Nach dem Lock­down in der Beiz: «Der Znü­ni ist tot»

Nach dem Lock­down in der Beiz: «Der Znü­ni ist tot»

  • Der Prä­si­dent von gastro­aar­gau (Ver­band für Hotel­le­rie und Restau­ra­ti­on) geht davon aus, dass min­de­stens ein Vier­tel aller Betrie­be im Aar­gau die Coro­na­kri­se nicht über­le­ben werden.
  • Wer nun aber glaubt, alle Aar­gau­er Bei­zer lit­ten schwer unter den Fol­gen des Lock­downs, der wird bei genaue­rem Hin­se­hen rasch eines Bes­se­ren belehrt. Hori­zon­te beglei­te­te die öku­me­ni­sche Gast­ro­seel­sor­ge­rin Corin­ne Dobler ins Obe­re Freiamt.
 Etwas wie den Lock­down hat Albert Egloff noch nie erlebt. Und das will etwas heis­sen. Immer­hin ist der 67-Jäh­ri­ge bereits seit über 40 Jah­ren Wirt – ehe­mals im Chap­pel­ehof in Woh­len, seit über 30 Jah­ren in Bel­li­kon. Die Coro­na­kri­se hat ihm nicht zuge­setzt. Albert Egloff ist ein­fach froh, dass er wie­der Gäste bewir­ten kann. Das Gast­ge­wer­be ist sei­ne Lei­den­schaft – auch übers Pen­si­ons­al­ter hin­aus.

Die «Anfän­ger» trifft es am härtesten 

«Haupt­sa­che, es geht jetzt wei­ter, alles ande­re sehen wir dann spä­ter», höre sie immer wie­der in Gesprä­chen mit Wir­ten, erklärt Corin­ne Dobler. Die öku­me­ni­sche Gast­ro­seel­sor­ge­rin aus dem Aar­gau zeigt sich bei gesell­schaft­li­chen Anläs­sen der Wir­te und bie­tet Hand zu seel­sor­ge­ri­schem Gespräch, wo dies gewünscht wird. Ein­mal im Jahr orga­ni­siert die refor­mier­te Pfar­re­rin mit ihrem katho­li­schen Kol­le­gen, dem Zir­kus- und Schau­stel­ler-Pfar­rer Adri­an Bolz­ern, einen Wir­te­got­tes­dienst in Muri und eine Wall­fahrt ins Jonen­tal (sie­he Begleit­text). Auch bei den Pro­ben des Wirt­e­chors zeigt sich die Theo­lo­gin mit den keck gefärb­ten Haa­ren regel­mäs­sig.«Wer schon 20 bis 30 Jah­re im Geschäft ist, hat Erfah­rung und weiss Kri­sen zu mei­stern», erklärt Corin­ne Dobler mit Blick auf die in den Medi­en oft beschwo­re­ne Kri­se der Gastro­bran­che im Zuge des Lock­downs. Gewiss: Jene, die noch nicht so lang im Geschäft sind, die tref­fe es schon hart. Schon vor der Kri­se waren 65 Pro­zent der Aar­gau­er Gastro-Betrie­be nicht ren­ta­bel. «Gera­de wenn jemand anfängt, nimmt er sich kaum Lohn, steckt alles in die Infra­struk­tur», weiss auch Albert Eggloff. «Wenn dann so etwas pas­siert wie der Lock­down, ist das schon schlimm. Beson­ders, wenn meh­re­re Tau­send Fran­ken Pacht monat­lich bezahlt wer­den müs­sen.»

