«Hat der Friedhof ausgedient?»

«Hat der Friedhof ausgedient?»

  • Der Fried­hof hat nicht aus­ge­di­ent, soviel vor­weg.
  • Aber die Fried­höfe verän­dern sich mit den indi­vidu­ellen religiösen Bedürfnis­sen der Men­schen.
  • Ein Podi­ums­ge­spräch in Lenzburg, das im Rah­men der Ausstel­lung Lebenswerk Lebensende zum 95. Geburt­stag der Hos­piz­grün­derin Luise Thut stat­tfand, hat sich mit der Zukun­ft des Fried­hofs befasst.

Indi­vid­u­al­is­mus, Mobil­ität und Mul­tire­li­giosität hin­ter­lassen auch im Bestat­tungswe­sen Spuren. «In den kom­menden Jahren kom­men so viele Men­schen ins ster­be­fähige Alter wie noch nie», sagt Mod­er­a­torin Car­men Frei. Aber längst nicht alle wollen auf dem Fried­hof bestat­tet wer­den. Denn in der Schweiz gibt es keinen Fried­hofzwang. Zudem gibt es neue Bestat­tungs­for­men wie etwa die Erdi­gung, bei der der Kör­p­er kom­postiert wird.

Ort der Stille oder Oase

[esf_wordpressimage id=43679 width=half float=left][/esf_wordpressimage]Mit den Bestat­tungs­for­men ändern sich auch die Fried­höfe. Reto Büh­ler, Leit­er des Zürcher Fried­hof Forum, schildert das anschaulich. Der Druck auf Fried­höfe werde immer gröss­er. Dass immer mehr Men­schen in den Parkan­la­gen ihre Freizeit ver­brin­gen, führe auch zu Kon­flik­ten: «Es gibt Leute, die sich ausziehen, gril­lieren oder Sport treiben.» Es stelle sich die Frage, wie die Men­schen mit ihren Freizeitbedürfnis­sen auf dem Fried­hof inte­gri­ert wer­den kön­nten. Für Reto Büh­ler hat der Fried­hof nicht aus­ge­di­ent. Er müsse aber mit der Zeit gehen. «Wir wer­den auf dem Fried­hof Sihlfeld als Erste ein Grabfeld für LGBTQ-Men­schen machen», sagt Reto Büh­ler, der sich nach seinem Tod eine Erdi­gung wünscht.[esf_wordpressimage id=43678][/esf_wordpressimage]

Grabstein, Baum, Erdigung

[esf_wordpressimage id=43677 width=half float=right][/esf_wordpressimage]Damit kann Vale­ria Hen­gart­ner nichts anfan­gen. Sie möchte ein Grab, um davor still trauern zu kön­nen. Die katholis­che The­olo­gin wün­scht sich aber, dass Grab­stät­ten indi­vidu­eller gestal­tet wer­den kön­nen. Wie etwa die Gemein­schafts­gräber für früh ver­stor­bene Kinder auf den Fried­höfen in Aarau und Lenzburg. «Das sind wun­der­schöne Orte zum Trauern», sagt die Spi­talseel­sorg­erin, «die Trauern­den tre­f­fen sich dort und fühlen sich nicht allein». Markus Dietik­er, Inhab­er der Fir­ma Himm­lis­che Eichen – Bestat­tun­gen im Wald der Lenzia, bietet Baumbestat­tun­gen an. «Die meis­ten Kundin­nen und Kun­den haben einen per­sön­lichen Bezug zu unseren Bäu­men», berichtet er. Warum Men­schen ihre Asche bei einem Baum bestat­tet haben woll­ten, fragte eine Zuhörerin. «Manchen Leuten gefällt das Gemein­schafts­grab der Gemeinde nicht. Andere haben keinen Bezug mehr zur Kirche und wollen deshalb nicht auf dem Fried­hof neben der Kirche bestat­tet wer­den», nen­nt Markus Dietik­er mögliche Gründe.

Die Toten sind allgegenwärtig

[esf_wordpressimage id=43673 width=half float=left][/esf_wordpressimage]Moderatorin Car­men Frei stellt bei ihren Spaziergän­gen am Hall­wilersee immer wieder fest: «Dieser Ort ist ein Gross­fried­hof.» Das merke sie an den bren­nen­den Kerzen am Ufer im Sand, hingestellt von Ange­höri­gen eines Ver­stor­be­nen, dessen Asche sie im See ver­streut hät­ten. «Wenn ich durch das Wass­er schwimme, kom­men mir nicht sel­ten Rosen­blüten ent­ge­gen.» Die Toten seien heute über­all, sagt Car­men Frei, das fän­den nicht alle Men­schen gut. Bestat­tung­sun­ternehmerin Clau­dia Moldovànyi weist das Pub­likum darauf hin, dass die Asche eines Ver­stor­be­nen nicht ein­fach ver­streut wer­den solle. «Das ist pietät­los. Kein­er will auf dem See durch die Asche eines Ver­stor­be­nen schwim­men», sagt die Bestat­tung­sun­ternehmerin lakonisch. Sie selb­st arbeite mit Salzur­nen: «Die gehen im Wass­er sofort unter wie Steine und lösen sich auf.» Für die Wasserbestat­tung suche sie sich die tief­ste Stelle im See aus.

[esf_wordpressimage id=43680 width=half float=right][/esf_wordpressimage]Die Urne im Büchergestell aufzube­wahren, find­et die The­olo­gin Vale­ria Hen­gart­ner prob­lema­tisch. «Auf diese Weise ist es schwierig, sich von der ver­stor­be­nen Per­son zu tren­nen.» Auch der Seebestat­tung kann sie nicht viel abgewin­nen: «Der Trauer­prozess geht durch ver­schiedene Phasen. Wir wis­sen nicht, ob wir später nicht doch das Bedürf­nis haben, ein Grab aufzusuchen.»

Büro für die letzte Reise

Für Reto Büh­ler ist ein Fried­hof immer auch ein Ort der kul­turellen Auseinan­der­set­zung mit dem Tod. Auf dem Fried­hof Sihlfeld ver­anstal­tet das Büro für die let­zte Reise deshalb kun­sthis­torische Führun­gen, Konz­erte und Ausstel­lun­gen. Reto Büh­ler ist überzeugt: «Der Fried­hof ist kein abgeschlossen­er Ort. Wir leben mit ihm. So, wie wir auch mit dem Tod leben.»


Weit­er­er Beitrag zum The­ma

https://www.horizonte-aargau.ch/luise-thut-inspiriert-uns/
Marie-Christine Andres Schürch
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