wo’s uns braucht. ‹Hel­ve­tia predigt!› ist ein­fach ein Mosaik­steinchen in der Bewe­gung ‹gle­iche Würde – gle­iche Rechte›, nicht mehr.»

Doch dann sprudelt es plöt­zlich aus der überzeugten Fem­i­nistin her­aus: «Für die franzö­sis­chsprachi­gen Frauen kön­nte sich allen­falls etwas verän­dern. Die welschen The­ologin­nen und kirch­lich engagierten Frauen haben die Aktion ‹Hel­ve­tia predigt!› auch aufgenom­men. Bei ihnen gibt es einen hohen Nach­holbe­darf. In einem Artikel durften sie die Aktion ja nicht ein­mal so nen­nen. Es hiess dann da ‹Hel­ve­tia spricht› oder so, denn predi­gen darf sie dort offen­sichtlich noch nicht. (lacht) Eine solche Aktion bringt Schwung. Wir Frauen brauchen gute Erleb­nisse und gute Ver­net­zun­gen, damit wir dran­bleiben. Das hat der Frauenkirchen­streik sehr bewirkt, und ich hoffe, dass auch ‹Hel­ve­tia predigt!› etwas in dieser Rich­tung bewe­gen wird.»

«Helvetia ist ein Idealbild»

[esf_wordpressimage id=“33188” width=“half” float=“left”][/esf_wordpressimage]Bleibt noch die Frage, wen oder was sich die SKF-The­olo­giebeauf­tragte denn selb­st unter dem Begriff Hel­ve­tia vorstellt. Darauf Sil­via Huber: «Sie ist für mich ganz klar eine Alle­gorie, keine eigentliche Per­son. Für mich schliesst sie an bei anderen alle­gorischen Fig­uren wie etwa der Gerechtigkeit. Solche Fig­uren wer­den gerne Frauen zugeschrieben. Man hat Frauen als alle­gorische Fig­uren gebraucht, aber die Rechte hat man ihnen nicht gegeben. Es ist ein­fach so ein Ide­al­bild. Wie beim Mut­tertag, wo man ein­mal im Jahr die Müt­ter feiert, aber nach­her sollen sie wieder zurück in die Küche und an den Herd. Man schreibt ihnen viel Gutes und Pos­i­tives zu, gren­zt sich aber auch gle­ichzeit­ig wieder ab. Man spricht ja auch nicht von Mut­ter Staat, son­dern von Vater Staat. Darum schaut die Hel­ve­tia in Basel wohl auch eher nach­den­klich. Denn man hat ihr eine Rolle zugeschrieben, die sie gar nicht ent­fal­ten kon­nte. Wenn ich das weit­er­spinne, dann sage ich, wir müssen dieser Hel­ve­tia nun Fleisch an die Knochen geben oder Leben ein­hauchen, durch konkrete Frauen, die hin­ste­hen und sich ein­brin­gen.»

Sil­via Huber macht sich nichts vor. Sie weiss, wie schw­er es ist, alte Wege zu ver­lassen: «Als Fem­i­nistin sage ich: Das patri­ar­chale Sys­tem ist so alt, das kon­nte sich so fes­ti­gen, dass man es nicht ein­fach durch­brechen kann. Im patri­ar­chalen Sys­tem prof­i­tieren die Män­ner, nicht als einzelne, son­dern eben als Sys­tem. In der katholis­chen Kirche wird das noch gefördert durch die spir­ituelle Über­höhung dieses patri­ar­chalen Sys­tems, wo die Män­ner als Nach­fol­ger Jesu direkt von Gott einge­set­zt sind. Das macht alles noch zäher. Men­schen wollen keine Verän­derun­gen, weil es ein­fach­er ist, so weit­erzu­machen, wie man’s ken­nt. Bei Sys­te­men ist das noch extremer. Darum dauert es auch extrem lange, bis sich ein Sys­tem verän­dert. Wir sind aber an einem Punkt ange­langt, wo die katholis­che Kirche nicht weit­erkommt, wenn sie die Frauen­frage nicht endlich anpackt.» An The­men man­gelt es Mut­ter Hel­ve­tia jeden­falls nicht, wenn sie am kom­menden 1. August ihre Stimme erhebt.

Christian Breitschmid
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