Eine Nummer für alle Fälle

Eine Nummer für alle Fälle

  • Hin­ter der Darge­bote­nen Hand ver­ber­gen sich viele Hände von frei­willi­gen ​Mitar­bei­t­en­den.
  • Zum Beispiel die von Ros­alie und ihrer Men­torin Cor­nelia.
  • Sie nehmen das Tele­fon ab und hören zu, wenn Menschen​ es am meis­ten brauchen.

Cor­nelia ist nur ihr Deck­name und die Adresse, an der unser Gespräch stat­tfind­et, ist auch geheim. «Anonymität ist unser Bonus», sagt die Tele­fon­seel­sorg­erin, «sie schützt die Anrufend­en und uns frei­willige Mitar­bei­t­ende von der Darge­bote­nen Hand.» Cor­nelia nimmt seit 15 Jahren Anrufe auf der Lin­ie 143 ent­ge­gen. Ros­alie, die eigentlich auch anders heisst, hat im ver­gan­genen Sep­tem­ber die Aus­bil­dung als Bera­terin für die Darge­botene Hand begonnen. «Wenn ich meinen Dienst antrete, zünde ich auf meinem Pult eine Kerze an. Nehme ich das Tele­fon ab, gibt es für mich nie­man­den, auss­er der Per­son am anderen Ende der Leitung», sagt Cor­nelia. Es gibt viele Gründe, warum Men­schen sich an die Darge­botene Hand wen­den: Prob­leme bei der Arbeit, Exis­ten­zäng­ste, Beziehung­sprob­leme, Ein­samkeit. Manch­mal wollen die Anrufend­en etwas loswer­den, das sie nie­man­dem erzählen kön­nen, manch­mal wollen sie ihre Schuldge­füh­le loswer­den, manch­mal brauchen sie eine Adresse ein­er Anlauf­stelle. Nicht sel­ten gehe es im Gespräch um eine Ausle­ge­ord­nung, sagt Cor­nelia. Wie ist die Sit­u­a­tion? Welche Optio­nen gibt es?

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Empathie, keine Ratschläge

Cor­nelia hat nicht den Anspruch, dass sie die Sit­u­a­tion der Anrufend­en verbessern kann, aber sie verän­dern, einen Stein ins Rollen brin­gen, das möchte sie unbe­d­ingt. Die Darge­botene Hand sei keine Helpline und sie erteile keine Ratschläge. Als Telefonseel­sorgerin hört Cor­nelia empathisch zu und ver­sucht zu spüren, was die Men­schen am anderen Ende der Leitung brauchen. Dazu macht sie sich Noti­zen, um den Überblick zu behal­ten. Ros­alie ver­gle­icht die Sit­u­a­tion mit fol­gen­dem Bild: «Wir sind wie ein Eich­hörnchen auf dem Baum, das von oben das Geschehen aus der Dis­tanz beobacht­en kann.» Diesen Ver­gle­ich hat sie in der Aus­bil­dung gel­ernt. Dort lerne sie auch, die Zügel während eines Gesprächs in den Hän­den zu hal­ten. Das gelinge ihr, indem sie die richti­gen Fra­gen stelle. Manch­mal brauche es dazu offene Fra­gen, manch­mal geschlossene, die mit ja und nein beant­wortet wer­den kön­nen. Das hat Ros­alie zuerst in Rol­len­spie­len geübt, dann hat sie den Gesprächen ihrer Men­torin Cor­nelia zuge­hört. Schon bald hat sie selb­st das Tele­fon abgenom­men, während Cor­nelia ihr unter­stützend zur Seite stand.

Raus aus der Gefahrenzone

«Wir berat­en wert­frei und auf Augen­höhe», sagt Cor­nelia. Die Voraus­set­zung dafür sei, sich selb­st gut zu ken­nen, vor allem die The­men, die einen aus der Bahn wer­fen kön­nten. Den­noch gib es belas­tende Sit­u­a­tio­nen für die Mitar­bei­t­en­den der Darge­bote­nen Hand. Etwa wenn die Per­son am anderen Ende der Leitung sich das Leben nehmen will und der Anruf noch ein let­zter Abschied sein soll. «Schön, dass Sie die 143 gewählt haben. Lassen Sie uns noch einen Moment miteinan­der sprechen. Wo ste­hen Sie ger­ade? Set­zen Sie sich doch kurz hin.» Zuerst müsse die Per­son aus der Gefahren­zone raus. Einen Meter weg vom Per­ron, einen Schritt zurück von der Brüs­tung. Wenn Men­schen mit Suizid­ab­sicht die Num­mer 143 wählen, sei das ein Hoff­nungss­chim­mer, eine kleine Ressource, die vielle­icht reiche zum Über­leben. Nach solchen Gesprächen braucht auch Cor­nelia eine Pause. Dann öffnet sie das Fen­ster, das son­st aus Diskre­tion­s­grün­den geschlossen sein muss, und atmet durch.

Im Schnitt läutet das Tele­fon während der fün­f­stündi­gen Tagess­chicht fünf bis sechs Mal. In der Nachtschicht, die neun Stun­den dauert, gibt es zwis­chen vier und 17 Anrufe. Manch­mal seien die Anrufend­en aus­fäl­lig und unfre­undlich. Wie die Anrufend­en haben auch die Mitar­bei­t­en­den der Darge­bote­nen Hand die Möglichkeit, ein Gespräch zu been­den. Für solche Fälle hat es Bälle zum Kneten gegen den Ärg­er und Schoko­lade und Chips im Küchen­schrank für einen kleinen Frust-Imbiss. Im Not­fall sind die Psy­cholo­gin und die Geschäftsstel­len­lei­t­erin der Region­al­stelle erre­ich­bar.

Reichlich entschädigt

Im März ist Ros­alies Aus­bil­dungszeit vorüber. Vorher übern­immt sie noch eine Schicht mit ihrer Men­torin Cor­nelia und mit der Psy­cholo­gin, die die Aus­bil­dung leit­et. Wenn Ros­alie sich bere­it fühlt, dann wird sie in das 40-köp­fige Team aufgenom­men. Mit ihren 68 Jahren ist sie die älteste Auszu­bildende. Im Kan­ton Aar­gau kann sie dann noch zehn Jahre für die Darge­botene Hand das Tele­fon abnehmen, dann ist das Höch­stal­ter erre­icht. Sie weiss schon jet­zt, dass sie gerne im Team mitar­beit­en möchte, weil sie bere­its erfahren hat, was sie oft über die Ein­sätze gehört hat: «Für die Zeit, die du den Men­schen am anderen Ende der Leitung schenkst, wirst du reich­lich entschädigt mit dem Gefühl, etwas sehr Sin­nvolles getan zu haben.»

Eva Meienberg
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