Ein syri­sches Schicksal

Ein syri­sches Schicksal

Vier Jah­re nach den ersten Pro­te­sten gegen das Assad-Regime ist die Zahl der syri­schen Flücht­lin­ge auf fast vier Mil­lio­nen ange­wach­sen. Wie schwie­rig ihre Lage ist, zeigt das Bei­spiel einer Mut­ter von drei Kin­dern. Sie lebt in Jor­da­ni­en und wird von Cari­tas unterstützt. Unser Beglei­ter von der jor­da­ni­schen Cari­tas, der sich seit 20 Jah­ren für Flücht­lin­ge enga­giert, berei­tet uns auf den Besuch vor: «Naj­wa Al Hamad (Namen auf­grund des Per­sön­lich­keits­schut­zes geän­dert) hat ein unglaub­lich schwe­res Schick­sal. Als ich sie das erste Mal traf, kamen mir die Trä­nen.» Umso über­rasch­ter sind wir dar­über, wie herz­lich die 32-jäh­ri­ge Mut­ter uns begrüsst. Ihr Blick drückt Kraft und Zuver­sicht aus, doch bald wird klar, dass ihr Schick­sal wenig Anlass dazu gibt. Der Jun­ge, den sie lie­be­voll auf den Armen trägt, ist ihr Erst­ge­bo­re­ner. Wie­so Souad mit elf nur so gross ist wie ein Zwei­jäh­ri­ger, weiss sei­ne Mut­ter nicht. Sie weiss nur, dass er stän­dig Atem­not hat, weder gehen noch spre­chen kann und offen­sicht­lich unter Schmer­zen lei­det. Legt sie ihn für kur­ze Zeit hin, beginnt er zu wei­nen.Kei­ne Pri­vat­sphä­re mehr Naj­wa stammt aus Deraa, jene Stadt nahe der jor­da­ni­schen Gren­ze, in der vor vier Jah­ren die ersten Pro­te­ste gegen das syri­sche Regime auf­flamm­ten. Lan­ge ist sie trotz der Repres­sio­nen geblie­ben, aber dann zer­stör­ten Mör­ser ihr Haus und es blieb ihr kei­ne ande­re Wahl, als ins benach­bar­te Jor­da­ni­en zu flüch­ten. Sie lan­de­te im Lager Zaa­ta­ri, das 80 000 Flücht­lin­ge beher­bergt. «Hier konn­te ich mit mei­nem kran­ken Kind nicht blei­ben, es gibt kei­ne Pri­vat­sphä­re und schlech­te Hygie­ne», erzählt sie. Wer eine Chan­ce hat, dass Lager zu ver­las­sen, nutzt sie. Heu­te wohnt Naj­wa zusam­men mit ihren bei­den Schwe­stern in einem Haus mit drei Zim­mern und einer Küche. 18 Per­so­nen leben unter einem Dach. Die drei Schwe­stern sind auf sich gestellt. Ein Ehe­mann ist umge­kom­men, ein ande­rer ist an einer schwe­ren Hepa­ti­tis erkrankt. «Mein Mann ist in Syri­en geblie­ben. Ich weiss nicht, ob er noch lebt. Vor drei Mona­ten habe ich mit ihm tele­fo­niert. Ich hat­te den Ein­druck, dass er nicht frei spre­chen konn­te», sagt sie mit Trä­nen in den Augen. Wei­ter geht sie nicht auf das The­ma ein, doch der Hin­ter­grund lässt sich leicht erah­nen. In fast allen Flücht­lings­fa­mi­li­en, die wir tref­fen, wur­den der Vater oder ande­re Fami­li­en­mit­glie­der in ihrer Hei­mat im Gefäng­nis gefol­tert. Naj­was zehn­jäh­ri­ger Sohn Ham­za besucht einen Ein­schu­lungs­kurs der Cari­tas, sei­ne neun­jäh­ri­ge Schwe­ster