Glauben ist gut, impfen aber auch

Glauben ist gut, impfen aber auch

Propst Mar­tin Werlen, Sie haben auf Twit­ter alle ermutigt, sich impfen zu lassen, aus Ver­ant­wor­tung gegenüber sich selb­st, andern und der Zukun­ft. Welche Über­legun­gen haben Sie zum Tweet bewogen?
Mar­tin Werlen: Wir sind in ein­er für fast alle Men­schen sehr schwieri­gen Sit­u­a­tion – und das seit 20 Monat­en. Das Impfen ist nach allem, was wir weltweit bish­er an Erken­nt­nis­sen haben, das beste Instru­ment, dem Virus Ein­halt zu gebi­eten. Geimpfte wer­den weniger angesteckt und tra­gen das Virus weniger weit­er, eine Erkrankung hat einen milderen Ver­lauf. Es ist der grösste Beitrag, die Spitäler zu ent­las­ten. Und es trägt bei, dass wir weltweit wieder aufat­men kön­nen. Eine möglichst hohe Impfquote ist auch für Betriebe über­lebenswichtig. Den Inhalt des Tweets habe ich zuerst an unsere 35 Mitar­bei­t­en­den gesandt.

«Jesus hätte nie­man­den gezwun­gen, eine Maske zu tra­gen und niemals zuge­lassen, dass man die alten Men­schen einsper­rt», schrieb uns eine Leserin. Was antworten Sie ihr?
Heute noch gibt es Men­schen, die die Exis­tenz des Coro­n­avirus leug­nen oder nicht wahrhaben wollen. Was nicht sein darf, ist nicht. Diese Hal­tung zeigt sich wohl auch in dieser Frage. Es geht nicht um Masken, Lock­down oder Impfen. Es geht darum, wie wir das Wüten dieses Virus ein­schränken und damit dem Men­schen helfen kön­nen. Wie nie zuvor sind Wis­senschaft­lerin­nen und Wis­senschaftler weltweit miteinan­der an der Arbeit. Alles Suchen und Mit­tra­gen, wie wir aus dieser drama­tis­chen Sit­u­a­tion her­auskom­men und auch, wie wir gle­ich­wohl einan­der nahe sein kön­nen, sind Aus­druck der Sol­i­dar­ität, der Selb­st- und der Näch­sten­liebe und der Gottes­liebe.

https://youtu.be/JWf3Ji11EaU

Mit ein­er kurzen Videobotschaft ermunterte der Papst bere­its im August dazu, sich impfen zu lassen. Er nahm damit an ein­er inter­na­tionalen Kam­pagne fürs Impfen teil.

«Dank Gott, und auch dank der Arbeit viel­er Men­schen, haben wir heute Impf­stoffe, um uns vor Covid-19 zu schützen. Das gibt uns Hoff­nung, der Pan­demie ein Ende set­zen zu kön­nen. Allerd­ings geht das nur, wenn die Impf­stoffe für alle zugänglich sind und wenn wir alle untere­inan­der zusam­me­nar­beit­en.» Sich impfen zu lassen habe etwas mit Liebe zu tun, so der Papst: mit Liebe zu sich selb­st, Liebe gegenüber Ange­höri­gen und Fre­un­den, Liebe unter den Völk­ern. Mit solchen kleinen Gesten könne jed­er dazu beitra­gen, «die Gesellschaft zu verän­dern und zu verbessern.»

Die Spal­tung zwis­chen Geimpften und Ungeimpften ist weit fort­geschrit­ten und geht mit­ten durch Fam­i­lien, Vere­ine und auch Pfar­reien. Wird man wieder zu einem ver­söh­n­ten Miteinan­der find­en kön­nen?
Zum Miteinan­der find­en wir, wenn wir alle den Geg­n­er im Virus find­en und mit den Gaben, die Gott uns anver­traut hat, uns ein­set­zen, um seine Ver­bre­itung zu stop­pen. Solange wir gegen anderes oder andere kämpfen, ziehen wir nicht am sel­ben Strick und erle­ichtern die Ver­bre­itung des Virus.

Zur Spal­tung tra­gen vor allem Leute, Grup­pierun­gen und Medi­en bei, die aus eigen­em Inter­esse unges­traft «fak­ten­freien Unsinn» — so for­mulierte es der öster­re­ichis­che Vizekan­zler Wern­er Kogler – ver­bre­it­en. Kür­zlich habe ich eine Demon­stra­tion gegen die Coro­na­mass­nah­men mit gebühren­dem Abstand mitver­fol­gt. Mir sind die Haare, die ich noch habe, zu Berge ges­tanden.

Was hil­ft denn gegen solch real­itäts­ferne Überzeu­gun­gen?
Die grosse Frage ist: Wie erre­ichen wir mit fundierten Erken­nt­nis­sen die Leute, die sich bere­its abgeschot­tet haben und – im Extrem­fall – eine Par­al­lelge­sellschaft pla­nen? Dies erin­nert mich stark an den tragis­chen Vor­fall am 6. Jan­u­ar 2021 in den USA, als das Kapi­tol gestürmt wurde. Men­schen in Poli­tik und in der Medi­en­welt tra­gen eine grosse Ver­ant­wor­tung. Als Kirche kön­nen wir die Not im Gebet vor Gott tra­gen, für die Men­schen beten, die jet­zt beson­dere Ver­ant­wor­tung tra­gen, und für uns selb­st, damit wir kreativ wer­den im Umgang mit dieser schlim­men Sit­u­a­tion und uns nicht abschot­ten und ver­härten.

Sie leben in Öster­re­ich. Was denken Sie aus the­ol­o­gis­ch­er, ethis­ch­er und per­sön­lich­er Sicht über die Impf­pflicht, die bei Ihnen bald gel­ten soll?
Es ist trau­rig, dass es eine Impf­pflicht braucht. Viele Län­der haben eine niedrige Impfquote, weil nicht genü­gend Impf­stoff zu ihnen kommt. Wir hät­ten den Impf­stoff, aber eine doch recht grosse Zahl zieht das Ich dem Wir vor.

Dabei ist der Impf­stoff so geprüft, wie kaum ein Medika­ment, das wir selb­stver­ständlich ein­nehmen. Nie­mand wird zum Impfen gezwun­gen. Aber wer sich nicht impfen lässt, muss auf Ver­schiedenes in der Gesellschaft verzicht­en und Sol­i­dar­ität mit einem regelmäs­si­gen Geld­beitrag leis­ten. Ich finde den Weg angemessen, den Öster­re­ich wagt, zumal er viele Men­schen dazu führt, sich impfen zu lassen. Was wir nicht vergessen dür­fen: Die Mehrheit der Bevölkerung trägt in gross­er Sol­i­dar­ität die schwierige Sit­u­a­tion mit – über alle Gen­er­a­tio­nen, Erfahrung­sh­in­ter­gründe, Reli­gion­szuge­hörigkeit­en und Kul­turen hin­weg. Das ist für mich eine Wei­h­nacht­ser­fahrung.

Marie-Christine Andres Schürch
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