Geld, dank der Ver­si­che­rung gegen die Pandemie

Mit der Wie­der­eröff­nung nach Bekannt­ga­be der Locke­run­gen hat sich die Situa­ti­on für vie­le Wir­te nicht ent­spannt. Inner­halb einer Gast­stu­be müs­sen Abstands­re­geln ein­ge­hal­ten wer­den, zudem ist die Platz­zahl an den Tischen beschränkt. Bei Albert Egloff ste­hen die Tische wei­ter als sonst aus­ein­an­der, aber immer­hin kom­men die Gäste wie­der.Mar­cel Huber, der mit sei­ner Geschäfts­part­ne­rin Lydia Mai ober­halb von Jonen ein Aus­flugs­re­stau­rant betreibt, emp­fängt uns an sei­nem Ruhe­tag. Sowohl in der Gast­stu­be als auch auf der Ter­ras­se wur­de das Platz­an­ge­bot aus­ge­dünnt. Gleich­wohl gibt sich Mar­cel Huber ähn­lich gelas­sen wie Alfred Egloff. Man müs­se posi­tiv den­ken, sagt er. Er jeden­falls habe die Zeit des Lock­downs für Ande­res nut­zen kön­nen. Aber klar: Heu­te habe ja kaum noch jemand finan­zi­el­le Reser­ven – auch weil sich das aus steu­er­li­chen Grün­den nicht ren­tie­re, sagt er. Inso­fern kön­ne es schon schnell ein­mal eng wer­den.Mar­cel Huber und Albert Egloff gehö­ren nicht nur zu den alten Hasen im Geschäft, son­dern offen­sicht­lich auch zu den schlau­en Füch­sen ihres Gewer­bes. Bei­de haben sie eine Pan­de­mie-Ver­si­che­rung abge­schlos­sen. Eine sol­che ent­schä­digt Umsatz­aus­fäl­le oder lau­fen­de Kosten wie die Mie­te. Mar­cel Huber hat zudem einen zins­lo­sen «Coro­na­kre­dit» bean­tragt und erhal­ten. Gebraucht habe er ihn noch nicht, wie er sagt.

Das ver­ord­ne­te Untä­tig­sein mach­te vie­le depressiv

Die Unter­stüt­zung von Sei­ten der Poli­tik grei­fe durch­aus, sind sich bei­de Wir­te einig. Den mei­sten Wir­ten habe weni­ger die Exi­stenz­angst als viel­mehr das ver­ord­ne­te Untä­tig­sein wäh­rend des Lock­downs und die Unge­wiss­heit dar­über, wann wie­der geöff­net wer­den kön­ne, zu schaf­fen gemacht. «Vie­le Wir­te ken­nen nichts ande­res als ihre Arbeit, die haben kei­ne Hob­bys und über ihre Gäste hin­aus auch kein sozia­les Netz» weiss Mar­cel Huber. Eini­ge sei­en da regel­recht depres­siv gewor­den, bestä­tigt Corin­ne Dobler.Wäh­rend des Lock­downs hät­ten ihr eini­ge Wir­te das Herz aus­ge­schüt­tet, so Corin­ne Dobler. Aber öffent­lich über ihre Sor­gen reden, woll­ten vie­le Aar­gau­er Wir­te nicht. Im Kon­takt ste­he sie vor allem mit älte­ren, tra­di­tio­nel­len Wir­ten. Denen sei die Reli­gi­on noch wich­tig – im Gegen­satz zu den Jün­ge­ren. Und die tra­di­tio­nel­len Wir­te hät­ten oft auch klei­ne­re Betrie­be mit Stamm­kund­schaft. «Die­se trifft die Kri­se gene­rell weni­ger hart.» Je grös­ser der Betrieb, je mehr Ban­ket­te, desto grös­ser der Scha­den, weiss die Seel­sor­ge­rin.

Wich­tig sei es, die Chan­cen zu sehen

Mar­cel Huber ist nach der Wie­der­eröff­nung gut gestar­tet. Er hat oft vol­les Haus und muss vie­le Leu­te ver­trö­sten. Natür­lich kön­ne er auf­grund der Auf­la­gen nur noch ein Drit­tel der übli­chen Gäste bewir­ten, doch der 44-jäh­ri­ge Gast­wirt weiss der Situa­ti­on auch Chan­cen abzu­ge­win­nen.Ein Mas­ke trägt Mar­cel Huber nicht. Er bedau­ert, dass er in den ersten Wochen nach Ende des Lock­downs nicht mehr wie frü­her ein­fach zu sei­nen Gästen an den Tisch sit­zen darf. Das Sozia­le sei im Zuge der Pan­de­mie­be­kämp­fungs­mass­nah­men unter die Räder gekom­men. «Dar­um kom­men auch kei­ne Leu­te mehr an den Stamm­tisch – weil sie nicht mehr zusam­men­sit­zen dür­fen.» Das­sel­be gel­te für den Znü­ni in der Beiz: «Der Znü­ni ist tot», weiss Mar­cel Huber von Wirts­kol­le­gen. Das sei schon trau­rig.

Hof­fen auf wei­te­re Lockerungen

Sowohl Albert Egloff als auch Mar­cel Huber sind über­zeugt, dass in Anbe­tracht der posi­ti­ven Ent­wick­lung der letz­ten Wochen bald wei­te­re Beschrän­kun­gen fal­len wer­den und sich die Situa­ti­on wei­ter nor­ma­li­sie­re. Und viel­leicht kom­men dann die Leu­te auch für den Znü­ni wie­der in die Beiz. 
Andreas C. Müller
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