Bushra möch­te ger­ne in die öffent­li­che Schu­le. Ein näch­ster Ein­schrei­be­ter­min ist aber erst im Som­mer. Bis dahin muss sie zuhau­se blei­ben. «Mein Sohn macht mir Sor­gen. Seit wir flie­hen muss­ten, schlägt er sei­ne Schwe­ster und ande­re Kin­der ohne Grund. Ich kann nichts dage­gen tun», erzählt Naj­wa besorgt.Immer weni­ger Hil­fe Die inter­na­tio­na­le Gemein­schaft beginnt, die Unter­stüt­zung für die 620 000 regi­strier­ten Flücht­lin­ge zu kür­zen. So hat das Welt­ernäh­rungs­pro­gramm den Betrag der Gut­schei­ne, mit denen Flücht­lin­ge Lebens­mit­tel kau­fen kön­nen, hal­biert. Dem UNO-Hilfs­werk geht das Geld aus. Auch der jor­da­ni­sche Staat wird restrik­ti­ver. Die Zahl der Flücht­lin­ge beträgt 10 Pro­zent der Gesamt­be­völ­ke­rung, und ein Ende des Kon­flikts ist nicht abseh­bar. So ist die Gesund­heits­ver­sor­gung seit letz­tem Novem­ber nicht mehr kosten­los. Der Min­dest­bei­trag von 50 jor­da­ni­schen Dinar pro Behand­lung über­steigt die Mög­lich­kei­ten der Fami­li­en, und sie ver­zich­ten auf den Gang zum Arzt. Die neu ein­ge­führ­te Grund­ge­bühr beim Arzt ist auch für Naj­wa eine Kata­stro­phe, denn Souad braucht per­ma­nen­te medi­zi­ni­sche Betreu­ung: «Wir haben gar nichts. Wenn der Kon­flikt vor­bei ist, möch­te ich nach Syri­en zurück», sagt Naj­wa. Aber alles deu­tet dar­auf hin, dass dies noch sehr lan­ge dau­ern könn­te. Rück­füh­run­gen dro­hen Das Arbeits­ver­bot wird stren­ger durch­ge­setzt. Wer dage­gen ver­stösst, muss mit einer Rück­wei­sung nach Syri­en rech­nen. «Der Druck auf die Flücht­lin­ge wird immer grös­ser. Wir erhal­ten täg­lich mehr Anfra­gen von Fami­li­en, die drin­gend Hil­fe benö­ti­gen», sagt Wael Sulei­man, Direk­tor der Cari­tas Jor­da­ni­en. Er wur­de im letz­ten Som­mer für sei­ne Ver­dien­ste in Luzern mit dem Prix Cari­tas aus­ge­zeich­net. Cari­tas Jor­da­ni­en unter­stütz­te in den ver­gan­ge­nen Jah­ren rund eine hal­be Mil­li­on Flücht­lin­ge aus Syri­en und dem Irak. Ihre Pro­gram­me füh­ren sie gemein­sam mit Part­ner­or­ga­ni­sa­tio­nen wie der Cari­tas Schweiz durch. «Wir sind äus­serst dank­bar für die gross­zü­gi­ge Unter­stüt­zung, die wir aus der Schweiz erhal­ten», sagt Wael Zulei­men.   Ste­fan Gri­bi, Caritas Spen­den­auf­ruf Cari­tas Schweiz unter­stützt syri­sche Flücht­lin­ge in Jor­da­ni­en, im Liba­non und im Irak mit Lebens­mit­tel­gut­schei­nen, Miet­zu­schüs­sen und Win­ter­hil­fe. In Syri­en finan­ziert Cari­tas Schweiz zudem Sup­pen­kü­chen. Um die­se Hil­fe wei­ter­füh­ren zu kön­nen, ruft Cari­tas Schweiz zum Spen­den auf. Direkt online spen­den: www.caritas.ch/syrienspende
Marie-Christine Andres Schürch
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